Der Deutsche Vergütungsrat setzt sich für ein Ziel ein, gegen das eigentlich niemand etwas einwenden kann: transparente Anwaltshonorare. Und doch gibt es massive Kritik aus der Anwaltschaft. Transparenz als intransparentes Geschäftsmodell?
Selten hat eine Initiative so viel Argwohn in der Anwaltschaft ausgelöst wie der "Deutsche Vergütungsrat". Der will für mehr Preistransparenz bei Rechtsanwaltshonoraren sorgen – ein löbliches Ziel. Und dennoch stehen viele Beobachtende dem Ganzen etwas ratlos gegenüber. Auf der einen Seite gehören dem Senat des Vergütungsrats angesehene Vertreterinnen und Vertreter von bekannten Unternehmen, einflussreichen Verbänden, großen Kanzleien und der Wissenschaft an.
Auf der anderen Seite weiß man nicht so recht, wie man die drei Initiatoren einschätzen soll, denn sie sind bislang im Markt kaum bekannt: Dr. Christopher Hahn und Prof. Dr. Clemens Engelhardt sind Partner der kleinen Kanzlei Trustberg, die in den Bereichen M&A, Gesellschaftsrecht und Venture Capital tätig ist. Der dritte im Bunde, Dan Bauer, tritt zwar als Experte für Kanzlei-Marketing auf, ist als solcher aber zumindest in den großen Sozietäten noch nicht nachhaltig in Erscheinung getreten.
Der Auslöser: Die Preisliste
Hahn und Engelhardt haben im Frühjahr auf sich aufmerksam gemacht, als sie auf Linkedin eine Preisliste veröffentlicht haben. Dieser Liste war zu entnehmen, was man zu bezahlen hat, wenn man ihre Kanzlei beispielsweise mit einer Small-Cap-Due-Diligence oder einem Mid-Cap-Kaufvertrag beauftragt. In der Anwaltschaft wurde das kontrovers diskutiert: Ist das nun unseriös oder besonders kundenorientiert? Einig war man sich nur darin, es für einen genialen Marketing-Coup zu halten.
Christopher Hahn sagt, die Preisliste war Ergebnis eigener Erfahrungen, die er – der neben seinem Anwaltsberuf auch als Unternehmer tätig ist - bei der Mandatierung externer Rechtsberater gesammelt hat. "Obwohl ich vom Fach bin, war ich jedes Mal erstaunt, wenn ich die Abrechnung erhalten habe." Die Diskrepanz zwischen seiner Erwartung und der tatsächlichen Rechnung sei häufig so groß gewesen, dass er mit seinem Partner Engelhardt für die eigene Kanzlei eine Preisliste entwickelt und verbreitet habe. Was dann folgte, damit habe er nicht gerechnet, sagt Hahn.
Einer der vielen Marktteilnehmenden, der die Preisliste gesehen hat, war Dan Bauer. Der Marketingexperte war nach eigenen Worten völlig begeistert und hat die Anwälte umgehend kontaktiert. Zunächst hat er Engelhardt in seinen Podcast eingeladen, dann haben die drei entschieden, mehr aus dem Thema Preistransparenz zu machen.
Engelhardt wiederum wurde von einem Inhouse-Juristen angeschrieben, der sich mit ihm über Honorargestaltung austauschen wollte. Zunächst sollte das ein Hintergrundgespräch sein, auf Wunsch von Engelhardt, so berichtet dieser es, entschied man sich aber, daraus eine offene Diskussion zu machen. "Wir wollten ein Forum schaffen zum Austausch für Unternehmen, Kanzleien, Wissenschaft. Alle Beteiligten sollen außerhalb einer konkreten Mandatsbeziehung über Preisgestaltung sprechen können – ohne den Druck, einen Auftrag vergeben oder erhalten zu müssen", sagt Engelhardt.
So entstand der Deutsche Vergütungsrat, der auf einer Online-Konferenz Mitte November einen ersten Honorarkodex verabschiedet hat. Jährliche Aktualisierungen und Erweiterungen sollen folgen, unter anderem sind "Allgemeine Vergütungsbedingungen" geplant.
"Wäre es eine Masche, wäre ich nicht dabei"
Einer von 17 sogenannten Senatoren des Vergütungsrates ist Stefan Schicker, Managing Partner der Kanzlei SKW Schwarz. Die Idee und die Inhalte, die hinter dem Vergütungsrat stehen, findet er gut, sagt Schicker im Gespräch mit LTO. Es sei eine "Diskussion auf Augenhöhe", die sich zwischen Vertretern aus Kanzleien, Unternehmen und Forschungseinrichtungen über das Dauerthema Honorargestaltung entwickele. "Man kann natürlich die Augen verschließen und nicht über Vergütung reden. Aber Unternehmen wollen darüber sprechen, deswegen halte ich es für sinnvoll, es auch zu tun", sagt er.
Im Vergütungsrat ist Schicker in der Fachgruppe Legal Tech aktiv. Denn gerade bei der Frage, wie man den Einsatz eines Tools bepreise, das eine Kanzlei einmal entwickelt habe und dann immer wieder bei Mandanten einsetze, gebe es viel Gesprächsbedarf, hat er beobachtet. Die Kritik einiger seiner Anwaltskollegen am Vergütungsrat teilt er nicht: "Wenn ich den Eindruck hätte, es wäre eine Masche, wäre ich nicht dabei", sagt er.
"Wenn über Preistransparenz diskutiert wird, will ich mit am Tisch sitzen"
Als Senatorin für Verbände gehört Inga Vogt dem Gremium an. Sie leitet die Hauptstadtrepräsentanz des Bundesverbands der Unternehmensjuristen BUJ. "Ich habe die große Resonanz auf die Initiative in den sozialen Medien verfolgt und dann entschieden: Wenn über Preistransparenz und faire Vergütung anwaltlicher Arbeit diskutiert wird, will ich mit am Tisch sitzen", begründet sie ihr Engagement.
Vogt sagt, sie könne die Skepsis der Anwaltschaft verstehen. Dennoch sei die Frage nach einer kalkulierbaren Vergütung ein wichtiges Thema für Unternehmen: "Wenn man im Verbraucherbereich darüber redet, dass Mandanten ein Recht auf Transparenz haben, ist das gar keine Diskussion. Warum sollte dieser Anspruch bei Unternehmen dann hinterfragt werden?"
Selbstverpflichtung gegen Bezahlung
Neben denen, die sich von der Idee des Vergütungsrats haben überzeugen lassen, gibt es aber eine zweite Gruppe, die der Sache sehr skeptisch gegenübersteht. Nun könnte man sagen, dass es typisch für die Anwaltschaft ist, Neues zunächst einmal abzulehnen. Doch es gibt einige diskussionswürdige Punkte.
Zum Beispiel die "Zertifizierungen": Anwältinnen und Anwälte können sich selbst verpflichten, den Honorarkodex des Vergütungsrats einzuhalten. Dazu müssen sie ein Formular auf der Website des Vergütungsrates mit ihrem Namen und ihrer Adresse ausfüllen. Und bezahlen: pro Jahr 169 Euro pro Berufsträgerin oder -träger, per Paypal oder Kreditkarte. Im Gegenzug erhalten sie ein "Siegel", mit dem sie für sich werben können.
Abgesehen davon, dass nicht kontrolliert wird, ob sich alle, die sich zertifizieren lassen, wirklich an die Richtlinien halten, wittern manche ein cleveres Geschäftsmodell. Denn schließlich werden in der Regel nicht einzelne Berufsträgerinnen oder Berufsträger mandatiert, sondern Kanzleien. Und wollte sich eine mittelgroße Sozietät mit rund 30 Anwältinnen und Anwälten zertifizieren lassen, würde das über 5.000 Euro pro Jahr kosten. Hätte die Kanzlei 200 Berufsträgerinnen und Berufsträger, kämen sogar schon 33.800 Euro zusammen.
Die Initiatoren sagen, dass es sich bei den 169 Euro pro Jahr und Berufsträger um eine Art Selbstkostenpreis handelt, lediglich dazu gedacht, die Kosten zu decken. Auch soll es je nach Kanzleigröße gestaffelte Preise geben. Zudem stellen sie in Aussicht, dass es in den kommenden Jahren nicht mehr so leicht sein werde, sich zertifizieren zu lassen. Man habe aber in dieser ersten Phase bewusst auf harte Auditierungen und Prüfungen verzichtet, um der Sache nicht zu schaden, so Engelhardt.
Warum eine irische Limited?
Für Kritik sorgt auch die gesellschaftsrechtliche Struktur des Vergütungsrats. Denn es ist keine gemeinnützige Organisation, die diese Zertifizierung anbietet, sondern eine irische Limited, deren Direktoren Engelhardt, Hahn und Bauer sind.
Eine Gestaltung, die unter anderem Sebastian Naber, Partner der Kanzlei Neuwerk, deutlich kritisiert: "Wenn man eine Diskussion anstößt, sollte man transparent machen, warum man das tut und wer dahintersteckt – und nicht eine Limited in Irland gründen", sagte der Anwalt gegenüber LTO. Zertifizierungen an sich hält er nicht für verwerflich, "aber normalerweise ist transparent, wer dahintersteht und das Geld für die Siegel kassiert".
Agieren nun also gerade diejenigen, die für Preistransparenz einstehen wollen, intransparent? Engelhardt sagt zur Frage der Limited, man beabsichtige für Deutschland eine Stiftungslösung. "Bis zu deren Umsetzung findet die Administration in einer juristischen Person statt, die auch in anderen Ländern marktgängig ist. Dies auch vor dem Hintergrund der Erweiterung auf die Schweiz, Österreich und UK und Irland."
Auch inhaltlich soll der Kodex weiterentwickelt werden, und damit will der Vergütungsrat ein weiteres Argument seiner Kritiker entkräften. Denn – darin sind sich Beobachtende einig – in seiner ersten Fassung enthält der Kodex vor allem Allgemeinplätze, die jeder und jede ohne auch nur mit der Wimper zu zucken unterschreiben kann.
Hahn sagt, er könne den Vorwurf nachvollzielen, dass der Kodex aus Sicht mancher Juristen unfertig ist. Man sei aber strategisch wie bei einem Start-up vorgegangen: "Mit einem Prototyp an den Markt gehen, weil man das Bedürfnis erkannt hat. Und aus diesem Prototyp dann ein fertiges Produkt machen – und nicht etwa jahrelang den Diamanten schleifen, völlig am Markt vorbei."
Auswirkungen des Kodex' frühestens 2021 sichtbar
Ob sich die Zertifizierungen am Markt durchsetzen, wird sich wohl erst 2021 zeigen. Zwar sind einige Kanzleivertreter, mit denen LTO gesprochen hat, durchaus interessiert. Aber im Jahresendgeschäft haben sie kein Siegel gebraucht, um Mandanten anzusprechen, und vermutlich werden auch Anfang 2021 andere Themen – Stichwort Corona – zunächst im Vordergrund stehen.
Der Unternehmensjuristenverband BUJ könnte als größte Interessenvertretung der Berufsgruppe eine wichtige Rolle dabei spielen, die Zertifizierungen zu etablieren. Dort ist man aber zurückhaltend. Man werde den Mitgliedsunternehmen nicht empfehlen, bei Mandatierungen auf das Zertifikat zu achten. "Wir wollen die Autonomie der Vertragsparteien nicht beschneiden", sagt Inga Vogt. Unabhängig vom Honorarkodex hält sie es jedoch für wichtig, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen. Denn faire Vergütung für anwaltliche Arbeit und der Anspruch auf Transparenz und Kalkulierbarkeit seien zwei Seiten einer Medaille.
Offen bleibt die Frage: Wem nützt das alles? Die Initiatoren des Vergütungsrats treten betont unternehmerisch auf und bewerben die Zertifizierungen sehr engagiert. Dass sie völlig uneigennützig handeln, mag man ihnen deshalb nicht so recht abnehmen. Der Vorwurf, dass sie nur auf die leichte Tour abkassieren wollen, überzeugt aber ebenfalls nicht. Womöglich ist für sie der Marketingaspekt zentral: Bauer, Engelhardt und Hahn haben innerhalb kürzester Zeit ihr Netzwerk massiv erweitert und eine Menge potenzieller Kundinnen und Kunden kennengelernt. Die Mitglieder des Senats werden ihnen das gönnen. Denn – Zertifikate hin, Kodex her – sie haben eine Plattform, auf der sie sich über Honorare austauschen können. Und das dürfte unbezahlbar sein.
Der Deutsche Vergütungsrat: . In: Legal Tribune Online, 04.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43889 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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