Google ist ein Unternehmen mit "überragender marktübergreifender Bedeutung". Mit dieser Klassifizierung kann das BKartA nun bei Wettbewerbsverstößen schneller und härter eingreifen, erklären Marcel Nuys und Juliana Penz-Evren.
Das Bundeskartellamt (BKartA) hat mit Google das erste der vier großen US-Technologieunternehmen (Google, Amazon, Meta, Apple) förmlich als Unternehmen mit "überragender marktübergreifender Bedeutung“ klassifiziert. Das Verfahren hat weniger als acht Monate gedauert. Da Google nach eigener Aussage gegen den Beschluss nicht vorgehen wird, ist der Weg für Maßnahmen geebnet.
Möglich machte das die im Januar 2021 in Kraft getretene 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Mit dieser hat der Gesetzgeber dem BKartA deutlich erweiterte Eingriffsbefugnisse an die Hand gegeben. Zentrale Vorschrift ist § 19a GWB: Das BKartA kann Unternehmen die "überragende marktübergreifende Bedeutung" attestieren und damit einer deutlich schärferen Aufsicht unterstellen.
Erwartungsgemäß ließ sich das BKartA nicht lange bitten. Bereits am 28. Januar 2021, nur wenige Tage nach In-Kraft-Treten der neuen Vorschrift, leitete es das erste Verfahren nach dieser Vorschrift gegen Facebook (inzwischen umfirmiert auf den Namen Meta) ein. Die übrigen ehemals als Gafa bezeichneten, nunmehr Gama-Unternehmen (Google, Amazon, Meta und Apple), folgten bis Mitte 2021.
GWB-Novelle war "Lex Gafa"
Kurze Verfahrensdauer und Verzicht auf Rechtsmittel im Fall Google verwundern nur auf den ersten Blick. Im Gesetzgebungsverfahren wurde § 19a GWB – aufgrund des klaren Zuschnitts auf die großen amerikanischen Digitalunternehmen – als "Lex Gafa" bezeichnet. Das BKartA konnte also scheinbar mühelos die Voraussetzungen der "überragenden marktübergreifenden Bedeutung" bejahen.
Entscheidende Elemente für diese Prüfung in Bezug auf das betrachtete Unternehmen sind: (i) seine marktbeherrschende Stellung auf einem oder mehreren Märkten, (ii) seine Finanzkraft oder sein Zugang zu sonstigen Ressourcen, (iii) seine vertikale Integration und seine Tätigkeit auf in sonstiger Weise miteinander verbundenen Märkten, (iv) sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten und (v) die Bedeutung seiner Tätigkeit für den Zugang Dritter zu Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie sein damit verbundener Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter.
Als für die Beurteilung relevant sah das BKartA unter anderem, dass Google insbesondere mit der Google-Suche, YouTube, Chrome, Android und dem Play Store über eine Vielzahl von – nach Ansicht des BKartA – zumindest marktstarken Diensten verfügt. Auf dem Markt für allgemeine Suchdienste verfüge das Unternehmen über Marktanteile von über 80 Prozent und damit über eine marktbeherrschende Stellung. Google sei darüber hinaus der wesentliche Anbieter für suchgebundene Werbung. Das BKartA würdigte ebenso die hohe Zahl täglich und monatlich aktiver Nutzer der Google Dienste Google-Suche, YouTube, Android und Chrome.
BKartA: Google macht die Regeln
Darüber hinaus habe Google bedeutenden Einfluss auf den Zugang anderer Unternehmen zu seinen Nutzern und Werbekunden (z.B. über die Google-Suche, YouTube, Android, den Play Store oder seine Werbedienste) und könne marktübergreifend gegenüber anderen Unternehmen die Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben. Laut BKartA könne eine Vielzahl anderer Leistungen weitgehend nur über diese Dienste erbracht werden bzw. haben diese Dienste eine hohe Bedeutung für die wirtschaftlichen Aktivitäten Dritter. Insoweit könne – so das BKartA – von einem "Infrastrukturcharakter" dieser Dienste gesprochen werden.
Google verfüge schließlich über einen "herausragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten" aufgrund seiner großen Nutzerbasis, der weiten Verbreitung seiner Werbedienste und der Vielzahl der Daten, die Google über Nutzerdienste- und teilweise auch geräteübergreifend - erheben kann. Dies ermögliche Google nicht nur die Vermarktung zielgerichteter Werbung, sondern auch die stetige Fortentwicklung seiner Dienste. Laut BKartA können die wettbewerblichen Vorteile aus diesem Datenzugang sowie andere Ressourcen, darunter die Marke "Google", als vielfältig nutzbare Einsatzfaktoren (shareable inputs) marktübergreifend eingesetzt werden.
Die überragende Bedeutung von Google für den Wettbewerb komme schließlich auch in seiner hohen Marktkapitalisierung und seiner Bedeutung für das gesellschaftliche Leben zum Ausdruck.
Schnelleres und härteres Vorgehen möglich
Das BKartA kann – zumindest für einen Zeitraum von fünf Jahren – von seinen erweiterten Befugnissen Gebrauch machen. Konkret bedeutet dies, dass die Behörde härter und insbesondere schneller vorgehen kann, wenn sie ein Verhalten für wettbewerbswidrig hält. Solche Verhaltensweisen können beispielsweise liegen in der Bevorzugung eigener Dienste, dem Ausbau der eigenen Marktstellung auf noch nicht beherrschte Märkte mit Mitteln, die nicht dem Leistungswettbewerb entsprechen (z.B. durch Kopplungs- bzw. Bündelungsangebote) oder der Errichtung oder Erhöhung von Marktzutrittsschranken durch die Verarbeitung wettbewerbsrelevanter Daten.
Das BKartA hat in diesem Zusammenhang bereits Mitte 2021 zwei weitere Verfahren gegen Google eingeleitet. In dem ersten Verfahren prüft das BKartA die Konditionen von Google zur Datenverarbeitung. Hierbei prüft das BKartA, ob Google die Nutzung seiner Dienste von einer Zustimmung zu der Datenverarbeitung abhängig macht, bei der es keine ausreichende Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Umstands, des Zwecks und der Art und Weise der Verarbeitung der Daten gibt.
Gegenstand des zweiten Verfahrens ist das Nachrichtenangebot Google News Showcase – ein Dienst, der die Möglichkeit zur hervorgehobenen und vertieften Darstellung von Verlagsinhalten gibt. Das BKartA prüft, ob mit der angekündigten Einbindung des Google News Showcase-Angebots in die allgemeine Suche eine Selbstbevorzugung von Google bzw. eine Behinderung konkurrierender Angebote Dritter droht. Geprüft wird ebenfalls ob die zugrundeliegenden Vertragsbedingungen die teilnehmenden Verlage unangemessen benachteiligen. Am 12. Januar 2022 teilte das BKartA mit, dass Google Maßnahmen vorgeschlagen hat, um wettbewerbliche Bedenken der Behörde auszuräumen. Unter anderem sei die Einbindung der Showcase-Inhalte in die allgemeine Google Suche nicht mehr geplant. Das BKartA befragt derzeit die Verlagsbranche zu den vorgeschlagenen Maßnahmen.
Das BKartA wird auch diese Verfahren schnell zu einem Abschluss bringen. Gleichwohl – sollten auch diese Verfahren für Google nachteilig ausgehen – ist schwer vorstellbar, dass das Unternehmen kampflos die weiteren Waffen streckt.
Das Big Picture: BKartA prescht vor – nur wie lange?
Dessen ungeachtet sind diese beiden Verfahren wohl nur ein Vorgeschmack für Google ebenso wie für die anderen Gama.
Die Ermittlungen des BKartA gegen die Gama-Unternehmen haben seit Einführung der neuen Vorschriften an Fahrt aufgenommen. Neben den Verfahren gegen Google reiht sich ein im Dezember 2020 eingeleitetes Verfahren gegen Meta in Bezug auf die Verknüpfung von Oculus mit dem Facebook-Netzwerk. Zudem führt das BKartA zwei Verfahren gegen Amazon, die noch unter den früheren Wettbewerbsvorschriften eingeleitet wurden. In Bezug auf Apple scheint das BKartA ebenfalls bereits konkrete Verhaltensweisen im Auge zu haben, die sich für ein Verfahren anbieten könnten. Aus Sicht des BKartA dürfte also gelten: More to come.
Gleichzeitig arbeitet die Europäische Union mit Hochdruck an einem neuen Regelwerk für große Digitalunternehmen. Mit dem Digital Markets Act (DMA) will die EU so genannten Gatekeeper-Unternehmen bestimmte wettbewerbsrechtliche Ge- und Verbote auferlegen. Anders als in Deutschland hängt der EU-Ansatz derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren. Nichtsdestotrotz drängt sich die Frage auf, in welchem Verhältnis der deutsche § 19a GWB zu den Regeln des DMA stehen wird. Bleiben beide Regelungen nebeneinander stehen oder wird §19a GWB durch die EU Regeln verdrängt und verliert somit quasi seinen Anwendungsbereich? Über diese Frage scheiden sich zurzeit die wettbewerbsrechtlichen Geister. Das Ergebnis wird wohl vermutlich irgendwo in der Mitte liegen.
Der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt zeigt sich derweil entschlossen: "Der Wettbewerbsschutz in der Digitalwirtschaft bleibt eine Top-Priorität für das Bundeskartellamt." Ob das BKartA weiterhin die Zügel in der Hand halten wird oder nach Inkrafttreten des DMA an die Europäische Kommission diese abgeben muss, bleibt abzuwarten.
Der Autor Dr. Marcel Nuys ist Rechtsanwalt und Partner im Düsseldorfer Büro von Herbert Smith Freehills und berät regelmäßig Unternehmen im Kartell- und Wettbewerbsrecht. Die Autorin Juliana Penz-Evren ist Senior Associate im Brüsseler Büro der Kanzlei.
Erste Entscheidung des BKartA gegen Google nach GWB-Novelle: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47178 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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