Auch das Schweigen des Gesetzgebers kann vielsagend sein. Jochen Bernhard erklärt, weshalb das BGH-Urteil vom Dienstag ein Meilenstein ist – und zwar nicht nur für die Geschädigten des Zementkartells.
Die Vorbereitung einer Kartellschadensersatzklage benötigt Zeit - und die wurde für Geschädigte von Kartellen in der Vergangenheit häufig knapp, angesichts der Regelverjährungsfrist von drei Jahren. Das galt insbesondere dann, wenn sich Kartellbehörden und Gerichte bei der Akteneinsicht Zeit ließen, umfangreiche Datenanalysen zur Schadensschätzung erforderlich waren oder wenn Klagen einen zweiten Anlauf benötigten, weil sich prozessuale Kniffe im ersten Anlauf nicht als erfolgreich erwiesen.
Letztere Konstellation führte zu dem Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) vom Dienstag (Urt. v. 12.06.2018; Az.: KR 56/16). Der Kläger beanspruchte Schadensersatz infolge einer Bußgeldentscheidung, die das Bundeskartellamt vor über 15 Jahren gegen einen Zementhersteller erlassen hatte. Ein erster Versuch, die Forderungen gegen das „Zementkartell“ durchzusetzen, war gescheitert. Das OLG Düsseldorf hatte im Februar 2015 eine unechte Sammelklage abgewiesen, bei der mehrere Geschädigte ihre Forderungen gebündelt an eine Gesellschaft abgetreten hatten, die zum Zweck der Klagerhebung gegründet worden war.
Kurz darauf wagte ein Kläger einen erneuten Versuch und hakte diesmal den seitens des OLG Düsseldorf aufgestellten Anforderungskatalog für eine wirksame Anspruchsabtretung ab. Im Jahr 2015 reichte er erneut Klage ein.
Urteil ist auch für Kläger gegen Kartellsünder in anderen Branchen relevant
Der BGH hat nun entschieden, dass die geltend gemachten Forderungen nicht verjährt sind. Die Verjährung war gehemmt, weil die Beteiligten des Zementkartells Beschwerde gegen die Bußgeldentscheidung des Bundeskartellamts eingelegt hatten und der BGH erst am 26. Februar 2013 darüber entschieden hat. Unter Berücksichtigung der zusätzlichen Sechs-Monats-Frist nach § 204 Abs. 1 Satz 2 BGB endete folglich auch die Verjährungshemmung erst mit Ablauf des 26. August 2013.
Die Luft für Kartellsünder wird dadurch noch dünner. Denn in Kürze stehen weitere Urteile des BGH zur Anwendbarkeit der Verjährungshemmung auf Schadensersatzklagen gegen Beteiligte des Schienenkartells an. Nutznießer der neuen Rechtsprechung werden insbesondere Unternehmen sein, die sich durch Kartelle im Zeitraum vor dem 1. Juli 2005 geschädigt sehen und erst nach dem 31. Dezember 2008 Klage erhoben haben oder dies noch vorhaben.
Spätestens im Rahmen der Schadensersatzklagen gegen die Beteiligten des LKW-Kartells wird sich die Frage stellen: Lässt sich die spezialgesetzliche Regelung zur Verjährungshemmung auch auf den Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB anwenden, der grundsätzlich binnen zehn Jahren geltend gemacht werden kann? Es geht um milliardenschwere Forderungen.
GWB-Novelle zielte nicht nur in die Zukunft
Aber wie kam es dazu, dass trotz gesetzlicher Verjährung binnen drei Jahren eine Klage rund zwölf Jahre nach der Verhängung einer Kartellgeldbuße noch nicht verjährt ist? Stellt man auf einen Bußgeldbescheid aus dem Jahr 2003 ab, wäre nach der dreijährigen Regelfrist laut §§ 195, 199 BGB der Anspruch grundsätzlich nach Ablauf des 31. Dezember 2006 verjährt. Danach bleibt nur der „Rettungsanker“ des Restschadensersatzanspruchs innerhalb der zehnjährigen kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist nach § 852 BGB, die aber zum Zeitpunkt der neuen Klageeinreichung im Jahr 2015 ebenfalls verstrichen war.
Was den Klägern hilft, ist das Schweigen des Gesetzgebers: Im Zuge der 7. GWB-Novelle 2005 hatte er in § 33 Abs. 5 GWB (heute: § 33h Abs. 6 GWB) geregelt, dass Schadensersatzforderungen während der Dauer eines Kartellverfahrens nicht verjähren. Im konkreten Fall endete diese Verjährungshemmung laut BGH deshalb erst mit Ablauf des 26. August 2013 und danach war der Weg für eine Klageerhebung während weiterer drei Jahre frei.
In der Pressemitteilung zur Urteilsverkündung stellt der BGH auf einen „allgemeinen Rechtsgedanken“ ab: Ändern sich die gesetzlichen Bestimmungen über die Verjährung eines Anspruchs, ist das neue Gesetz ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens auch auf zuvor bereits entstandene und noch nicht verjährte Ansprüche anzuwenden.
Es erscheint nur folgerichtig, diese in Art. 169 EGBGB für das Bürgerliche Gesetzbuch enthaltene Wertung auf Kartellschadensersatzansprüche zu übertragen. Zumal deren Verjährung bislang nicht spezialgesetzlich im GWB, sondern in §§ 195, 199 BGB geregelt war und lediglich durch die Hemmungsregelung des § 33 Abs. 5 GWB konkretisiert wurde.
Es geht nicht um Abschreckung
Zu Recht stellt der BGH bei seiner Auslegung nicht darauf ab, ob die Änderungen der GWB-Novelle darauf abzielten, potenzielle Kartellsünder abzuschrecken. Zum einen ist schon zweifelhaft, ob Schadensersatzansprüche überhaupt auf Abschreckung abzielen, wenn sie allein der Kompensation des Geschädigten dienen.
Schließlich stehen sie neben einem aufgrund von Geldbußen in Millionenhöhe schon für sich genommen sehr abschreckenden Bußgeldregime im Kartellordnungswidrigkeitenrecht. Zum anderen ist es für die Abschreckung jedenfalls in spezialpräventiver Hinsicht schlichtweg zu spät, wenn ein Kartellrechtsverstoß bereits beendet ist.
In Zukunft haben Kartellschadensersatzkläger übrigens unabhängig von der neuen BGH-Rechtsprechung mehr Zeit, um ihre Klage vorzubereiten: Der deutsche Gesetzgeber hat die Regelverjährungsfrist in § 33h Abs. 1 GWB im Juni 2017 von drei auf fünf Jahre ausgedehnt. Dieses Mal schweigt er nicht zur Geltung dieser Neuregelung für Altfälle, sondern schließt diese durch eine ausdrückliche Übergangsregelung nach § 186 Abs. 3 GWB aus.
Der Autor Dr. Jochen Bernhard ist Rechtsanwalt und Co-Leiter der Praxisgruppe Compliance der Kanzlei Menold Bezler in Stuttgart. Er berät zu allen Fragen des deutschen und EU-Kartellrechts.
Jochen Bernhard, BGH zum Kartellschadensersatz: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29119 (abgerufen am: 25.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag