Anwalts-Startups: Hat die Großkanzlei ausgedient?

von Désirée Balthasar

21.01.2015

Sie sind kreativ, ehrgeizig und anspruchsvoll. Das Versprechen auf ein hohes Gehalt jedenfalls reicht nicht mehr aus, um Berufseinsteiger in eine der großen Wirtschaftskanzleien zu locken. Viele entscheiden sich beim Berufsstart für eine kleinere Einheit. Oder gründen gleich selbst ihre eigene Kanzlei.

Angenehme Kollegen, flache Hierarchien und anspruchsvolle sowie abwechslungsreiche Arbeit. Realistische Partnerchancen und die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen. Akzeptable Arbeitszeiten und frühzeitiger Mandantenkontakt. Diese Wunschliste von Dr. Bijan Moini hätte eine Großkanzlei nur schwer erfüllen können. Doch das wusste der 30-Jährige bereits vor seinem Berufseinstieg. Als Referendar und wissenschaftlicher Mitarbeiter hatte er die Law Firms hautnah kennengelernt – und entschied sich beim Berufsstart für eine mittelgroße Kanzlei. Seit 2014 ist Moini Associate bei Lindenpartners in Berlin.

Die Jura-Absolventen haben sehr genaue Vorstellungen davon, was sie von ihrer Arbeit als Anwalt erwarten. Denn sie wissen, dass die Partnerchancen in Großkanzleien verschwindend gering sind und das Gehalt zwar hoch, die Freizeit aber dafür umso kürzer ist. "Gegen eine Großkanzlei spricht vor allem deren Größe. Großkanzleien erfordern riesige Verwaltungsapparate und sind dadurch unflexibel", findet Moini. "Der Alltag für Berufsanfänger dort ist das Backoffice. Man hat keinen Gestaltungsspielraum und wird zu allererst einmal zum Spezialisten - ohne die Chance auf eine umfassende Ausbildung auch jenseits des streng Juristischen."

Dem Großkanzlei-Anwalt eilt ein Ruf voraus, der aus den Neunzigern stammt: eine steile Karriere, das große Geld, High-End-Mandate, Ansehen und Prestige. Aber die Vorstellungen der Berufseinsteiger haben sich gewandelt. Heute zählt Familienfreundlichkeit mehr als der dicke Bonus, ein ausgewogenes Verhältnis von Freizeit und Arbeit wiegt stärker als das Hochglanzbüro. Das haben zwar auch die Kanzleien erkannt und versuchen, mit Teilzeit-Angeboten und Alternativen zum Partnertrack bei den Bewerbern zu punkten. Viele Berufseinsteiger haben dennoch den Eindruck, dass ihre Wünsche nach besserer Work-Life-Balance belächelt oder einfach weggewischt werden.

Von oben verordnetes Feierabendbier

Sozietäten mit einem modernen Verständnis von Arbeit sucht man mitunter lange. Fängt man aber in der Mitte Berlins an, wird man schnell fündig. Bei Lindenpartners arbeiten rund 35 Anwälte, etwa die Hälfte von ihnen sind Partner. Der Frauenanteil ist höher als anderswo, die Kanzlei präsentiert sich auf ihrer Homepage im urbanen Betonschick. "Wenngleich in einer Großkanzlei das Arbeitsniveau häufig sehr hoch ist, sind dort der Initiative eines Berufsanfängers sehr enge Grenzen gesetzt", sagt Moini, der im Öffentlichen Wirtschaftsrecht tätig ist. Ihm gefällt bei Lindenpartners vor allem das eigenverantwortliche Arbeiten: "Hier sitzt man nicht jahrelang im Hinterzimmer und hat kaum Mandantenkontakt, im Gegenteil. Ich wurde bereits zu Beginn meiner Tätigkeit an die vorderste Front eines sehr komplexen Falls gesetzt, den ich unter den Augen zweier Partner aktiv mitbetreut habe. Mit allem, was dazu gehört."

Neben dem Vertrauen, das die Partner bei Lindenpartners ihren Mitarbeitern offensichtlich in hohem Maß entgegenbringen, steht Kollegialität bei den Berufsanfängern hoch im Kurs. Doch die kommt in einer streng hierarchisch geprägten Umgebung nur schwer auf. Es fühlt sich eben anders an, wenn die Anwälte ihr Feierabendbier spontan in einer Kneipe um die Ecke trinken und nicht darauf warten, dass  die Großkanzlei zu einem spektakulären Event einlädt, wo man sich auf Knopfdruck - und Kanzleikosten - amüsiert.

Zitiervorschlag

Désirée Balthasar, Anwalts-Startups: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14443 (abgerufen am: 02.11.2024 )

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