LG Braunschweig lässt Anklage zu: Ex-VW-Chef Win­ter­korn muss vor Gericht

09.09.2020

Martin Winterkorn und vier weitere VW-Manager müssen sich in der Abgasaffäre wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs verantworten. Das LG Braunschweig hat die Anklage gegen sie zugelassen.

Knapp fünf Jahre, nachdem die Abgasaffäre bei Volkswagen (VW) bekannt wurde, hat das Landgericht (LG) Braunschweig die Betrugsanklage gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn und vier weitere, teils ehemalige VW-Mitarbeiter zugelassen (Az. 6 KLs 23/19). Dies teilte die zuständige Kammer am Mittwoch mit. Wann der Prozess beginnt, ist noch offen.

Die Staatsanwaltschaft hatte den Führungskräften in ihrer Anklage vom April 2019 Betrug und andere Straftragen im Zusammenhang mit Manipulationen an den Abgaswerten von Millionen Fahrzeugen vorgeworfen.

Die Kammer hat diese Vorwürfe im Rahmen der Eröffnungsentscheidung überprüft – und geht nun teilweise sogar darüber hinaus. Während die Ermittler gegenüber den Angeklagten lediglich den Vorwurf des Betrugs im besonders schweren Fall gemäß § 263 Absatz 1, Absatz 3 Strafgesetzbuch (StGB) erhoben hätten, sieht das Gericht seiner Mitteilung zufolge "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine bandenmäßige Begehung der Tat durch die Angeklagten". Man habe der Eröffnungsentscheidung daher jeweils die Verwirklichung des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs gemäß § 263 Abs. 5 Strafgesetzbuch zugrunde gelegt, so das Gericht.

Die Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem VW-Konzern seien, so das Gericht weiter, über die Beschaffenheit der Autos und speziell die sogenannte Abschalteinrichtung in der Motorsteuersoftware getäuscht worden. Dadurch sei die Einhaltung der Stickoxidemissionen lediglich auf dem Teststand gewährleistet gewesen, nicht aber im normalen Betrieb. Die Käufer hätten dadurch einen Vermögensschaden erlitten.

Bandenbetrug und besonders schwere Steuerhinterziehung

Was Winterkorn betrifft, hat die Kammer einen hinreichenden Tatverdacht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs bejaht. Bei den übrigen Angeklagten sehen die Richter einen hinreichenden Tatverdacht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall und mit strafbarer Werbung bzw. wegen Beihilfe zu diesen Delikten.

Der Vorwurf des Betrugs betrifft der Mitteilung zufolge insgesamt rund neun Millionen Fahrzeuge, die in Europa und den USA verkauft worden sein sollen. Es stehe ein Vermögensschaden der Käufer von mehreren Hundert Millionen Euro im Raum. Drei der Angeklagten wird eine Beteiligung an der Tat zur Last gelegt, jedoch nicht für den gesamten Tatzeitraum, der sich von 2006 bis 2015 erstrecken soll.

Beim Vorwurf der Steuerhinterziehung geht es dem Gericht zufolge um etwa 6.800 Fahrzeuge, für die aufgrund der unzutreffenden Annahme, dass sie die Anforderungen der Schadstoffklasse Euro 6 erfüllten, in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2013 zu Unrecht eine Kraftfahrzeugsteuerbefreiung von jeweils bis zu 150 Euro gewährt worden sei. Damit steht ein Steuerschaden von rund 820.000 Euro im Raum. Aus Sicht der Kammer besteht damit der hinreichende Tatverdacht eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs.1, Abs. 3 Abgabenordnung (AO).

Allerdings keine strafbare Werbung und keine Untreue

Das LG Braunschweig folgte der Staatsanwaltschaft dagegen nicht völlig, was den Vorwurf der strafbaren Werbung gemäß § 16 Abs.1 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) angeht. Anders als die Anklage sehe man einen hinreichenden Tatverdacht nur in Bezug auf Werbemaßnahmen, die den europäischen Markt betreffen, und nicht in Bezug auf Werbung in den USA, so das Gericht. Winterkorn war in der Anklageschrift insbesondere ein strafbares Verhalten in Bezug auf Fahrzeuge auf dem US-Markt zur Last gelegt worden; hier sieht die Kammer keinen hinreichenden Tatverdacht.

Das Gericht sieht auch keinen hinreichenden Tatverdacht wegen mittelbarer Falschbeurkundung (§ 271 Abs. 1, Abs. 3 StGB) bzw. Beihilfe dazu. Die möglicherweise falschen Angaben zur Nummer der EG-Typgenehmigung in der Zulassungsbescheinigung eines Kraftfahrzeugs stellten keine öffentlichen Urkunden im Sinne dieser Strafvorschrift dar, so das LG Braunschweig. Auch geht die Kammer von keinem hinreichenden Tatverdacht wegen Untreue (§ 266 Abs. 1, Abs. 2 StGB) zum Nachteil der Volkswagen AG aus.

Im September 2015 hatte Volkswagen nach Prüfungen von Behörden und Recherchen von Forschern in den USA Manipulationen an den Abgaswerten von Dieselautos zugegeben. Die Software bestimmter Motoren war so eingestellt, dass im tatsächlichen Betrieb auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausgestoßen werden als in Tests auf dem Prüfstand.

ah/LTO-Redaktion

mit Material von dpa

Zitiervorschlag

LG Braunschweig lässt Anklage zu: . In: Legal Tribune Online, 09.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42752 (abgerufen am: 14.11.2024 )

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