Die Verhandlungen zum Brexit laufen, ihr Ausgang ist unsicher. Unternehmen denken bereits über die Verlagerung ihres Sitzes nach Kontinentaleuropa nach. Was sie dabei beachten müssen, erklären Dirk Jannott und Nela Vasova.
Die Europäische Union und Großbritannien haben gerade in Brüssel die zweite Brexit-Verhandlungsrunde beendet, um die Bedingungen für den britischen EU-Austritt im Jahre 2019 zu klären. Streitpunkt ist neben der Arbeitnehmerfreizügigkeit unter anderem der künftige Zugang für britische Unternehmen zum europäischen Binnenmarkt. Bei den Verhandlungen geht es um die Frage, ob in Großbritannien ansässige Unternehmen ihre Niederlassungsfreiheit im europäischen Raum verlieren werden. Dasselbe gilt für die übrigen europäischen Grundfreiheiten wie beispielsweise die Dienstleistungs- und die Kapitalverkehrsfreiheit. Auch deutsche Unternehmen in der englischen Rechtsform Limited wären von Änderungen betroffen.
Britische Gesellschaften werden unruhiger, der ungewisse Ausgang der Brexit-Verhandlungen drängt sie dazu, über einen Umzug auf das europäische Festland nachzudenken. Denn derzeit ist für viele Unternehmen unsicher, ob sie ihre Geschäftstätigkeit auch nach dem Brexit weiterhin europaweit ausüben können. Das gilt nicht nur für Banken, die mit dem Brexit möglicherweise ihren "Europäischen Pass" verlieren. Nicht auszuschließen ist auch die Wiedereinführung der Zollpflicht für Exporte in die EU sowie der Verlust von steuerlichen Vorteilen.
Schwierig kann die rechtliche Lage auch für die in Deutschland tätigen britischen Limiteds werden. Viele haben sich aufgrund der niedrigen Mindestkapitalanforderungen für diese britische Rechtform entschieden, obwohl sie von Anfang an ihre gesamte Geschäftstätigkeit ausschließlich in Deutschland ausgeübt haben. Es wird bereits jetzt darüber diskutiert, ob ihnen ihre Rechtsfähigkeit nach dem britischen Austritt von den deutschen Gerichten aberkannt wird.
Die von vielen Unternehmen bereits ins Auge gefasste Auswanderung nach Kontinentaleuropa ist mit einigen juristischen, steuerlichen und operativen Herausforderungen verbunden. Je nach Komplexität des Vorgangs und der Größe des Unternehmens kann diese bis zu 18 Monate in Anspruch nehmen. Für die erfolgreiche und zeitsparende Bewältigung einer Sitzverlegung ist dabei die richtige Auswahl des geeigneten Umzugskonzepts von entscheidender Bedeutung. Das europäische Rechtssystem sieht auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden Mobilität von europäischen Gesellschaften vier Möglichkeiten der Sitzverlegung vor.
Verschmelzung mit Europa
Eine ist die grenzüberschreitende Verschmelzung einer britischen Kapitalgesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Diese Methode basiert auf der Europäischen Verschmelzungsrichtlinie aus dem Jahre 2005 und hat den Vorteil, dass der Übergang der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtnachfolge vollzogen wird, ohne dass es eines langwierigen Liquidationsverfahrens in Großbritannien bedarf.
Für die Durchführung einer solchen Fusion bedarf die Gesellschaft der Zustimmung einer Mehrheit von 75 Prozent der Gesellschafter. Unter bestimmten Bedingungen muss zudem eine Zustimmung der britischen Gläubigerversammlung eingeholt werden. Die aufnehmende europäische Gesellschaft kann auch kurz vor Verschmelzung gegründet bzw. in Form einer Vorratsgesellschaft erworben werden.
Nur die SE kann es: grenzüberschreitende Sitzverlegung
Eine weitere und ebenfalls attraktive Variante stellt die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer Europäischen Aktiengesellschaft (SE) dar. Die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Sitzverlegung zählt zu den prägendsten Merkmalen einer SE und ist zurzeit nur bei dieser Kapitalgesellschaftsform problemlos möglich.
Die Besonderheit dabei ist, dass die Gesellschaft trotz der Sitzverlegung sowohl ihre Rechtsperson als auch ihre Rechtsform bewahrt. Der identitätswahrende Charakter der Sitzverlegung bringt zudem eine weitere Erleichterung mit sich: Die Gläubiger der SE müssen dem Umzug nicht zustimmen. Diese Auswanderungsvariante muss in zwei Schritten vollzogen werden, sofern das umzugswillige Unternehmen nicht bereits in der Form der SE besteht. In einem ersten Schritt wird die britische Gesellschaft in eine SE umgewandelt – das geht nur bei Aktiengesellschaften und auch nur dann, wenn sie seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft hat.
Im Falle einer englischen Limited muss somit der Umwandlung in eine SE die Umwandlung der Limited in eine Plc. vorgeschaltet werden; dies ist im Wege einer sogenannten Kettenumwandlung möglich. Alternativ könnte nach den nationalen Verschmelzungsregeln die englische Limited auf eine bereits gegründete britische Vorrats-SE verschmolzen werden. In der Praxis empfiehlt sich dieser Weg insbesondere dann, wenn die englische Gesellschaft keine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat unterhält. Nach dem Abschluss der Umwandlung kann die SE in einem zweiten Schritt problemlos ihren Sitz in einen anderen EU/EWR-Mitgliedstaat verlegen.
Folgen des Brexits für Unternehmen: . In: Legal Tribune Online, 26.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23621 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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