Großkanzleien und Legal Tech: Wo die Zukunfts­musik heute schon spielt

von Dr. Anja Hall

23.11.2015

2/2: Dentons will Start-ups fördern

Andreas Ziegenhagen, Managing Partner von Dentons in Deutschland, hält nichts von Eigenentwicklungen. "Das wäre ein riesiges Zeitinvestment, von dem wir nicht glauben, dass es sich lohnt", sagt er. Seine Kanzlei hat eine andere Strategie gewählt, um ihre Innovationskraft zu demonstrieren: Sie will Legal-Tech-Start-ups fördern. Dazu wurde die eigenständige Gesellschaft NextLaw Labs gegründet, die sich auf die Entwicklung und den Einsatz von Investitionen in neue Technologien konzentriert. Im Rahmen des NextLaw Labs sollen Start-ups aus dem Bereich Legal Intelligence ihre Produkte entwickeln und zur Marktreife bringen.

Geplant ist, dass sich auch externe Investoren als Risikokapitalgeber beteiligen. Zwar investiert auch Dentons, "allerdings steht für uns weniger die Rendite im Vordergrund", sagt Ziegenhagen. Die Kanzlei will vor allem die Systeme, die entwickelt werden, beeinflussen, testen und nutzen. Davon verspricht sie sich, dass sie ihre Mandanten besser beraten kann. Für sich selbst erwartet sie daher einen Wettbewerbsvorteil.

Deshalb gibt es auch zwei Kriterien, nach denen entschieden wird, welches Start-up unterstützt wird: Dentons muss das Produkt für sinnvoll halten, und IBM es aus technischer Sicht für machbar. Als erstes Unternehmen wurde ROSS Intelligence unter die Fittiche genommen. Das Start-up entwickelt mit Unterstützung von IBM Watson eine App, die bei der juristischen Recherche helfen soll. Anwälte können demnach ihre Fragen in gewohnter Sprache an die App stellen, so als wendeten sie sich an eine reale Person. Das Programm soll dann Gesetzestexte durchsuchen, Belege sammeln, Zusammenhänge herstellen und fundierte Antworten liefern.

Anders als bei CMS, wo das Tool zum Fremddienstleistereinsatz von Anwälten aus Köln und Düsseldorf entwickelt wurde, ist NextLaw Labs global ausgelegt. Die Projekte sollen für alle Regionen entwickelt werden, wobei bereits Büros in den USA bestehen sowie momentan in Großbritannien und Deutschland angedacht werden. "Es gab schon erste Unternehmen hier, die uns angesprochen haben, ob sie in die NextLaw Labs aufgenommen werden können", berichtet Ziegenhagen.

Zukunftsvisionen mit einem Schuss Marketing

Ob man nun Start-ups unterstützt wie Dentons oder auf Eigenentwicklungen setzt wie CMS – wer Innovationen vorantreibt, muss Widerstände überwinden. So gibt nicht nur in den Kanzleien, sondern auch in den Rechtsabteilungen der Mandanten Skeptiker -, die befürchten, man schaffe sich mit den Software-Lösungen selbst ab und der Jurist werde tatsächlich bald durch einen Computer ersetzt.

Allerdings sind sich die Kanzleimanager einig: Die Frage, ob die Digitalisierung kommt oder nicht, "stellt sich für eine große Wirtschaftskanzlei gar nicht", so Andreas Ziegenhagen. "Vor 20 Jahren gab es noch physische Datenräume und Diktiergeräte mit Kassetten", erinnert er sich. "Der Anwaltsberuf hat sich entwickelt, und diese Entwicklung wird weitergehen." CMS-Managing Partner Hubertus Kolster sagt: "Sich zurückzulehnen und sich hier nicht zu positionieren wäre ein Fehler. Wir müssen das auch zu unserem Thema machen und den Mandanten kreative Lösungen anbieten." So ist für CMS das Tool zum Fremddienstleistereinsatz auch nur ein erstes Produkt – weitere ähnliche Software-Entwicklungen sind in der Entwicklung.

Nicht zu unterschätzen ist natürlich auch der Marketing-Aspekt, den solche Initiativen mit sich bringen. Kanzleien, die zeigen, dass sie auf das Mandantenbedürfnis nach "More for Less" - mehr Dienstleistung für weniger Geld – reagieren, hoffen darauf, einige Pluspunkte bei den Unternehmensjuristen zu sammeln, wenn es um die Auftragsvergabe geht.

Der Trend, Rechercheaufgaben und Commodity-Geschäft wie das Prüfen von unzähligen Verträgen IT-gestützt abzuwickeln, wird sich fortsetzen – darin sind sich alle Branchenbeobachter einig. Letztlich sei es sinnvoller, wenn sich die hochbezahlten Juristen auf die kniffligen Fälle konzentrieren und vom Standardgeschäft entlastet werden, heißt es. Deswegen kann die Antwort auf die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass Anwälte durch Computer ersetzt werden, nicht "3,5 Prozent" sein. Sie lautet - im typischen Juristen-Stil -: Es kommt darauf an.

Zitiervorschlag

Anja Hall, Großkanzleien und Legal Tech: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17625 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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