"Wir erwarten Engagement und Teamgeist", heißt es in fast jeder Stellenanzeige für Juristen. Trotzdem dominieren vielerorts die Einzelkämpfer mit den spitzen Ellenbogen. Karriereberaterin Carmen Schön erklärt im Interview, warum das so ist.
Kollegialität statt Karriere um jeden Preis – das würden viele Berufsanfänger unterschreiben. Bei der LTO Young Professionals Survey 2015 , einer Umfrage, die wir unter 2.970 Referendaren, Jura-Studenten und Absolventen durchgeführt haben, sagte die deutliche Mehrheit der Teilnehmer, dass ihnen ein gutes Miteinander im Team wichtig ist. Nur rund 13 Prozent der Befragten würden um des nächsten Karriereschritts willen die Ellenbogen ausfahren und sich bei den Kollegen unbeliebt machen.
Allerdings entspricht das nicht unbedingt der Realität in den Kanzleien. Spätestens wenn es in Richtung Partnertrack geht, bricht unter den Associates der Konkurrenzkampf aus, das "up or out"-Prinzip macht ihn praktisch unvermeidbar. Und er endet auch nicht etwa, wenn die Partnerschaft erreicht ist – im Gegenteil. Carmen Schön, Karriereberaterin für Juristen, sieht hier mehrere Ursachen am Werk - und empfiehlt dennoch, auf Zusammenarbeit zu setzen. Zumindest meistens.
Teamarbeit dauert länger, liefert aber bessere Ergebnisse
LTO: Frau Schön, ist Teamfähigkeit im Arbeitsleben wirklich wichtig?
Carmen Schön: Arbeitsergebnisse leben von verschiedenen Perspektiven, die die Teammitglieder einbringen. Das bringt Mehrwert, zum einen für den Mandanten. Zum anderen aber auch für den Ersteller selbst, denn er erhält quasi nebenbei Feedback für seine Arbeit, und das ist wichtig für den Abgleich von Selbstbild und Fremdbild. Durch Absprachen im Team dauert es zwar manchmal etwas länger, ein gemeinsames Arbeitsergebnis zu erzielen, dieses ist aber durch die Sicht verschiedener Experten umfassender und belastbarer.
LTO: Was bedeutet das in Bezug auf die Arbeit in einer Kanzlei?
Schön: In einer Kanzlei müssen an einem Mandat fast immer mehrere Praxisgruppen zusammenarbeiten. Es kommt sehr selten vor, dass nur ein Rechtsgebiet betroffen ist. Deswegen werden Teams aus verschiedenen Bereichen zusammengestellt. Oft sind die Teammitglieder an verschiedenen, teils internationalen Standorten tätig, da muss die Zusammenarbeit – auch virtuell - reibungslos funktionieren. Der Mandant erwartet einen Ansprechpartner, der das Projekt managet. Und der muss teamfähig sein, Menschen zusammenbringen und Konflikte in der Gruppe auflösen.
LTO: Wie zeigt sich Teamfähigkeit denn?
Schön: Ein teamfähiger Mensch hat Interesse an anderen, sieht deren Mehrwert und kann diesen anerkennen, ohne dabei um seine eigene Sellung zu bangen. Er geht nicht mit anderen in Konkurrenz, sondern ist an der Ergänzung und an Win-wWin Situationen interessiert. Er klebt nicht an seinen Aufgaben, sondern überlässt sie demjenigen, der sie am besten erledigen kann. Das bedeutet beispielsweise auch, dass er überlegt, wie er andere Partner bei einem Mandanten ins Spiel bringen kann.
Teamfähigkeit zeigt sich außerdem im Kommunikationsverhalten, etwa an Jour Fixes. Wer teamfähig ist, bringt sich ein, legt seine Ideen und sein Wissen offen, um es zu teilen – er ist aber auch offen für Kritik. Und er nimmt die Meinungen anderer für ebenso wichtig wie seine eigenen, er stellt sich nicht über sie.
"Die Partner nehmen alle Mandate, die sie kriegen können"
LTO: Ist Teamarbeit in allen Stadien des Berufslebens gleich wichtig?
Schön: Als Berufsanfänger ist die Teamarbeit sehr wichtig. Es bedeutet, dass man sich in die Akten schauen lässt und sich mit Kollegen über Mandate und rechtliche Fragestellungen austauscht. Wie sonst soll Lernen und der Austausch von Wissen stattfinden? Später, wenn es in Richtung Partnertrack geht, nimmt der Konkurrenzgedanke mehr Raum ein. Kurz gesagt: je weiter der Anwalt in seinem Berufsleben fortschreitet, desto weniger wird Teamfähigkeit häufig ausgelebt. In einigen Partnerrängen – insbesondere beim Cross-Selling - ist Teamarbeit häufig nur ein Mythos.
LTO: Aber jede Kanzlei will doch Mehrwert durch Cross-Selling schaffen?
Schön: Natürlich, und jeder weiß, dass Cross-Selling gut ist. Aber oft nehmen die Partner alle Mandate, die sie kriegen können und geben nichts ab. Das ist in vielen Kanzleien weit verbreitet.
LTO: Woran liegt das?
Schön: Ein Grund ist der hohe Druck, unter dem die Partner stehen. Es ist sehr schwer, hohe Umsatzziele von 500.000 bis einer Million Euro zu erreichen, wie es in vielen Kanzleien von den Partnern gefordert wird. Die Angst, durch Cross-Selling an Umsatz und Billable Hours zu verlieren, ist größer als die Hoffnung auf den Gewinn, der dadurch entstehen könnte, dass man sich für die Mitarbeit der Kollegen öffnet.
Anja Hall, Anwaltsberuf: . In: Legal Tribune Online, 11.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16558 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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