Eversheds meint, sie müsse einem angestellten Anwalt während des Urlaubs keine Umsatzbeteiligung bezahlen. Schließlich hätte der ja nicht so viel Umsatz reinholen müssen. Schon beim BAG, nahm die Kanzlei ihre Revision jetzt überraschend zurück.
Eversheds streitet sich mit einem ehemaligen Anwalt. Der Mann war rund achteinhalb Jahren bei der Kanzlei angestellt und hatte in dieser Zeit rund 100 Urlaubstage nicht genommen. Die wollte er nach seinem Ausscheiden bezahlt haben – inklusive Umsatzbeteiligung.
Schon in den ersten beiden Instanzen hatte die Kanzlei weitgehend verloren. Das Arbeitsgericht (ArbG) hat dem Anwalt seine Ansprüche weitestgehend zuerkannt, das Landesarbeitsgericht (LAG) ging noch weiter und bezog auch 38 Urlaubstage aus den Jahren 2011 bis 2013 ein (LAG München, Urt. v. 03.09.2019, Az. 9 Sa 177/19). Über diese noch streitigen Tage sollte das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Dienstag entscheiden. Nachdem die Kanzlei auf Anfrage von LTO am vergangenen Mittwoch noch Stellung zu dem Verfahren nehmen wollte, teilte die Pressestelle am Donnerstag überraschend mit, dass Eversheds die Revision zurückgenommen hat.
Damit muss die Kanzlei dem Anwalt nun rund 300.000 Euro zahlen. Die interessante Rechtsfrage zur Verjährung von Urlaubsansprüchen kann das BAG nicht mehr klären. Und ein Rechtsstreit, der ein Schlaglicht wirft auf das System und die Kultur Großkanzlei, endet ohne ein Urteil, das womöglich für viel öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt hätte.
Auch ein Anwalt muss über drohenden Urlaubsverfall belehrt werden
Noch vor wenigen Jahren wäre die Frage nach der Verjährung des Urlaubs klar gewesen: Nach der früheren Rechtsprechung des BAG wäre der Anspruch auf Urlaub zweifellos verjährt. Denn die Erfurter Richter hatte stets entschieden, dass Urlaub regelmäßig verfällt, wenn er nicht bis zum 31. März des Folgejahres genommen wird. Das hätte auch den Urlaub des Anwalts betroffen, soweit er nicht von dem teilweise erklärten Verjährungsverzicht umfasst war.
Dieser Praxis hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) aber ein Ende gesetzt: Urlaub verfällt nur noch, wenn der Arbeitgeber darauf hingewirkt hat, dass der Beschäftigte den Urlaub nimmt und darauf hingewiesen hat, dass dieser ansonsten verfällt (EuGH, Urt. v. 06.11.2018, Az. C-619/16 und C-684/16).
Diese Hinweispflichten gelten auch für eine Kanzlei gegenüber einem Rechtsanwalt, meinte das LAG im Fall des klagenden Associates: Eversheds könne sich auch nicht auf entsprechende Rechtskenntnisse des angestellten Anwalts zum Urlaubsverfall berufen. Denn dazu würde dann auch dessen Wissen gehören, dass zugunsten des Arbeitnehmers durchaus von den Grundsätzen abgewichen werden könne, insbesondere durch eine Verlängerung der Übertragungszeiträume. Schon 2017 hatte das Urlaubskonto des Anwalts 99 nicht genommene Urlaubstage ausgewiesen. Ein derartiger Stand sei aber nur möglich, wenn Eversheds sich über mehrere Jahre nicht auf die Befristung der Urlaubsansprüche berufen habe, urteilte das LAG.
Den Hinweispflichten habe die Kanzlei alsonicht genügt, damit könne der Urlaubsanspruch auch nicht verjähren, entschied das LAG. Diese Pflichten allerdings hatte der EuGH erst im Jahr 2018 ausgeurteilt – kann diese EuGH-Rechtsprechung also für Urlaubstage aus den Jahren 2013 und 2014 anzuwenden sein? In aller Regel schon, Urteile des EuGH gelten rückwirkend, wenn das Luxemburger Gericht dies nicht selbst ausgeschlossen hat. Gleichwohl gestand das LAG den Parteien zu, diese Rechtsfrage vom BAG klären zu lassen.
Eversheds: Umsatz nicht zu berücksichtigen
Diese Rechtsfrage allerdings betraf nur 38 Tage. Über die restlichen Tage hatte das LAG rechtskräftig entschieden. Da der Associate die Urlaubstage nach seiner Kündigung nicht mehr nehmen konnte, wandelt sich der Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch um, gerechnet nach offenen Urlaubstagen.
Und hier war der nächste Streitpunkt zwischen Eversheds und dem ehemaligen Mitarbeiter: Denn in welcher Höhe ist der Ausgleich zu leisten? Ist nur das Grundgehalt – immerhin 126.000 Euro – bei der Berechnung des Tagessatzes zugrunde zu legen? Oder auch die Beteiligung am Umsatz? Immerhin lag der erzielte Umsatz des Anwalts schon im Jahr 2012 bei fast 500.000 Euro und stieg in den kommenden Jahren auf 680.000 und 700.000 Euro an, mit Ausreißern nach oben bis zu 982.926,88 Euro im Jahr 2016.
Eversheds meinte, das Grundgehalt sei genug. Die Kanzlei hatte die Berücksichtigung der Umsatzbeteiligung für den Abgeltungsanspruch generell in Frage gestellt, kam damit aber in keiner Instanz durch, weil Provisionen nach ständiger Rechtsprechung eindeutig an die Arbeitsleistung anknüpfen.
Eversheds: Rechtsmissbrauch durch zu viel Arbeit
So argumentierte die Kanzlei mit einem anderen Ansatz: Der Anwalt habe sich rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB verhalten, da "er bewusst und aus freien Stücken keinen Urlaubsantrag gestellt habe, um sein Jahreseinkommen zu optimieren", argumentierte Eversheds vor dem LAG.
So habe er seinen Tagesumsatz gewissermaßen nach oben manipuliert. Hätte der Anwalt nämlich nicht an seinen Urlaubstagen gearbeitet, hätte er an diesen Tagen auch keinen Umsatz erzielt. So profitiere er, meint Eversheds, letztlich doppelt bis dreifach von seinem Durcharbeiten. Schließlich habe er jetzt nicht nur einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung, sondern dürfe auch noch den Vorteil durch Mehrumsatz, den er ja durch mehr Arbeit in seinem Urlaub erzielt habe, ebenfalls behalten und außerdem auf Feier- und Krankheitstage umlegen. Dies seien, so die Wirtschaftskanzlei, "Anreize zu einer Kapitalisierung des Urlaubsanspruchs".
Dem "Berufsbild des Rechtsanwalts" entsprechend wäre es laut Eversheds eine "normale Herangehensweise" gewesen, die Urlaubsabwesenheit vor- und nachzuarbeiten. Dann nämlich würde, so die Law Firm konsequent, ein Urlaub auch nicht zu einem ersatzlosen Fortfall von Umsatz führen.
Und das auch noch am Wochenende
Dabei hatte, davon zeigte das LAG sich überzeugt, der Anwalt schon ständig am Wochenende gearbeitet. Der Associate hatte das bestritten. Und das damit begründet, Sonntagsarbeit sei ja gar nicht zulässig und wäre von Eversheds doch sicherlich unterbunden worden.
"Dies hält die Kammer aber vor dem Hintergrund der vom Kläger verdienten Umsatzprovisionen für eine gänzlich unglaubwürdige Schutzbehauptung", heißt es im Urteil. "Auch wenn die Tätigkeit des Klägers den Mandanten nicht durchgängig mit einem Stundensatz von 250 Euro netto, sondern später auch mit einem Stundensatz von 345 Euro netto in Rechnung gestellt worden sein mag, können die Umsatzprovisionen des Klägers nicht ohne Arbeit auch am Wochenende erwirtschaftet worden sein."
Allerdings zog das LAG daraus andere Schlüsse als Eversheds. Die Kanzlei meinte nämlich, dass es zu Lasten des Anwalts gehen müsse, dass dieser "in erheblichem Umfang auch an Samstagen und Sonntagen" gearbeitet hat, um Umsatz in dieser Höhe zu erwirtschaften.
Viel Geld für viel Umsatz
Das LAG befand hingegen, dass der erhöhte Umsatz ja auch im Interesse von Eversheds gelegen habe und legte, wie absolut üblich und unstreitig, der Berechnung den Vorjahresumsatz zugrunde. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Anwalt nicht von diesen Einnahmen profitieren sollte – insbesondere, wenn er für die Erwirtschaftung auch noch auf Urlaubstage verzichtet hat.
Mit Grundgehalt, Sachbezug für den Dienstwagen sowie der Beteiligung in Höhe von knapp 180.00 Euro allein für 2017 kam das Gericht damit für dieses Jahr etwa auf einen Jahresverdienst in Höhe von rund 309.000 Euro brutto. Damit war in dem Jahr jeder Urlaubstag des Anwalts stolze 1.189,23 Euro wert.
Über 100 Tage Urlaubsabgeltung zuzüglich Nachzahlung der Umsatzbeteiligung für Urlaubs- und Feiertage, ergibt das knapp 300.000 Euro Nachzahlung von Eversheds an den Anwalt. Die bekommt er nun nach der Rücknahme der Revision durch die Kanzlei auch.
Der Gang vor Gericht hat sich damit gelohnt. Zumindest für den Anwalt, der längst in anderer Anstellung ist.
Anwalt klagt gegen Eversheds: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42118 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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