Wenn die Arbeit zu viel wird: "Anwalt ist ein Risi­koberuf"

Interview von Dr. Anja Hall

13.12.2016

Fast jeder Anwalt klagt über viel Arbeit, aber wann ist es zu viel? Karriereberaterin Carmen Schön erklärt, wie man Überlastungen erkennt und effektiv gegensteuert – und warum sich Kanzleien doch Mitarbeiter wünschen, die am Limit arbeiten.

LTO: Anwälte haben bekanntlich immer viel zu tun. Wann ist es aber zu viel?

Carmen Schön: Zunächst einmal: Jeder trägt selbst für sich die Verantwortung und sollte herausfinden, was für ein Arbeitspensum das richtige für ihn ist. Es gibt Menschen, die fühlen sich nur dann lebendig, wenn sie besonders viel zu tun haben. Andere dagegen brauchen ein geringeres Arbeitspensum, um sich noch wohl zu fühlen. Die individuellen Unterschiede im Energie-, Stress- und Leistungshaushalt sind riesig. Manche sind nach einem Arbeitstag von zehn Stunden noch topfit, während andere zusammenbrechen. Es ist also nicht für jeden gesundheitsbedrohlich, wenn er zwölf Stunden am Tag arbeitet.

Die Psychologie unterscheidet zwischen negativem und positivem Stress, dem sogenannten Dis- und Eu-Stress. Zehn Stunden im positiven Stress zu arbeiten, schadet demnach nicht. Bedenklich wird es dagegen, wenn man solch eine lange Zeit im negativen Stresszustand verbringt.

LTO: Es gibt also keine allgemeingültige Aussage darüber, wie viel Arbeit gesund ist?

Schön: Es gibt natürlich medizinische Studien, die besagen, dass die meisten Menschen nicht dauerhaft in hoher Intensität arbeiten können, ohne dass es zu gesundheitlichen Problemen kommt. Aber im Grunde ist die Belastbarkeit tatsächlich sehr individuell. Deswegen sollte jeder herausfinden, was für eine Art von Stress- oder Arbeitstyp er ist.

"Welche Aufgaben sind wirklich wichtig?"

LTO: Wie macht man das?

Schön: Man könnte die Arbeitsbelastung probehalber etwas justieren. Gehen Sie beispielsweise eine halbe Stunde früher nach Hause oder lehnen sie aktiv Projekte ab. Fühlt sich das gut für Sie an? Oder macht sich ein Gefühl der Unterforderung breit? Das wiederum wäre auf Dauer auch ungesund.

LTO: Aber seine Aufgaben muss man doch erledigen?

Schön: Die Frage ist ja, was denn alles zu den Arbeitsaufgaben gehört! Es klingt vielleicht etwas spießig, aber man sollte sich durchaus einmal mit einer Arbeitsplatzbeschreibung befassen und sich fragen: Was ist mir und meiner Karriere förderlich, und was mache ich nur aus Interesse oder Pflichtgefühl? Welche Arbeiten sind wichtig für mich oder die Kanzlei - was ist dagegen unwichtig? Worauf wird in der Kanzlei wert gelegt?

Schlafstörungen, Kopfkino, Herzrasen

LTO: Woran erkennt man, dass man mit seiner Arbeitsbelastung am Limit ist?

Schön: Typische Anzeichen sind Schlafstörungen und Kopfkino, d.h. wenn man auch abends noch an die Kanzlei denken muss und nicht abschalten kann. Manche bekommen Herzrasen, bei vielen Überlasteten schleicht sich auch ein abweichendes Essverhalten ein, sie haben also viel mehr oder viel weniger Appetit als üblich. Wer in der Kommunikation, sei es beruflich oder privat, schnell gereizt wird und gar nicht mehr ausgleichend wirken kann, ist wohl ebenfalls überlastet.

Auch mangelnde Konzentration, Fehleranfälligkeit und Fahrigkeit sind Anzeichen. Hinzu kommt Drogenmissbrauch, und damit meine ich auch Nikotin und Alkohol: Wenn man jeden Abend drei Gläser Wein braucht um zu entspannen, dann läuft etwas schief. Die Endstufe ist eine innere Leere, ein Ausgebrannt Sein, das bis hin zur Depression führen kann.

Zitiervorschlag

Anja Hall, Wenn die Arbeit zu viel wird: . In: Legal Tribune Online, 13.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21441 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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