Frauen in Vorständen und der Geschäftsführung haben keinen Anspruch auf Mutterschutz. Mehrere Bundesländer brachten nun eine Beschlussvorlage in die JuMiKo ein, um dies zu ändern.
Im deutschen Recht wird unterschieden zwischen Chefs und Arbeitnehmern. Letztere haben in ihrem Berufsleben diverse Schutzrechte, etwa Mutterschutz, Erziehungszeiten, Kündigungsschutz oder Regelungen zur Arbeitszeit. Vorstände und Geschäftsführer in Personengesellschaften haben dies nicht – doch das soll sich nach dem Willen der Justizminister einiger Länder ändern: Sachsen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Hamburg wollen eine Reform des Rechts der Kapitalgesellschaften und Genossenschaften anstoßen, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Mandat in Leitungsorganen zu gewährleisten.
Sachsen war das erste Bundesland, das einen entsprechenden Beschlussvorschlag in die Justizministerkonferenz (JuMiKo) eingebracht hat. Die anderen Bundesländer haben sich angeschlossen bzw. später eigene Vorschläge eingebracht, die nunmehr unter einem Tagesordnungspunkt für die ab dem morgigen Donnerstag stattfindende JuMiKo zusammengefasst sind.
Die Länder finden die aktuellen Regelungen nicht mehr zeitgemäß. So können etwa Frauen in Vorstandspositionen in und nach der Schwangerschaft auch nicht vorübergehend ihr Amt ruhen lassen, ohne sich Haftungsrisiken auszusetzen – so etwas sieht weder das Aktiengesetz (AktG) noch das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) vor.
Besondere Schutzrechte "Passen nicht zur Leitungsposition"
Politisch klingt das sinnvoll – insbesondere mit Blick auf die Einigung der Koalitionsparteien auf eine verbindliche Frauenquote in Vorständen. Rechtlich ist der Vorstoß aber schon jetzt umstritten: "Wir unterscheiden im deutschen Recht aus gutem Grund zwischen Arbeitnehmern und Organpersonen", sagt Caroline Bitsch, Partnerin bei Justem Rechtsanwälte in Frankfurt. Eine Organperson leitet das Unternehmen, teilweise mit anderen Vorständen oder Gesellschaftern zusammen - diese Position ließe sich nicht einfach pausieren, meint Bitsch.
Vor allem aber sieht die Arbeitsrechtlerin, die seit vielen Jahren Unternehmen und Führungskräfte berät und vertritt, kein den Arbeitnehmern ähnliches Schutzbedürfnis: "Es steht den Unternehmen frei, mit ihren Organpersonen zivilrechtlich Vereinbarungen zu treffen, um etwa Sabbaticals oder auch sonstige Auszeiten zu vereinbaren", so die Anwältin. "Wenn aber etwa einer von drei Gesellschafter- Geschäftsführern gegen den Willen der anderen sein Amt ruhen lassen möchte, dann muss für die weitere Leitung des Unternehmens sichergestellt sein, dass die anderen beiden denjenigen noch mit einem Mehrheitsbeschluss abberufen können", so Bitsch. Schließlich könne man das Organ einer Gesellschaft nicht mal eben durch eine andere Person – womöglich sogar befristet auf ein Jahr – ersetzen. Das passe schlichtweg nicht zu dieser Position.
"Das ist auch ein ganz anderes Thema als die absolut richtige Einführung der verbindlichen Frauenquote", betont die Anwältin. "Die Unternehmen hatten Zeit, die Quote einzuführen – und dabei gemauert. Also bekämen sie nun ein Gesetz vorgesetzt. Doch mit den Besonderheiten der Position von Organpersonen seien die sonstigen Arbeitnehmerschutzrechte schlichtweg nicht vergleichbar", sagt Bitsch.
"Stayonboard"-Initiative gestartet
Die Problematik war zu Beginn des Jahres besonders sichtbar geworden. Da hatte Delia Lachance ihr Amt als Vorstandsmitglied des börsennotierten E-Commerce-Unternehmens Westwing zur Haftungsvermeidung niedergelegt, weil sie während der eigenen Schwangerschaft ihr Amt vorübergehend nicht mit dem erforderlichen Zeiteinsatz ausüben konnte. Interesseninitiativen haben im Nachgang die Einführung eines "Mandats-Ruhezustands" gefordert, die unter dem Begriff "stayonboard" bekannt wurde.
Eine der Gründungsmitgliederinnen der Initiative ist Daniela Hangarter, Namenspartnerin von Hangarter Legal. Sie beurteilt die unterschiedlichen Positionen von Arbeitnehmern und Leitungsorganen im Ergebnis genau wie Bitsch. Sie stellt klar, dass die genannten Bundesländer, die sich in ihrer Beschlussvorlage u. a. auf stayonboard beziehen, an dieser Unterscheidung auch gar nicht rütteln wollen: "Wir wollen für die Organe gerade keine Arbeitnehmerschutzrechte schaffen", sagt Hangarter. Einen Anspruch auf Elternzeit oder Vergütung in der Zeit des ruhenden Mandats solle es nicht geben. "Es geht aber darum, das Mandat ohne ein Haftungsrisiko ruhen lassen zu können."
Der Genderausschuss im Deutschen Anwaltverein hat dazu bereits einen konkreten Vorschlag unterbreitet: "Es könne etwa ein neuer § 86 ins Aktiengesetz eingeführt werden, was auch systematisch zu den Regelungen zum Vorstand passen würde, in dem die Möglichkeit, das Mandat aus wichtigem Grund ruhen zu lassen bei Ausschluss der Haftung, formuliert würde. Darüber hinaus bedürfte es einiger Anpassungen in wenigen Normen mit Klarstellungen, dass die Regelung auch bei einem Ruhen des Mandats gilt", erklärt Hangarter. Das alles sei aber in wenigen Handgriffen erledigt.
NRW: "Wollen konkrete Gesetzesänderungen herbeiführen"
"Nordrhein-Westfalen greift diese Diskussion auf und will gemeinsam mit anderen Bundesländern prüfen, wie Leitungspersonen in besonderen Lebenslagen vorübergehend von ihren gesellschaftsrechtlichen Pflichten entlastet werden können", teilt das dortige Justizministerium mit. Ziel des Vorstoßes sei es, "das Gesellschaftsrecht zu modernisieren und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen das Bedürfnis der betroffenen Leitungsmitglieder an einer vorübergehenden Mandatsniederlegung oder Haftungsbefreiung mit den Interessen von Aktionären, Gläubigern und Arbeitnehmern an der Verantwortung des Vorstands für die Leitung der Gesellschaft ausgeglichen werden".
"Unser Ziel sind konkrete Gesetzesänderungen, um die Situation von Frauen in wirtschaftlichen Schlüsselpositionen zu verbessern. Dabei geht es auch darum, deutlich zu machen, dass es nicht nur auf die Mutterschutzzeiten von Vorständinnen von Aktiengesellschaften ankommt. Es muss ein deutlich breiterer Ansatz gewählt werden. Auch GmbH-Geschäftsführerinnen und Vorständinnen von Genossenschaften sollten erfasst werden. Die Regelung soll sich zudem nicht nur auf Mutterschutzzeiten, sondern auch auf Erziehungs- und Pflegezeiten erstrecken", so die sächsische Justizministerin Katja Meier (Bündnis 90/Die Grünen).
Die JuMiKO soll die Thematik nun erst einmal zur Kenntnis nehmen – und die Landesjustizverwaltungen sich eingehend mit der Problematik rechtlich auseinandersetzen, um so gemeinsame Regelungsvorschläge erarbeiten und in die Diskussion einbringen zu können.
Beschlussvorlage für die JuMiKO: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43545 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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