Unternehmensstabilisierungsgesetz auf dem Prüfstand: Bringt das StaRUG die erhoffte Sta­bi­lität?

Gastbeitrag von Nikolai Weber

15.02.2022

Gut ein Jahr nach Inkrafttreten des StaRUG ist es Zeit für ein erstes Fazit. Die mit der Einführung verbundenen Erwartungen wurden nur zum Teil erfüllt. Das Gesetz ist mehr Spezialwerkzeug denn Allzweckwaffe meint Nikolai Weber.

Am 1. Januar 2022 jährte sich erstmals das Inkrafttreten des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG). Im ersten Jahr seiner Existenz hat sich das Gesetz, an das im Vorfeld hohe Erwartungen geknüpft waren, in der Praxis allerdings kaum bewährt. Statt der von vielen erhofften Allzweckwaffe hat es sich als Spezialwerkzeug für die weniger häufigen Fälle einer rein finanziellen Sanierung erwiesen. 

Mit dem StaRUG wurde in Deutschland die Restrukturierungsrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats der Europäischen Union ((EU) 2019/1023) in nationales Recht umgesetzt. Als die Richtlinie am 20. Juni 2019 veröffentlicht wurde, ahnte niemand, dass die COVID-19-Pandemie weltweit nicht nur die Gesundheitssysteme zum Kollabieren bringen würde. Auch die Weltwirtschaft wurde vor große Herausforderungen gestellt. In den zur Eindämmung der Pandemie angeordneten Lockdowns kamen ganze Branchen teils über Monate komplett zum Erliegen. Viele Unternehmen wurden an den Rand des finanziellen Ruins gedrängt, manche auch darüber hinaus. 

Als in Deutschland Mitte September 2020 der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFOG) vorgelegt wurde, dessen wesentlicher Bestandteil das StaRUG war, schien es daher, als hätte das Timing für die Einführung eines neues Sanierungsinstrument kaum besser sein können.  

Entsprechend groß waren deshalb sowohl die Erwartungen als auch der Zeitdruck, mit dem das Gesetzgebungsverfahren absolviert wurde. Dass das neue Gesetz die hohen Erwartungen nicht ansatzweise erfüllt hat, liegt nicht nur an den Corona-Hilfen, mithilfe derer zum Teil auch Geschäftsmodelle am Leben gehalten werden, die ohne die Pandemie nicht überlebensfähig gewesen wären, sondern vielmehr an dem Gesetz selbst. 

Keine Erleichterungen für operative Maßnahmen 

Die Sanierung eines Unternehmens erfordert in aller Regel neben einer rein finanzwirtschaftlichen Restrukturierung auch operative Maßnahmen. So wird beispielsweise ein Einzelhandelsfilialist im Rahmen der Sanierung unprofitable Filialen schließen müssen. Die Schließung der Filialen bringt aber nur dann einen Sanierungseffekt mit sich, wenn gleichzeitig die entsprechenden Mietverträge beendet werden können.  

Problematisch ist dabei, dass im Einzelhandel üblicherweise Mietverträge mit einer festen Laufzeit abgeschlossen werden. Soll eine Filiale geschlossen werden, kann der Mietvertrag grundsätzlich nicht vorzeitig ordentlich gekündigt werden, so dass bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit auch die Mieten zu bezahlen sind. Oftmals besteht sogar eine Pflicht für den Mieter, die gemieteten Einzelhandelsflächen während der Dauer des Mietvertrags tatsächlich auch zu betreiben. Eine vorzeitige Schließung von Filialen ist daher grundsätzlich nur im Einvernehmen mit den Vermietern möglich.  

Auch wenn in einem Industrieunternehmen im Rahmen einer Sanierung Überkapazitäten abgebaut werden müssen, existieren oftmals langfristige Leasing-, Liefer- oder Dienstleistungsverträge, die dann zwar nicht mehr benötigt, aber nicht vorzeitig gekündigt werden können. In einer solchen Situation ist zudem für gewöhnlich auch ein Abbau von Arbeitsplätzen notwendig. Hier fallen oftmals nicht nur erhebliche Kosten im Zusammenhang mit einem Sozialplan an.  

Darüber hinaus gibt es Branchen, bei denen aufgrund tarifvertraglicher Regelungen für manche Arbeitnehmer (etwa ab einem bestimmten Alter) eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen ist. Auf einer solchen Grundlage ist es mitunter gar nicht möglich, erforderliche Personalmaßnahmen umzusetzen. 

Die Insolvenzordnung enthält Vorschriften, aufgrund derer laufende Vertragsverhältnisse jeglicher Art beendet werden können. Dies gilt auch dann, wenn, wie in den vorstehenden Beispielen, eine ordentliche Kündigung (tarif-)vertraglich ausgeschlossen ist. Darüber hinaus werden etwa Sozialplanansprüche der Höhe nach begrenzt.  

Derartige Eingriffe in Vertragsverhältnisse sind mit dem StaRUG nicht möglich. Der Regierungsentwurf sah zwar noch vor, dass laufende Vertragsverhältnisse des Schuldners unter gewissen Voraussetzungen auf dessen Antrag hin durch das Restrukturierungsgericht beendet werden können. Der entsprechende Abschnitt wurde jedoch kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes wieder gestrichen. Für eine operative Sanierung wurde das StaRUG damit zum "zahnlosen Tiger". 

Schwierige Mehrheitserfordernisse und Sondersituationen 

Bei der Vorbereitung des Verfahrens muss darüber hinaus berücksichtigt werden, dass das Zustimmungserfordernis mit 75% für den Restrukturierungsplan im StaRUG deutlich höher liegt als bei einem Insolvenzplan. Zwar sieht auch das StaRUG, ähnlich wie bei einem Insolvenzplan, vor, dass die Betroffenen in Gruppen eingeteilt werden und auf diesem Weg obstruierende Gläubigergruppen überstimmt werden können. Die Einteilung der Gläubiger in verschiedene Gruppen stößt jedoch praktisch nicht zuletzt deshalb an Grenzen, weil der Restrukturierungsplan nach dem StaRUG von Anfang an auf bestimmte Gläubigergruppen begrenzt werden kann.  

Was einerseits einen Vorteil des StaRUG Verfahrens darstellt, erweist sich andererseits als Hindernis für das Zustandekommen eines Restrukturierungsplans. Gläubigergruppen, in deren Rechte nicht eingegriffen werden soll, stimmen, anders als beim Insolvenzplan, erst gar nicht mit ab. Ihre Stimmen können daher auch nicht genutzt werden, um andere Gläubigergruppen zu überstimmen. 

Für Fälle einer rein finanziellen Restrukturierung kann das StaRUG-Verfahren jedoch durchaus ein taugliches Spezialwerkzeug darstellen. Hier bietet es vor allem den Vorteil, dass das Verfahren nicht öffentlich durchgeführt und auf bestimmte Gläubigergruppen begrenzt werden kann. Zudem erlaubt es Eingriffe in Sicherheitenrechte, was bei komplexen Finanzierungsstrukturen in Unternehmensgruppen von Vorteil sein kann. Schließlich ist auch eine Gestaltung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse bis hin zu einer zwangsweisen Übertragung von Anteilen möglich. Damit bieten sich für das StaRUG auch im Umfeld sogenannter "Distressed"-Transaktionen geeignete Einsatzbereiche. 

Nicht der Weg ist das Ziel 

Als Resümee ist festzuhalten, dass der Werkzeugkasten der Restrukturierung und Sanierung mit dem StaRUG ein neues Element erhalten hat. In seiner aktuellen Form ist es ein Spezialwerkzeug und keine Allzweckwaffe. Unabhängig davon gilt für jedes Werkzeug: es ist lediglich Mittel zum Zweck. Nicht der Weg ist hier das Ziel, sondern eine erfolgreiche und nachhaltige Sanierung. Es ist daher Aufgabe einer seriösen Sanierungsberatung, zunächst zu prüfen, welcher Weg im konkreten Fall am besten zu diesem Ziel führt. Erst dann sollten die notwendigen Schritte zur Umsetzung eingeleitet werden.  

Keinesfalls sollten sich daher sanierungsbedürftige Unternehmen verfrüht auf die Nutzung eines bestimmten Werkzeugs festlegen. Dabei gilt der Grundsatz, das beste Verfahren ist dasjenige, das nicht durchgeführt zu werden braucht. Insofern war zum StaRUG zu beobachten, dass allein seine Existenz bzw. die im Raum stehende Möglichkeit der Durchführung eines entsprechenden Verfahrens mitunter die Einigungsbereitschaft der Akteure erhöht hat, so dass auf diese Weise das eine oder andere Verfahren schon im Vorfeld vermieden werden konnte. 

Dr. Nikolai Weber ist Rechtsanwalt und Associate Partner bei EY Law. Er leitet dort den Bereich Restrukturierung und Insolvenzrecht.

Zitiervorschlag

Unternehmensstabilisierungsgesetz auf dem Prüfstand: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47540 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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