Rückblick auf ein Anwaltsleben: "Der Partnertrack ist steil und schmal geworden"

Interview von Désirée Balthasar

14.01.2015

Der Litigation-Experte Gerd Lembke ist seit 25 Jahren Partner bei White & Case und deren Vorgängerkanzleien. Mit LTO spricht er darüber, wie das Smartphone die Rechtsberatung beschleunigt hat, warum Gerichtsprozesse trotzdem länger dauern, und ob es früher tatsächlich leichter war, Partner einer Großkanzlei zu werden.

LTO: Ihr Spezialgebiet ist das Zivilprozessrecht. Welche Entwicklungen haben Sie dort im Laufe Ihres Berufslebens beobachtet?

Lembke: Die Justiz hat sich in dieser Hinsicht leider nicht zum Positiven verändert. Viele Rechtsstreite dauern länger als früher. Wo früher drei Richter in Kollegialgerichten zusammengearbeitet haben, sitzen heute Einzelrichter. Diese werden immer jünger und wechseln häufig nach wenigen Monaten in eine andere Kammer. Das bedeutet, dass einige Fälle über Jahre nicht bearbeitet werden. Denn wenn ein neuer Richter anfängt, wird er sich lieber der neuen, noch nicht so umfangreichen Fälle annehmen. Man hört auch, dass die Arbeitsbelastung an den Gerichten viel höher geworden ist.

LTO: Wie wirkt sich das auf Ihre tägliche Arbeit aus?

Dr. Gerd LembkeLembke: Wir spielen heute oft Schriftsatz-Ping-Pong. Die Richter geben nur selten Hinweise, in welche Richtung sie weiteren Vortrag erwarten. Die Anwälte wissen also nicht, wie der  Richter denkt und wo sein Fokus liegt. Das hat zur Folge, dass sie jedes kleine Detail in die Schriftsätze hinein packen und das bereits in der ersten Instanz. Wo die Schriftsätze früher zehn bis zwanzig Seiten umfassten, sind sie heute bis zu hundert Seiten dick.

LTO: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Lembke: Der Ausbildungsweg an den Gerichten ist kürzer geworden, die Richter wechseln häufiger die Kammern. Mit dem Richter wechselt häufig die Rechtsauffassung und Sie fangen wieder von vorne an. Wie bei den jungen Anwälten fehlen auch den jungen Richtern die Lebens- und Berufserfahrung und die Rechtskenntnis. Gleichwohl geschieht es, dass ein Berufseinsteiger einen rechtlich und tatsächlich komplexen Rechtsstreit allein bearbeiten muss und es dann nur schleppend weitergeht.

LTO: Haben sich auch die Mandanten verändert?

Lembke: Die Erwartungen an Transparenz in der Sachbearbeitung und in der Honorargestaltung und -abrechnung sind gestiegen. Ebenso gestiegen sind die Erwartungen an die Geschwindigkeit der Bearbeitung. Der Grund dafür ist der technische Forstschritt. Wo wir früher die Korrespondenz mit dem Faxgerät führten, schreiben wir heute Emails. Heute hat jeder ein Smartphone, was bedeutet, dass der Mandant eine Email schickt und nach einer halben Stunde anruft, um zu fragen, ob man diese erhalten habe und wie das Ergebnis aussieht. Die Rechtsberatung hat sich insgesamt beschleunigt.

Der Wettbewerb um beste Juristen wird härter

LTO: Welche Unterschiede sehen Sie zu Berufseinsteigern damals im Vergleich zu heutigen Jura-Absolventen?

Lembke: Aus Sicht der Kanzlei ist der Wettbewerb um die besten Köpfe härter geworden. Wir suchen natürlich nur die Besten der Besten. Das sind naturgemäß nicht sehr viele und wir stehen hier im harten Wettbewerb zu anderen Großkanzleien.

LTO: Was hat sich aus Ihrer Sicht am meisten verändert?

Lembke: Als ich in den Beruf einstieg, war klar, dass ich nach wenigen Jahren Partner werden würde. Meistens war das nach drei Jahren der Fall, einige Berufsanfänger sind sogar sofort Partner geworden. Was das finanziell genau bedeutete, ist eine andere Frage, aber jeder hat es prinzipiell erwartet. Es war selbstverständlich. Im Gegensatz dazu wissen die jungen Associates und Bewerber von heute, dass der Partnertrack steil und schmal ist. Partner in einer großen Sozietät zu werden, ist heute schwieriger als früher. Ungeachtet dessen haben die meisten Absolventen immer noch das Ziel vor Augen, Partner zu werden.

LTO: Wie sieht die Ausbildung in den Kanzleien heute aus?

Lembke: Das hat sich seit meinen Zeiten nicht verändert. Als Rechtsanwalt benötigt man hauptsächlich Lebens- und Berufserfahrung und exzellente Rechtskenntnis. Es gibt nach wie vor einen Unterschied zwischen der Ausbildung und der Praxis. Die jungen Juristen von heute lösen konkrete Rechtsfragen genauso gut wie wir damals.

Zulassung überörtlicher Sozietäten revolutionierte den Kanzleimarkt

LTO: Wenn Sie sich an Ihre eigenen Anfangsjahre zurückerinnern - wie hat sich die Kanzleilandschaft in Deutschland verändert?

Lembke: Meine Anwaltszulassung erhielt ich 1987, also vor knapp 28 Jahren. Während dieser Zeit veränderte sich das anwaltliche Berufsrecht von Grund auf. Denn Mitte der Achtziger fielen das Verbot der überörtlichen Sozietäten und das Verbot, Sozietäten aus nur bei erstinstanzlichen Gerichten Anwälten und nur bei einem Oberlandesgericht zugelassenen Anwälten zu bilden. Wenig später wurde der Grundsatz, dass ein Anwalt nur bei einem Land- oder Oberlandesgericht zugelassen werden konnte und nur dort postulationsfähig war, abgeschafft. Das hatte weitreichende Folgen auf die Kanzleien. Der Markt sieht heute vollkommen anders aus.

LTO: Würden Sie das genauer erklären?

Lembke: Die positive Beantwortung der Frage, ob es überörtliche Sozietäten geben dürfe, formte die Kanzleilandschaft, wie wir sie heute vorfinden. Zuvor gab es in Deutschland überwiegend Kleinstsozietäten, in denen nur wenige Anwälte arbeiteten. In der Kölner Kanzlei, in der ich meinen ersten Job antrat, war ich der einzige angestellte Anwalt neben drei Partnern. Nachdem sich Sozietäten überörtlich zusammenschließen durften, entstanden größere Einheiten. Als ich im Juni 1990 in die Vorgängerkanzlei von White & Case eintrat, war diese mit rund 25 Anwälten eine der richtig Großen. Nach heutigen Maßstäben aber wäre das eine mittelgroße Kanzlei.

LTO: Welche Folgen hatte die Aufhebung des Verbots gemischter Sozietäten?

Lembke: Bis Mitte der Achtziger durfte man in großen Teilen der Bundesrepublik als Rechtsanwalt nicht gleichzeitig bei Oberlandesgerichten und Landesgerichten zugelassen sein und keine Sozietät von erstinstanzlich zugelassenen Anwälten und von bei einem Oberlandesgericht zugelassenen Anwälten bilden. Es galt das System der Singularzulassung. Darauf bauten die Geschäftsstrategien der Kanzleien auf: Die OLG-Kanzleien waren auf die Mandatszuflüsse der LG-Kanzleien angewiesen. Diese durften die Mandate, die nach der ersten Instanz in Berufung gingen, nicht selbst vor dem OLG weiter betreuen. Als dieses System aufgehoben wurde, brach vielen OLG-Kanzleien die Geschäftsbasis weg.

LTO: Das klingt nach einer Revolution im Anwaltsmarkt.

Lembke: So könnte man das bezeichnen. In den späten Achtzigern und frühen Neunzigern gab es zahlreiche Fusionen, Auflösungen und Neuausrichtungen. Um die Jahrtausendwende wurde der Kanzleimarkt dann zunehmend internationaler. Die Sozietät, der ich 1990 in Hamburg beigetreten bin, fusionierte in den Folgejahren mit anderen Kanzleien und schloss sich im Jahr 2000 White & Case an. Ich war damals sehr neugierig darauf, wie die Arbeit werden würde. Das Tätigkeitsfeld ist ungemein vielfältiger geworden.

Passt das Mandat zur Kanzlei?

LTO: Haben Sie heute genauso viel Freiheit, wie vor 20 Jahren, als Ihre damalige Kanzlei noch nicht unter der White & Case-Flagge segelte?

Lembke: In der Mandatsarbeit ist jeder Anwalt nur dem Mandanten der Sozietät und dem Recht verpflichtet. Die Arbeitsweise hat sich so gesehen also nicht verändert. Allerdings stellt man sich heute vermehrt die Frage, ob das Mandat in die Strategie passt, aber auch, ob wir zum Mandanten passen.

LTO: Wie unterscheidet sich White & Case im Gegensatz zu ihrem Start in Deutschland im Jahr 2000?

Lembke: Die Standorte waren zu Beginn noch selbständiger als heute, das hielt viele Jahre an. Das Arbeiten war also nicht anders für mich als zuvor. Jedoch findet seit einigen Jahren eine gewisse Veränderung statt. Die Standorte agieren immer noch recht autonom, aber die Vorgaben strategischer Art werden stärker. Dies betrifft Fragen der Honorargestaltung oder auch der Art, welche Mandate man annimmt.

Dr. Gerd Lembke (58) arbeitet als Zivilprozessrechtler bei White & Case in Hamburg. Er ist seit 25 Jahren Partner der US-amerikanischen Großkanzlei bzw. deren Vorgängerkanzleien.

Zitiervorschlag

Désirée Balthasar, Rückblick auf ein Anwaltsleben: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14376 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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