Der größte Schadensersatzprozess gegen ein Lkw-Kartell hat am Donnerstag vor dem LG München begonnen. Im Fokus der mündlichen Verhandlung stand jedoch eine Frage mit Sprengstoff: Ist der Kläger überhaupt klagebefugt?
Die größte Klage gegen das Lastwagen-Kartell steht auf der Kippe. Mehr als 3.000 Spediteure fordern vor dem Landgericht (LG) München I von MAN, Daimler und weiteren Lkw-Herstellern 867 Millionen Euro Schadensersatz wegen verbotener Preisabsprachen (Az. 37 O 18934/17). Doch die Transportfirmen haben ihre Ansprüche an die Düsseldorfer Financialright Claims GmbH abgetreten. Das könnte zum Problem werden, erklärte das Gericht am Donnerstag.
Die Vorsitzende Richterin Gesa Lutz erklärte zum Auftakt des Prozesses, die Kammer werde die Fragen rund um die "Bündelung nach Art einer Sammelklage" bei dem Inkassounternehmen Financialright genau prüfen. Es gebe noch keine Rechtsprechung dazu, die den vorliegenden Fall genau treffe. Das gelte auch für den Fall des gerade beim Bundesgerichtshof (BGH) verhandelten Fall um Wenigermiete.de.
Auf den ersten Blick scheint die Sachlage einfach: Die führenden europäischen Lkw-Hersteller hatten 14 Jahre lang ihre Preislisten ausgetauscht. Dafür hat die EU-Kommission MAN, Daimler, Volvo/Renault, DAF, Iveco und Scania bereits fast vier Milliarden Euro Bußgeld aufgebrummt. Jetzt fordern die Kunden Schadensersatz. Die Lkw-Käufer klagen vor allem in München: 110 Klagen für insgesamt 250.000 Lastwagen liegen inzwischen beim LG München I, wie Richterin Lutz sagte. Die beiden mit Abstand größten Klagen hat Financialright eingereicht. Durch Vermittlung des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) hat es bei meist mittelständischen Spediteuren Forderungen eingesammelt - in Summe geht es um 1,4 Milliarden Euro für 150.000 Lastwagen.
Financialright bezahlt die Anwälte der US-Kanzlei Hausfeld und die Gutachter und kassiert dafür im Erfolgsfall rund 30 Prozent des gezahlten Schadensersatzes. Erst mit einem solchen Geschäftsmodell könnten auch kleine Firmen ohne großen Aufwand und Kostenrisiken ihr Recht einklagen, sagte Hausfeld-Anwalt Alexander Petrasincu zu dem Geschäftsmodell.
Erteilt Financialright (zu viel) Rechtsrat?
Die beklagten Lkw-Hersteller sind allerdings der Ansicht, dass Financialright nicht klagebefugt ist. Sie führen eine Reihe von Argumenten an – insbesondere, dass die Tätigkeit des Unternehmens nicht durch das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) gedeckt sei. Denn Rechtsdienstleistungen dürfen – abgesehen von wenigen Ausnahmen – nur Anwälte erbringen. Financialright nimmt indes für sich in Anspruch, als Inkassounternehmen dazu berechtigt zu sein.
Das wiederum zweifeln die Lkw-Hersteller an. Sie sind nämlich der Auffassung, ein typisches Inkassounternehmen sei darauf ausgerichtet, außergerichtlich und schnell unstreitige Forderungen einzuziehen. Hier aber würden die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht, zudem handele es sich beim Lkw-Kartell um einen komplexen Fall, bei dem rechtlich noch ungeklärt ist, ob diese Ansprüche überhaupt bestünden. An der Arbeit von Financialrights gebe es daher einen unzulässig hohen rechtsberatenden Anteil.
Zur Frage, ob Financialright die Ansprüche der Lkw-Käufer überhaupt einsammeln und einklagen darf, ließ die Vorsitzende Richterin in der Verhandlung noch keine Tendenz erkennen. Eine Reihe der von den Lkw-Herstellern vorgebrachten weiteren Kritikpunkte an der Klage stufte Lutz nach einer ersten Bewertung dagegen als eher nicht tragfähig ein. Die Klage an sich sei nach vorläufiger Einschätzung auch ordnungsgemäß erhoben worden.
Erst in drei Monaten, am 24. Januar, will sie eine Entscheidung verkünden. Ein Vorteil: Dann kann sie auch das anstehende BGH-Urteil im teilweise ähnlich gelagerten Fall von Wenigermiete mit einbeziehen. Und ihre Entscheidung ist auch für tausende VW-Autofahrer interessant, die ihre Ansprüche aus dem Dieselskandal an die Financialright-Schwesterfirma Myright abgetreten haben.
dpa/ah/LTO-Redaktion
LG München zum Lkw-Kartell: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38365 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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