Centrum-Gruppe, Gerch, Signa – Insolvenzen im Immobiliensektor häufen sich. Marc Alexander Häger und Marvin Rochner erläutern die rechtlichen Konsequenzen für gewerbliche Mietverhältnisse.
Es vergeht derzeit kaum eine Woche ohne Meldung über einen Insolvenzantrag eines Projektentwicklers oder einer Immobiliengesellschaft. Die sich anschließenden Insolvenzverfahren sind eine Herausforderung für alle Beteiligten. Für Gewerbemieter stellen sich Fragen: Welche Auswirkungen hat die Insolvenz des Eigentümers auf das Mietverhältnis? Wie sichern Mieter ihre Nutzung ab?
Mietverhältnis besteht (zunächst) fort
Auf den Fortbestand bestehender Mietverhältnisse hat die Insolvenz des Vermieters zunächst keinen Einfluss. Nach § 108 Abs. 1 InsO bestehen Mietverträge, die der Schuldner als Vermieter eingegangen ist, mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Der insolvente Vermieter muss den Mietvertrag also weiter erfüllen und insbesondere den Gebrauch der Mietsache durch den Mieter gewährleisten. Der Mieter ist umgekehrt verpflichtet, die Miete vertragsgemäß weiter zu zahlen, allerdings an die Insolvenzmasse unter Beteiligung des Verwalters. Zahlungen an den insolventen Vermieter haben nach Insolvenzeröffnung grundsätzlich keine Erfüllungswirkung.
Ein Sonderkündigungsrecht, wie es § 109 Abs. 1 InsO für den Insolvenzverwalter in der Insolvenz des Mieters vorsieht, hat der Gesetzgeber in der Insolvenz des Vermieters nicht vorgesehen. Hierfür besteht auch kein Grund. Denn die Insolvenzmasse ist, anders als in der Mieterinsolvenz, zunächst keinen direkten Zahlungspflichten ausgesetzt, von denen sich der Insolvenzverwalter zum Schutz der Masse und anderer Gläubiger befreien können müsste.
Umgekehrt ist auch der Mieter nicht zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages in der Insolvenz des Vermieters berechtigt. Etwas Anderes gilt nur dann, wenn die Parteien besondere Kündigungsrechte für den Vermögensverfall einer Partei vertraglich vereinbart haben.
Insolvenzeröffnung wirkt als Zäsur im Mietverhältnis
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermieters wirkt – wie die Insolvenz des Mieters – gleichwohl als Zäsur im Mietverhältnis. Verbindlichkeiten, die der Vermieter bzw. Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingegangen ist, sind grundsätzlich Insolvenzforderungen. Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter nach Eröffnung neu begründet, sind Masseverbindlichkeiten. Für den Mieter kann die Abgrenzung ungewünschte Folgen haben, auch wenn von diesem Grundsatz Ausnahmen anerkannt sind.
So sind insbesondere vom Vermieter geschuldete Erhaltungspflichten als Dauerverpflichtungen vom Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeiten weiter zu erfüllen. Das gilt selbst dann, wenn der mangelhafte Zustand bereits vor Eröffnung des Verfahrens entstanden ist (BGH, Urt. v. 3.4.2003, Az. IX ZR 163/02).
In der gewerbemietrechtlichen Praxis dürften diese Fälle dennoch von untergeordneter Bedeutung sein. So beschränkt sich die Erhaltungspflicht des Vermieters in vielen Gewerberaummietverträgen auf die Instandhaltung und Instandsetzung von "Dach und Fach". Gerade diese, häufig aufwändigen Sanierungsmaßnahmen, wird der Insolvenzverwalter aber kaum in einem begrenzten Insolvenzzeitraum durchführen und einem Erwerber der Immobilie überlassen, jedenfalls wenn die Maßnahmen aufgeschoben werden können.
Vorkehrungen für Barkaution und Baukostenzuschüsse
Vor der Insolvenz geleistete Mietsicherheiten in Form einer Barkaution können vom Mieter bei Beendigung des Mietverhältnisses nur ausgesondert werden, wenn der Vermieter die Mietsicherheit insolvenzfest von seinem Vermögen separiert hatte. Andernfalls ist der Rückzahlungsanspruch lediglich Insolvenzforderung, mit der auch nicht gegen laufende Mietzahlungen aufgerechnet werden kann (BGH, Urt. v. 13.12.2012, Az. IX ZR 9/12).
Durch die in der Praxis weit verbreitete Nutzung von Bankbürgschaften als Mietsicherheit in Gewerbemietverhältnissen, sollte sich diese Frage für viele Gewerbemieter allerdings nicht stellen. Allen anderen ist zu raten, dringend eine insolvenzfeste Anlage der Barkaution mit dem Vermieter zu vereinbaren und die Umsetzung zu überprüfen. Das gilt umso mehr, als die gesetzliche Separierungspflicht des § 551 Abs. 3 BGB nur Wohnraummietverhältnisse betrifft und auf Mietverträge über Gewerberaum nicht anwendbar ist.
Probleme entstehen auch dann, wenn sich der Vermieter vor Insolvenz zur Zahlung eines (ungesicherten) Baukostenzuschusses verpflichtet hatte. Hat der Mieter in diesen Fällen bereits umfangreiche Aus- und Umbaumaßnahmen in dem Mietobjekt durchgeführt und ist – wie üblich – in Vorleistung getreten, ist der Anspruch auf Auszahlung des Baukostenzuschusses nach Insolvenzeröffnung grundsätzlich als Insolvenzforderung zu qualifizieren. Gerade für Neumieter in (insolventen) Projektentwicklungen kann dies erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Ist der Baukostenzuschuss nicht, z. B. durch eine Bankbürgschaft, gesichert, kann solchen Mietern nur geraten werden, Ausbauleistungen erst nach Abstimmung und Abschluss entsprechender Vereinbarungen mit dem Insolvenzverwalter vorzunehmen.
Ähnliches gilt für Schadensersatzforderungen des Mieters gegen den Vermieter, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden. Ist der Vermieter z. B. mit der Übergabe des Objekts oder eigenen Ausbauleistungen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Verzug, stellen Schadensersatzansprüche des Mieters oder Vertragsstrafen wegen einer verspäteten Übergabe grundsätzlich nur Insolvenzforderungen dar. Setzt der Vermieter bzw. Insolvenzverwalter den Verzug nach Eröffnung schuldhaft fort, können Schäden, die dem Mieter durch den fortgesetzten Verzug neu entstehen, allerdings als Masseverbindlichkeiten ersatzfähig sein. Etwaige offene Übergabe-, Ausbau- oder Instandhaltungspflichten sollten nach Insolvenzeröffnung daher von Mietern unverzüglich beim Insolvenzverwalter angemahnt werden, um den Vermieter bzw. Insolvenzverwalter in Verzug zu setzen.
Mietvertrag durch Erwerber kündbar zum ersten Termin
Anders als in der Insolvenz des Mieters steht dem Insolvenzverwalter in der Vermieterinsolvenz kein eigenes (Sonder-)Kündigungsrecht zu. Nach § 111 InsO ist allerdings ein Erwerber, der das Mietobjekt aus der Insolvenz erwirbt und in den Mietvertrag eintritt (§ 566 BGB), zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt. Die Kündigung kann unabhängig von einer vereinbarten Festlaufzeit oder Optionen mit den gesetzlichen Fristen erfolgen, wenn der Erwerber die Kündigung zum ersten möglichen Termin ausspricht. Da die Veräußerung des Objekts durch den Insolvenzverwalter in der Insolvenz der Immobilien(projekt)gesellschaft eher Regel als Ausnahme ist, birgt dieses Kündigungsrecht erhebliche Unsicherheiten für Mieter. Das gilt umso mehr, als der Mieter oftmals auf die Veräußerung des Objekts und die Auswahl der Erwerber keinen Einfluss hat.
Natürlich wird ein Erwerber von der Kündigungsmöglichkeit nur Gebrauch machen, wenn er sich durch die Kündigung eine bessere wirtschaftliche Verwertung des Objekts erhofft, also insbesondere eine höhere Miete erzielen kann. Diese Situation eröffnet Verhandlungsspielraum für den Mieter.
Absicherung durch Mieterdienstbarkeit?
Rechtlich absichern gegen eine solche Situation und die vorzeitige Beendigung der Nutzung (wie auch durch eine Kündigung nach erfolgter Zwangsversteigerung des Objekts, § 57a ZVG) können sich Mieter, indem eine dinglichen Sicherung vereinbart wird, insbesondere durch die Einräumung einer Mieterdienstbarkeit. Inhalt einer solchen beschränkt persönlichen Dienstbarkeit (§ 1090 BGB) ist die Einräumung eines von dem Mietvertrag unabhängigen Nutzungsrechts gegen Zahlung eines Ausübungsentgeltes durch den Nutzer. Das Nutzungsrecht bleibt während des laufenden Mietvertrages im Hintergrund und endet, wenn der Mietvertrag regulär endet oder von den Parteien vertragsgemäß gekündigt wird – aber eben nicht bei einer vorzeitigen Kündigung nach § 111 InsO oder durch den Ersteher nach einer Zwangsversteigerung.
Die Mieterdienstbarkeit ist in einigen Vermietungsbereichen bereits Branchenstandard, z. B. bei der Anmietung durch Lebensmitteleinzelhändler. In anderen Bereichen sind Vermieter (noch) deutlich zurückhaltender, was nicht zuletzt an der notwendigen Grundbuchbelastung durch die Dienstbarkeit liegt. Letztere ist aber in der Regel kein Finanzierungshemmnis und den beteiligten Banken gut zu vermitteln, wenn die Parteien die Mieterdienstbarkeit nach den (marktüblichen) Vorgaben des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken ausgestalten ("VdP-konform"). Die Mieterdienstbarkeit bringt dann für beide Seiten Rechtssicherheit – für Mieter scheint sie in der aktuellen Situation jedenfalls bei langfristigen Anmietungen und beabsichtigten Investitionen in das Mietobjekt ein Muss.
Marc Alexander Häger, LL.M. und Marvin Rochner sind Rechtsanwälte und Partner bei Oppenhoff. Beide beraten im Bereich Immobilienwirtschaftsrecht.
Auswirkungen und Absicherungen in Gewerbemietverhältnissen: . In: Legal Tribune Online, 06.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54041 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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