Besteuerung der Digitalwirtschaft: So könnte eine glo­bale Digi­tal­steuer aus­sehen

Gastbeitrag von Dr. Andreas Gerten

01.07.2019

Die G20-Finanzminister wollen Internetkonzerne wie Facebook und Google stärker besteuern. Welche Pläne es für ein solches Steuersystem schon gibt und wo die Knackpunkte liegen, erläutert Andreas Gerten.

Noch im März 2019 scheiterte die Einführung einer europäischen Digitalsteuer am Widerstand der EU-Finanzminister. Doch bereits wenige Wochen später, im Juni, wurden auf dem G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs im japanischen Fukuoka neue Pläne für eine Reform des Systems der internationalen Besteuerung von digitalen Geschäftsmodellen verabschiedet.

Ein besonderer Dorn im Auge ist den Finanzministern der G20-Staaten die Besteuerung von Internetriesen wie Google oder Facebook. Die Unternehmen können nach den derzeit geltenden Steuerregeln kaum dort steuerlich erfasst werden, wo sie durch Vermarktung von Nutzerdaten und nutzergenerierten Daten Gewinne erzielen. Bis 2020 wollen die Staaten nun staatliche Besteuerungsrechte neu verteilen und ein Konzept für eine globale Mindeststeuer vorlegen, um so vor allem große Digitalunternehmen stärker zur Kasse zu bitten.

Aktuelle Steuervorschriften entstammen dem Industriezeitalter

Unternehmen, die vorrangig auf digitale Geschäftsmodelle setzen und online tätig sind, wachsen weitaus schneller als die Wirtschaft insgesamt. Zugleich zahlen sie im Vergleich zur realen, physischen Wirtschaft signifikant weniger Steuern. Der Knackpunkt: Mit den heutigen Vorschriften können Gewinne international tätiger Digitalunternehmen und solcher, die auf die Vermarktung von Nutzerdaten und nutzergenerierten Daten setzen, nicht wirksam besteuert werden.

Es fehlt in der Regel eine physische Präsenz im Inland. Eine solche ist jedoch nach hergebrachten Besteuerungsgrundsätzen, die auf das Industriezeitalter zugeschnitten sind, für ein nationales Besteuerungsrecht erforderlich.

In einem gemeinsamen Projekt der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD und der G20-Staaten gegen Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung multinationaler Unternehmen (Base Erosion and Profit Shifting – BEPS) wurden insgesamt 15 Aktionspunkte umfangreich untersucht und konkrete Handlungsempfehlungen ausgesprochen, die in einer Vielzahl von Staaten bereits in nationales Recht umgesetzt worden sind.

Zwei Säulen-Strategie von OECD und G20

Ein im März 2018 von der OECD vorgelegter Zwischenbericht untersuchte, welche steuerlichen Anknüpfungspunkte in einem Staat gegeben sein müssen, um ein Besteuerungsrecht überhaupt erst zu begründen, und nach welchen Grundsätzen Gewinne zwischen den beteiligten Staaten aufgeteilt werden können. Im Vorfeld des G20-Treffens der Finanzminister und Notenbankchefs veröffentlichte die OECD/G20 nun einen konkreten Fahrplan für eine internationale Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Im Kern geht es dabei um zwei Säulen.

Ausgangspunkt der ersten Säule ist, die Besteuerungsrechte künftig auch auf die sogenannten Markt- oder Nutzerstaaten zu verteilen. Das sind diejenigen Staaten, in denen sich die Nutzer von digitalen Dienstleistungen befinden, wo deren Absatzmärkte liegen oder wo nutzergenerierte Daten gewonnen werden.

Modifikation des Betriebsstättenprinzips

Dazu muss der rechtliche Anknüpfungspunkt für eine Besteuerung, der sogenannte Nexus, modifiziert werden. Dieser basiert nach bisherigem internationalem Konsens auf dem Betriebsstättenprinzip: In dem jeweiligen Land muss eine physische Präsenz vorhanden sein.

Bei der Modifikation dieses Prinzips kommen Konzepte in Betracht, die anknüpfen an eine Erweiterung des bisherigen Betriebsstättenbegriffs auf nicht-physische Komponenten, zum Beispiel bei nachhaltiger und signifikanter Einflussnahme auf eine nationale Volkswirtschaft. Auch wäre denkbar, einen eigenen Anknüpfungspunkt für ein nationales Besteuerungsrecht in Ergänzung zum physischen Betriebsstättenkonzept zu schaffen, zum Beispiel bei dauerhafter Tätigkeit und Nutzung des Zielstaates über den reinen Vertrieb von Waren hinaus.

Neue Aufteilung von Unternehmensgewinnen

Darüber hinaus müssen die internationalen Regelungen zur Allokation von Gewinnen an dieses neue Nexus-Prinzip angepasst werden. Nach bisherigem internationalen Konsens folgt die Gewinnallokation dem sogenannten Fremdvergleichsgrundsatz: Einer Betriebsstätte sind letztlich die Gewinne zuzuordnen, die ein unabhängiger Dritter unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen erzielt hätte.

Nach dem Fahrplan der OECD/G20 werden Konzepte für eine Gewinnallokation erörtert, die dagegen eine proportionale Aufteilung von Unternehmensgewinnen entsprechend der Wertschöpfung in einem bestimmten Markt oder im Verhältnis der Aufwendungen für Marketing, Vertrieb und nutzerbezogene Aktivitäten vorsehen.

Vorschlag: internationale Mindestbesteuerung

Die zweite Säule der Strategie der OECD/G20 besteht darin, ein bestimmtes Mindestbesteuerungsniveau für Digitalunternehmen sicherzustellen. Dies soll zum einen durch eine Mindestbesteuerung im Ansässigkeitsstaat und zum anderen durch Abzugsbeschränkungen bei Zahlungen ins Ausland geschehen.

Für Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind, würde dies bedeuten, dass Gewinne ausländischer Tochtergesellschaften in Deutschland steuerpflichtig wären, wenn und soweit diese im Ausland nicht besteuert wurden oder einer niedrigen Besteuerung unterlegen haben. Über den Prozentsatz einer "Niedrigbesteuerung" gibt es jedoch bisher international noch keinen Konsens.

Leisten in Deutschland ansässige Unternehmen Zahlungen an verbundene Unternehmen im Ausland, sollen nach den Vorschlägen der OECD/G20 diese Zahlung für steuerliche Zwecke in Deutschland nicht oder nicht in vollem Umfang als Betriebsausgaben geltend gemacht werden können, wenn diese Zahlungen im Ausland keiner oder einer niedrigen Besteuerung unterliegen.

Konsens soll bis 2020 stehen

Zum Fortgang dieser Überlegungen haben sich OECD/G20 einen ambitionierten Fahrplan gegeben, den die G20-Finanzminister und -Notenbankchefs im Wesentlichen unverändert verabschiedet haben. Bis 2020 soll nun eine international konsensfähige Lösung erarbeitet werden.

Bemerkenswert ist, dass selbst Nationen, die traditionell für marktstarke Internetunternehmen stehen - namentlich die USA und China -, sich dem internationalen, auf konsensuales Handeln fokussierten Rahmen der OECD/G20 letztlich nicht verschlossen haben und ein abgestimmtes Vorgehen befürworten.

Geplant ist auch, die ökonomischen Konsequenzen avisierter Maßnahmen zu untersuchen. So sollen neben den ökonomischen Folgen für die beteiligten Staatshaushalte und die Steuerpflichtigen insbesondere auch Verwaltungskosten für die Finanzverwaltung und die Steuerpflichtigen ermittelt werden.

Unternehmen müssen sich mit neuen Steuerregeln auseinandersetzen

Blickt man auf die Umsetzung der übrigen Aktionspunkte des BEPS-Projektes zurück, steht zu erwarten, dass die OECD/G20 das vorhandene Momentum zu nutzen wissen und den Fahrplan zur Reform der Besteuerung von digitalen Geschäftsmodellen im Wesentlichen einhalten werden.

Kurz- bis mittelfristig werden sich international tätige Unternehmen daher wohl neuen steuerlichen Regeln gegenübersehen. Bestehende Systeme zur konzerninternen Gewinnabgrenzung müssen angepasst werden; außerdem steht zu befürchten, dass der bürokratische Aufwand, zum Beispiel für zusätzliche Steuererklärungen, weiter steigen wird.

Der weitere Abstimmungsprozess auf Ebene der OECD/G20 wird mit Spannung zu beobachten sein. Besondere Brisanz versprechen die Untersuchungen zu den ökonomischen Konsequenzen der geplanten Maßnahmen.

Der Wunsch der Finanzminister, sich den Zugriff auf Unternehmensgewinne von Digitalunternehmen zu sichern, mag zunächst verständlich sein. Zu beachten sind aber auch die Begehrlichkeiten anderer Staaten. Zu denken wäre hier an einen möglichen Steuerzugriff ausländischer Staaten auf Gewinne deutscher Unternehmen, etwa wenn die deutsche Automobilindustrie Fahrzeuge zum Lernen und zur Fortentwicklung des autonomen Fahrens auf die Straßen fremder Länder schickt.

Der Autor Dr. Andreas Gerten, LL.M. (NYU) ist Counsel bei CMS Deutschland. Der Rechtsanwalt und Steuerberater berät sowohl mittelständische Unternehmen als auch Konzerne im nationalen und internationalen Unternehmenssteuerrecht.

Zitiervorschlag

Besteuerung der Digitalwirtschaft: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36185 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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