Legal Analytics: Wissen ist Macht

von Nico Kuhlmann

23.12.2016

2/2 Ein guter Anwalt kennt das Recht – ein besserer den Richter

Jungen Anwälten wird manchmal erzählt, dass ein bestimmtes Gericht eher klägerfreundlich ist oder ein anderes in bestimmten Rechtsgebieten vermehrt zu Gunsten des Beklagten entscheidet. Solche Tipps sind meist auf Anekdoten basierende Volksweisheiten. In den USA sind hingegen mittlerweile mehrere Anbieter am Markt aktiv, um Richter und deren Entscheidungsmuster systematisch und überprüfbar zu analysieren.

Das Unternehmen Ravel Law bietet beispielsweise eine Dienstleistung namens Judge Analystics an. Diese Richteranalyse ist entwickelt worden, um besser zu verstehen, wie Bundesrichter denken, schreiben und entscheiden, sowie welche entsprechenden Vorlieben jeweils dahinter stehen. Die gesamte Entscheidungsgeschichte eines Richters wird aufbereitet und visuell dargestellt. Dieses Wissen kann dann sowohl bei der Vorbereitung der Prozessstrategie als auch bei der Auswahl des anzurufenden Gerichts verwendet werden. Ähnliche Angebote bieten auch Lex Machina oder ALM Intelligence an.

Diese Vorgehensweise wird sich in vielen Rechtsgebieten durchsetzen. Ein internationales Team hat etwa kürzlich eine Studie über ein Berechnungsmodel vorgestellt, das Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit 79 Prozent Wahrscheinlichkeit korrekt vorhersagen kann.

Mandatsarbeit im Zeitalter von Legal Tech

Diese Analysen werden den Rechtsmarkt nicht völlig verändern, aber Anwälte werden die dadurch gewonnenen Informationen bei einer Gesamtabwägung als Argument einbeziehen. Wenn bei einer Entscheidung mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, kann dies dann den Ausschlag geben.

Im Übrigen existiert mit Premonition bereits ein Anbieter, der entsprechende Analysen sowohl in Bezug auf Mandanten als auch über die Performance von Rechtsanwälten anbietet. Mandanten können sich dort u.a. über die zu erwartende Bearbeitungsdauer und Rechnungshöhe sowie die Gewinnwahrscheinlichkeit von Rechtsanwälten für bestimmte Arten von Mandaten informieren.

Bisher sind die angesprochenen Dienstleistungen hauptsächlich in den USA und einigen anderen Ländern verfügbar. Ob solche Analysen in einem Rechtssystem, das nicht auf Präzedenzfällen, sondern hauptsächlich auf kodifiziertem Recht basiert, denselben Mehrwert generieren, wird sich zeigen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass Anwälte auch in Deutschland bald als selbstverständlichen Bestandteil ihrer täglichen Mandatsarbeit auf diese Analysen zurückgreifen. Auf dem Weg zum Erfolg sind dogmatische Erwägungen eben nur einer von mehreren zu berücksichtigenden Aspekten.

Literaturempfehlung:

  • Viktor Mayer-Schönberger/Kenneth Cukier: Big Data. A Revolution That Will Transform How We Live, Work, and Think. London. John Murray, 2014. 230 S. ISBN: 978-0544227750

Der Autor Dipl.-Jur. Univ. Nico Kuhlmann, Wirtschaftsjurist (Univ.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Hogan Lovells International LLP in Hamburg und Blogger für den Legal-Tech-Blog.de.

Zitiervorschlag

Nico Kuhlmann, Legal Analytics: . In: Legal Tribune Online, 23.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21568 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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