Nachhaltigkeit ist das große Thema der Wirtschaft. Da wäre es begrüßenswert, wenn alle an einem Strang zögen. Wettbewerbsrechtlich ist das aber gar nicht so einfach. Marcel Nuys und Florian Huerkamp mit dem aktuellen Diskussionsstand.
Nobelpreisträger Milton Friedman stellte 1970 in einem berühmten und noch immer lesenswerten Beitrag für die New York Times fest: "The social responsibility of business is to increase its profits". Gut 50 Jahre später scheint Friedmans Dictum so nicht mehr zu gelten. Kaum ein Tag vergeht, an dem sich nicht ein großes Unternehmen zur Durchsetzung umweltpolitischer oder sozialer Ziele verpflichtet. Die Deutsche Börse führt mittlerweile einen Index, der Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung berücksichtigt. ESG (Environmental, Social, Governance) und CSR (Corporate Social Responsibility) sind bei Investments in aller Munde und gelten als das "new normal".
Die meisten Rechtsgebiete begleiten diesen Schwenk lautlos und effizient. Vor ungleich größeren Schwierigkeiten steht das Kartellrecht: Hier gilt es wettbewerbspolitische Ziele und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Doch dies ist nicht immer einfach ist: Ein Unternehmen möchte beispielsweise eine neue Produktionsanlage errichten und die ältere "Dreckschleuder" zur Bekämpfung des Klimawandels außer Dienst stellen. Wegen der erheblichen Investitionskosten muss das Unternehmen aber seine Preise erhöhen. Es befürchtet Nachteile im Wettbewerb gegenüber Konkurrenten, die den Schritt nicht mitgehen – Ökonomen sprechen von einem "first-mover disadvantage". Um diese Nachteile zu vermeiden, spricht sich das Unternehmen mit den beiden Hauptkonkurrenten ab, die im Sinne des Umweltschutzes ebenfalls eine Modernisierung ihrer Fabriken zusichern.
Aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten scheint diese Kooperation begrüßenswert. Gleichwohl wies u.a. Olivier Guersent, Generaldirektor für Wettbewerb der EU-Kommission, Ende März darauf hin, dass eine solche Kooperation ein verbotenes Kartell darstellen könnte.
Nachhaltigkeit im Fokus der Kartellbehörden
Es verwundert deshalb nicht, dass die Kartellbehörden Nachhaltigkeit zunehmend als Kernthema erkennen, bei dem Handlungsbedarf besteht: Das Bundeskartellamt hat ein ausführliches Hintergrundpapier veröffentlicht. Die EU-Kommission hat zum Thema "Competition Policy and the Green Deal" eine Konferenz veranstaltet, an der die Vizepräsidenten Frans Timmermans und Margrethe Vestager teilgenommen haben. Die niederländische Wettbewerbsbehörde hat Richtlinien veröffentlicht, die eine Bewertung von Nachhaltigkeitsinitiativen ermöglichen sollen. Und die griechische Wettbewerbsbehörde hat ein Diskussionspapier zum Thema online gestellt.
Ist der Konflikt damit schon entschärft? Keineswegs! Es fehlt bislang an klaren und rechtsverbindlichen Leitplanken, die Unternehmen aufzeigen, wie Nachhaltigkeit und Wettbewerbsrecht in Einklang zu bringen sind.
Das im Oktober 2020 veröffentlichte Papier des Arbeitskreises Kartellrecht des Bundeskartellamts "Offene Märkte und nachhaltiges Wirtschaften – Gemeinwohlziele als Herausforderung für die Kartellrechtspraxis" bietet keine Lösungen, sondern zeichnet Konflikte nach. Es weist darauf hin, dass das Kartellrecht in seiner bisherigen Praxis z.B. Umweltschutzbelangen im Rahmen seines behördlichen Aufgreifermessens Rechnung getragen habe. Gleichwohl räumt die Behörde ein, dass sie den Unternehmen "primär individuelle Guidance gegeben" habe. Verallgemeinerungsfähig sind die bisher beschiedenen Fällen – so sie denn überhaupt veröffentlicht wurden – damit nicht.
Führen Kooperationen zum "Greenwashing" von Kartellen?
Während manche den zugrundeliegenden Konflikt zwischen Wettbewerb und Nachhaltigkeit schwer nachvollziehbar finden mögen, versuchen Ökonomen die Grundpfeiler des Kartellrechts zu verteidigen: Empirisch lasse sich zeigen, dass die Anreize für Unternehmen, in grüne Technologien zu investieren, im Wettbewerb stets höher seien als im Rahmen von Kooperationen.
Dies setze voraus, dass Verbraucher bereit seien, für umweltschonendere Dienstleistungen und Produkte tiefer in die Tasche zu greifen. Kooperationen zwischen Wettbewerbern wohne demgegenüber die Gefahr inne, dass sich Unternehmen auf ein Minimum an "grünen" Investitionen und ein Maximum bei Preiserhöhungen einigten.
Das Bundeskartellamt macht zudem darauf aufmerksam, dass sich Allgemeinwohlverbesserungen, die durch Kooperationen entstehen könnten, kaum sicher quantifizieren ließen. Dann fehlt aber ein wesentlicher Baustein bei der Bewertung, ob eine Wettbewerbsbeschränkung noch gerechtfertigt werden kann.
Staat vor privat?
Insgesamt tritt so ein viel grundlegenderer Konflikt zutage: Sollen private Unternehmen - mit dem Segen der Wettbewerbshüter bzw. ohne, dass diese eingreifen dürfen - gesamtgesellschaftliche Verbesserungen durch Kooperationen erzielen? Oder soll der (demokratisch legitimierte) Gesetzgeber den Handlungsrahmen – z.B. durch das Verbot besonders umweltschädlicher Praktiken oder der künstlichen Verteuerung von fossilen Brennstoffen durch Emissionshandel – so vorgeben, dass Nachhaltigkeitsbelange ausreichend berücksichtigt sind?
Milton Friedman würde vermutlich für Letzteres optieren und sein Plädoyer für den Fokus der Unternehmen auf die Gewinnsteigerung wiederholen. Kritiker können demgegenüber darauf verweisen, dass angesichts der globalen Herausforderungen, z.B. des Klimawandels, ein Warten auf eine einheitliche nationale Gesetzgebung – die weltweit ein "Level Playing Field" schafft – illusorisch ist. In dieser Perspektive haben nur die "global players" die Möglichkeit, durch gegenseitige Vereinbarungen höhere Standards z.B. beim Umweltschutz durchzusetzen. Steigende Preise sind hinzunehmen und die Kehrseite verbesserten Umweltschutzes.
Wettbewerbshüter arbeiten an neuen Regeln
Die Debatte nimmt gerade erst Fahrt auf. Unternehmensvertreter haben angemahnt, dass es – unabhängig von der konkreten Positionierung – für die Unternehmen essenziell ist, Rechtssicherheit über den kartellrechtlichen Spielraum für Nachhaltigkeitskooperationen zu erhalten.
Die EU-Kommission wird demnächst einen Vorschlag für neue Leitlinien vorlegen, in dem auch dieser Wunsch Berücksichtigung finden soll. Außerdem haben Kartellwächter in allen Ländern zu erkennen gegeben, dass sie bereit sind, frühzeitig mit kooperationswilligen Unternehmen in einen Dialog einzutreten, um die kartellrechtliche Zulässigkeit von Projekten zu prüfen. Unternehmen sollten diese ausgestreckte Hand ergreifen.
In Deutschland profitieren Unternehmen insoweit schon von einer aktuellen Überarbeitung des Wettbewerbsrechts: Das Bundeskartellamt muss sich innerhalb von sechs Monaten dazu äußern, ob eine Kooperation zwischen Unternehmen zulässig ist oder nicht.
Die Autoren: Dr. Marcel Nuys ist Partner und Dr. Florian Huerkamp ist Counsel im Düsseldorfer Büro von Herbert Smith Freehills. Die beiden beraten regelmäßig Unternehmen im Kartell- und Wettbewerbsrecht.
Wettbewerbsrecht und Nachhaltigkeit: . In: Legal Tribune Online, 13.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44706 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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