Produktiv bleiben im Homeoffice: "Durch­ar­beiten rächt sich"

Interview von Dr. Anja Hall

04.06.2020

Nach einigen Wochen im Homeoffice zeigen sich Ermüdungserscheinungen: Projekte laufen chaotisch, Konflikte im Team häufen sich, Lagerkoller bricht aus. Wie man jetzt die Produktivität aufrechterhält, erklärt Carmen Schön

LTO: Frau Schön, viele Anwälte arbeiten nun seit Wochen im Homeoffice. Das Arbeiten von zuhause erweist sich aber in vielen Teams als zunehmend schwierig. Wie bleibt man produktiv? 

Carmen Schön: Nun, wenn Sie so fragen, gehen Sie davon aus, dass zuhause weniger produktiv gearbeitet wird als im Büro. Das glaube ich aber gar nicht. Produktiv ist, wer sich wohl fühlt, gut ins Team integriert ist und über alle Informationen verfügt, mit denen er seine Projekte abarbeiten kann. Das gilt im Büro wie im Homeoffice. Allerdings sind die Schwierigkeiten daheim andere als in der Kanzlei. 

Welche wären das zum Beispiel? 

Das fängt schon damit an, dass ich, wenn ich von zuhause arbeite, den Arbeitstag als Ganzes mit der Familie planen muss. Während ich mich im Büro vor allem auf mich selbst konzentrieren kann, sind da nun eventuell ein Partner, der ebenfalls im Heimbüro arbeitet, und Kinder, die zu betreuen sind, – auch ihre Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden.  

Dann spielt die Einrichtung des Arbeitsplatzes eine große Rolle. Viele Anwälte arbeiten am Küchentisch und sitzen dort stundenlang mit krummem Rücken, weil sie keinen ergonomischen Stuhl haben. Oder sie richten ihr Büro im Schlafzimmer ein, wo sie allerdings auch nicht ungestört sind, weil irgendwann das Kind hereinkommt und auf dem Bett herumspringt. 

"Nicht direkt vom Frühstück an den Schreibtisch wechseln" 

An der Wohnung lässt sich aber nicht so leicht etwas ändern… 

Das nicht. Aber man könnte einen Bereich in der Wohnung nur für das Arbeiten reservieren und diesen dann möglichst professionell ausstatten. Auch kann es helfen, das Setting zu wechseln. Also sich nicht vom Frühstückstisch direkt an den Schreibtisch zu setzen, sondern sich einen "Weg zur Arbeit" bewusst zu machen. Das könnte zum Beispiel auch bedeuten, dass man sich anzieht, als würde man ins Büro gehen, einmal um den Block spaziert und sich dann an die Arbeit macht.  

In diesen Zusammenhang gehört auch das Thema Pausen. Viele haben ja das Gefühl, im Moment daheim mehr zu arbeiten als im Büro. Das kann auch sehr gut sein, denn durch die Coronakrise fällt viel Arbeit an. Zudem wollen Associates ihren Partnern sicher auch zeigen, dass sie fleißig sind. Und nicht zuletzt konnte man in den vergangenen Wochen ja wenig unternehmen, viele Freizeitaktivitäten waren nicht erlaubt. Da lag es nahe, mehr zu arbeiten als man es vielleicht sonst tun würde. 

Allerdings ist der Wechsel von Anspannung und Entspannung extrem wichtig, um produktiv zu bleiben. Also: Gehen Sie kurz zur Kaffeepause auf den Balkon, kochen Sie sich etwas in der Mittagspause oder machen Sie einen Spaziergang. Natürlich kann man auch durcharbeiten. Aber ich bin sicher, dass sich das am Ende rächt. 

"Den Tag mit einem 'Quick-Win' starten" 

Was raten Sie denjenigen, die das Gefühl haben, es prassele zu viel auf sie ein? 

Erstellen Sie einen Tagesplan! Man sagt, acht Minuten Planung pro Tag ersparen eine Stunde Arbeit. Das beginnt damit, sich einen Überblick zu verschaffen: Welche Aufgaben stehen heute an? Wie viele Meetings und Telefonkonferenzen habe ich heute? Gewichten Sie Aufgaben nach "wichtig" und "weniger wichtig" und verteilen Sie diese über den Arbeitstag hinweg. Überlegen Sie dabei, wie oft Sie gestört werden und wann Sie wie lange ungestört arbeiten können. 

Sie könnten Ihren Tag mit einem "Quick-Win" beginnen: Erledigen Sie zum Start eine weniger wichtige Aufgabe und feiern Sie diesen ersten kleinen Erfolg. Das hilft auch, Ihre Selbstmotivation aufrechtzuerhalten – Sie können einen ersten Punkt auf der To-Do-Liste abhaken. Setzen Sie sich Zwischenziele und freuen Sie sich, wenn Sie sie erreicht haben.  

Außerdem: Machen Sie sich bewusst, wie oft Sie Ihre Emails checken oder auf Ihrem Mobiltelefon nachschauen, ob es neue Nachrichten gibt. Gerade wenn man viel allein ist, wird das Handy zum Verbindungsmittel zur Außenwelt. Um sich nicht ständig selbst abzulenken, definieren Sie Zeiten, an denen Sie in Ihr Postfach schauen und Emails beantworten. Und gönnen Sie sich auch Pausen, in denen Sie genüsslich und in aller Ruhe Ihre WhatsApp-Nachrichten beantworten. 

"Wünsche äußern ist erlaubt"  

Viele Anwälte machen im Homeoffice die Erfahrung, dass es mehr Konflikte im Team gibt und Projekte chaotischer verlaufen. Wie lässt sich hier gegensteuern? 

Wenn alle daheim arbeiten und damit das komplette Team zerstreut ist, fällt die Führung durch den Partner, wie die Mitarbeitenden sie gewohnt waren, weg. Tatsächlich wissen viele Partner auch gar nicht, wie sie ihr Team virtuell führen sollen. Associates können in solchen Fällen "von unten führen", indem sie ihre Wünsche äußern und dem Partner sagen, was sie zum Beispiel im Blick auf Informationsfluss und Kommunikation brauchen. Es ist ein Trugschluss, dass das nicht erlaubt wäre. Im Gegenteil, ich bin sicher, dass die Partner dankbar sind, wenn die Mitarbeitenden ihnen sagen, was sie benötigen, um produktiv zu arbeiten. 

Generell lässt sich sagen, dass die Arbeit im Team neu aufgesetzt werden sollte. Bewährt haben sich beispielsweise Gruppen-Calls, kurze Besprechungen am Beginn des Arbeitstages. Dabei werden im Prinzip die Stand-up-Meetings, die ansonsten im Büro abgehalten werden, ins Virtuelle übertragen. Zwar geht das auch telefonisch, aber empfehlenswerter sind Videokonferenzen, damit die Gesprächsteilnehmer die Mimik und Gestik der anderen erfassen können. 

"Wie oft darf ich nerven?" 

Bei Projekten sollten der Arbeitsablauf und die Kommunikation darüber nun besonders genau definiert werden. Dabei sollte das Team beispielsweise für sich klären: Wer spricht man mit wem und wie oft? Oder anders gesagt: Wie oft darf ich den anderen nerven, wenn ich etwas nicht verstehe oder eine bestimmte Information benötige? Kleine Nachfragen, die wir üblicherweise erledigen, indem wir kurz ins Nachbarbüro gehen, sind im Homeoffice viel aufwändiger: Wir müssen zum Telefon greifen – und das wirkt viel offizieller und stört den anderen mehr als eine kurze Frage über den Schreibtisch hinweg. 

Im Homeoffice fällt auch das Zwischenmenschliche weg, etwa der kurze Plausch in der Kaffeeküche. Ich weiß von Teams, die dies kompensieren, indem sie sich zu einem virtuellen Kaffee treffen. Sie halten eine Videokonferenz um 17 Uhr ab, jeder holt sich eine Tasse Kaffee oder Tee – und dann ist tatsächlich nur Smalltalk erlaubt, es wird nicht über die Arbeit geredet.  

Glauben Sie, dass Anwälte in Zukunft mehr im Homeoffice arbeiten werden? 

Ich beobachte, dass viele Kanzleien, die bislang eher ablehnend auf das Thema Homeoffice reagiert haben, nun offener dafür werden. Denn sie sehen, dass es klappt. Allerdings wollen nun viele Associates, die bislang vehement Homeoffice-Tage eingefordert haben, allmählich ganz gerne ins Büro zurück. Ich vermute also, dass man sich in der Mitte treffen wird und sich vielleicht darauf einigt, dass ein oder zwei Tage pro Woche von daheim gearbeitet werden darf. 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schön! 

Die Volljuristin und ehemalige Rechtsabteilungsleiterin Carmen Schön berät und coacht Juristen, Führungskräfte und Anwaltskanzleien zu Themen wie Geschäftsaufbau, Führung, Auftritt und Wirkung.  

Zitiervorschlag

Produktiv bleiben im Homeoffice: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41803 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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