Jetzt trifft die Coronakrise auch Juristen: Mit Taylor Wessing hat erstmals eine Kanzlei allen Wissenschaftlichen Mitarbeitern gekündigt. Anderswo müssen sie zumindest eine Zwangspause einlegen oder gar nicht erst anfangen.
Die Kanzlei wirbt damit, den Mandanten während der Coronakrise "Answers to legal challenges" zu geben. Den eigenen Mitarbeitenden verpasst Taylor Wessing aber eine schallende Ohrfeige. Am Wochenende wurde bekannt, dass die Sozietät bundesweit auf einen Schlag all ihren Wissenschaftlichen Mitarbeitern gekündigt hat. 95 Personen stehen Ende April ohne Job da.
Am Samstag sind nach LTO-Informationen die Wissenschaftlichen Mitarbeiter zum großen Teil von den jeweiligen Partnern ihrer Fachbereiche angerufen und über die Kündigung informiert worden. Einige wussten da aber schon Bescheid, sie hatten von ihrem Rauswurf über den Flurfunk erfahren. Die Kündigungsschreiben seien am Samstag jedenfalls schon auf dem Postweg gewesen. Es war zu hören, dass sich auch einige Partner gegen die Kündigungen ausgesprochen haben, jedoch gegen die Entscheidung des Kanzleimanagements nichts ausrichten konnten. Taylor Wessing wollte die Angelegenheit auf Nachfrage nicht kommentieren.
Nach LTO-Informationen sind die Verträge der Wissenschaftlichen Mitarbeiter bei Taylor Wessing in der Regel auf einen Zeitraum von sechs Monaten befristet; die Kündigungsfrist beträgt vier Wochen. Innerhalb einer dreimonatigen Probezeit ist die Kündigungsfrist auf zwei Wochen verkürzt.
Ist die Kündigung wirksam?
In einem Schreiben, das in den Sozialen Medien kursiert, wurde kein Kündigungsgrund genannt. Betroffene Wiss. Mit. berichten jedoch gegenüber LTO, dass die Freisetzungen in den persönlichen Gesprächen mit "Corona" begründet wurden.
Manche spekulieren bereits, ob die Kündigungen überhaupt wirksam sind. "Wenn das Kündigungsschutzgesetz greift, und das ist nach sechsmonatiger Beschäftigung und mehr als zehn Arbeitnehmern im Betrieb der Fall, dann muss auch ein Kündigungsgrund vorliegen. Der muss aber in der Kündigung nicht angeben werden", sagt Prof. Dr. Michael Fuhlrott.
Ausnahmen bestehen nur bei Schwangeren, Auszubildenden oder wenn die Angabe eines Grundes ausdrücklich – was sehr unüblich sei – im Arbeitsvertrag vorbehalten sei. "Ansonsten wäre es sogar unklug und töricht, einen Grund anzugeben, weil die Gekündigten sich dann ausdrücklich bei der Überprüfung der Rechtswirksamkeit darauf beziehen könnten und die Kündigung damit viel einfacher anzugreifen wäre", so der Fachanwalt aus Hamburg. Arbeitsrechtlich hat Taylor Wessing also auf den ersten Blick alles richtig gemacht.
Aber womöglich nur auf den ersten Blick: "Allein mit dem Stichwort Corona könnte eine Kündigung allerdings nicht begründet werden", erklärt Fuhlrott weiter. "Bei derartigen Kündigungen dürfte es sich um betriebsbedingte Kündigungen handeln. Hierfür ist neben der Darlegung des Wegfalls des Arbeitsplatzes und der vorherigen Durchführung einer Sozialauswahl darzulegen, dass es keine geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gibt." Bei der Kündigung einer Vielzahl von Arbeitnehmern hänge die Wirksamkeit der Kündigung zudem davon ab, ob zuvor eine Massenentlassungsanzeige erfolgt ist.
Ärger über "unpersönliche Art"
Abseits dieser Rechtsfrage sind die Betroffenen schlicht verärgert oder enttäuscht über die unpersönliche Art, mit der sie vor die Tür gesetzt werden und beklagen einen Vertrauensbruch ihres Arbeitgebers. "Ein solches Verhalten zeugt von mangelndem Respekt gegenüber uns als Wissenschaftlichen Mitarbeitern – dem doch so dringend gesuchten juristischen Nachwuchs", so ein Betroffener gegenüber LTO. Viele von ihnen hätten einer anderen Lösung offen gegenübergestanden.
Viele Wiss. Mit. betonen, dass sie auf das Gehalt – 1.000 Euro pro Wochenarbeitstag – angewiesen seien. Sie haben nun Sorge, keine neue Anstellung zu finden, da viele Kanzleien ihren Betrieb inzwischen auf Homeoffice umgestellt haben und keine neuen Kräfte einstellen. Juristen am Düsseldorfer Kanzleistandort, die mit einem Job die Zeit zwischen Erstem Staatsexamen und Referendariatsbeginn überbrücken wollten, sind doppelt in der Bredouille, da die Oberlandesgerichte in NRW einen zwischenzeitlichen Einstellungsstopp beschlossen haben.
Und DLA und Eversheds?
Am Wochenende kursierten außerdem Gerüchte, wonach auch DLA Piper und Eversheds den Wissenschaftlichen Mitarbeitern gekündigt habe.
DLA Piper dementierte dies auf Nachfrage von LTO: "Wir haben keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen gekündigt und dies auch nicht vor." Die Juristen würden derzeit beschäftigt und dementsprechend auch bezahlt. Auch einen allgemeinen Einstellungsstopp gebe es nicht. Bis auf ein Kernteam seien alle Mitarbeitenden - einschließlich Anwälte - im Home-Office. Dort würden auch neue Mitarbeitende einsteigen, es sei denn, sie wollten selbst später anfangen, heißt es in einem Statement der Kanzlei.
Eversheds kommuniziert anders: "Die Anwälte und Mitarbeiter arbeiten seit 14 Tagen von zuhause", sagt Managing Partner Dr. Matthias Heisse, "in die Homeoffice-Strukturen sind unsere Wissenschaftlichen Mitarbeiter aber technisch nicht vollständig eingebunden." Zwar hätten sie Arbeitsverträge, aber in vielen Fällen ohne ein festes Zeitkontingent, sondern mit flexiblen Arbeitszeiten. "Wir haben niemanden gekündigt, weil uns der Nachwuchs auch in schwierigen Zeiten wichtig ist. Es wird individuell abgestimmt, inwieweit die wissenschaftlichen Mitarbeiter derzeit in die Arbeit eingebunden werden können. Dasselbe gilt auch für studentische Mitarbeiter und Referendare."
Die Kanzlei mit Standorten in Berlin, Hamburg, Düsseldorf und München geht noch einen Schritt weiter: Die nächsten geplante Einstellungen werden in Absprache mit den Betroffenen verschoben, um ein ordnungsgemäßes Onboarding zu gewährleisten. Die Kanzlei ist mit den Neueinsteigern bereits in Kontakt getreten und hat die Arbeitsaufnahme individuell einvernehmlich neu festgelegt. "Wir können die Leute nicht onboarden, wenn alle im Homeoffice sind", so Heisse. Vor Arbeitsantritt gekündigt worden sei aber niemand. "Die Neueinsteiger haben sehr verständnisvoll reagiert", sagt Heisse. Er freut sich aber darauf, dass die Berufsanfänger trotz der Verschiebung später zur Kanzlei kommen, "wenn wieder ein normaler Bürobetrieb möglich ist."
Kanzleien zwischen Boom und Krise
Der Schritt von Taylor Wessing hat in der Anwaltsszene überrascht, auch wenn bekannt ist, dass Beraterfirmen Kündigungsszenarien bereits in der Schublade liegen haben. Noch klagen aber viele Fachbereiche nicht über zu wenig Arbeit, sondern bekunden, dass sie die Flut der Mandantenanfragen kaum meistern können – auch wenn sich angesichts der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise einige schon jetzt fragen, ob die Mandanten ihre Rechnungen am Ende noch bezahlen können.
Zu hören ist, dass Bereiche wie Arbeitsrecht, Mietrecht, aber auch Öffentliches Recht einen starken Boom erleben. Andere Bereiche laufen beinahe unbeeindruckt von der Corona-Pandemie weiter. Transaktionen jedoch, für viele Wirtschaftskanzleien der wichtigste Umsatzbringer, stagnieren derzeit. Viele M&A-Projekte und auch Immobilientransaktionen sind vorläufig auf Eis gelegt.
Beobachter schätzen, dass gerade transaktionslastige Kanzleien in den kommenden Monaten durchaus mit Umsatzeinbrüchen zu kämpfen haben werden. Daher sei es womöglich ein logischer Schritt, sich von dem "Kostenblock Wissenschaftliche Mitarbeiter" zu trennen. Allerdings ist Taylor Wessing nicht als Transaktionskanzlei bekannt, sondern stellt sich als Full-Service-Kanzlei dar.
Wiedereinstellung "danach"?
Für eine Zeit nach der Coronakrise will sich Taylor Wessing in dem Kündigungsschreiben ein Hintertürchen offenhalten: "Sobald wir wieder zu unserem gewohnten Kanzleibetrieb zurückkehren können, werden wir Kontakt mit Ihnen aufnehmen, um gemeinsam die Möglichkeit der Fortsetzung Ihrer Tätigkeit für unsere Kanzlei zu prüfen." Dass darauf viele der Wiss. Mit. in Zeiten des massiven Fachkräftemangels auch und gerade in den Wirtschaftskanzleien zurückkommen werden, dürfte allerdings eher unwahrscheinlich sein.
Vielleicht bekommt die Kanzlei dann als Antwort auf eine entsprechende Anfrage eine Passage aus ihrem eigenen Kündigungsschreiben: "Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis, wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und bedanken uns für die vertrauensvolle Zusammenarbeit".
Entlassungen wegen Corona?: . In: Legal Tribune Online, 30.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41147 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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