Mit seiner Entscheidung, einen rechtsextremen Bewerber zum Referendariat zuzulassen, hat der VerfGH Sachsen gegen Bundesrecht verstoßen, meint Klaus F. Gärditz. Die schludrige Begründung schade den Landesverfassungsgerichten insgesamt.
In einem kürzlich veröffentlichten Urteil hat das Verwaltungsgericht (VG) Dresden den Freistaat Sachsen verpflichtet, einen erwiesenen Rechtsextremisten als Rechtsreferendar einzustellen (Urt. v. 04.04.2023, Az. 11 K 1918/21). LTO hatte eingehend über Hintergrund und Prozessgeschichte berichtet. Der Bewerber ist in einer offen rechtsextremistischen Kleinstpartei tätig und war mit seinen Anträgen, als Rechtsreferendar eingestellt zu werden, zuvor in Bayern und Thüringen gescheitert. Die angerufenen Gerichte hatten jeweils Rechtsschutz versagt. Nachdem der Sächsische Verfassungsgerichtshof (VerfGH, Beschl. v. 21.10.2022, Az. Vf. 95-IV-21 [HS]) in entsprechenden Entscheidungen sächsischer Verwaltungsgerichte eine Verletzung der landesverfassungsrechtlichen Berufsfreiheit erblickt hatte, lenkte nun das VG notgedrungen ein.
"Verfassungskonforme Auslegung" mit der Brechstange
Auf den ersten Blick erscheint die Argumentation des Sächsischen VerfGH schlüssig: Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach § 7 Satz 1 Nr. 6 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zu versagen, wenn die antragstellende Person die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft. Verfassungsfeindliche Betätigung wird daher erst dann zum Zulassungshindernis, wenn die zur Zielerreichung eingesetzten Mittel strafbar sind. Der VerfGH argumentiert nun, dass es unverhältnismäßig wäre, den Zugang zum Referendariat als notwendige Zwischenstation auf dem Weg zur Berufsqualifikation enger zu fassen als den zur Rechtsanwaltschaft. Er meint, die Neuregelung der Zulassungsvoraussetzungen in § 8 Abs. 3, 4 Sächsisches Juristenausbildungsgesetz (SächsJAG) verfassungskonform dahingehend auslegen zu können, dass diese keine weitergehenden Anforderungen an die Verfassungstreue stellten als § 7 Satz 1 Nr. 6 BRAO. Das VG setzt – mit Recht – den Begriff der verfassungskonformen Auslegung ironisierend in Anführungszeichen. Der VerfGH entschärft die Regelung hier in einer Weise, die der gesetzlichen Intention diametral zuwiderläuft, den Zugang für Extremisten gerade zu erschweren.
Pflicht zur Verfassungstreue kraft Bundesrechts
Der Kern des Problems besteht letztlich in der bundesrechtlich vorgegebenen Einheitsausbildung für die juristischen Kernberufe. Auch der Zugang zur Rechtsanwaltschaft setzt die Befähigung zum Richteramt voraus (§ 4 Nr. 1 BRAO, §§ 5 ff. DRiG). Im obligatorischen Referendardienst gilt aber die in der Rechtsprechung allgemein anerkannte Pflicht zur Verfassungstreue nach Art. 33 Abs. 5 GG. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte diese in seiner Leitentscheidung aus dem Jahr 1975, die die Folgen des Extremistenbeschlusses von 1972 ("Radikalenerlass") betraf, erstmals genauer begründet (BVerfGE 39, 334). Im damaligen Verfahren wehrte sich ebenfalls ein Bewerber erfolglos gegen die Nichtzulassung zum Referendariat mangels Verfassungstreue.
Fehldeutung durch Oberflächlichkeit
Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG stehe dem nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, dass Bewerbenden, die einen juristischen Beruf außerhalb des Staatsdienstes anstrebten, ein Referendardienst auch außerhalb eines Beamtenverhältnisses möglich sein müsse; die konkrete Ausgestaltung obliege dem Landesgesetzgeber. Jedoch stellte das Gericht umgehend klar: "Wie immer der Vorbereitungsdienst für Anwärter auf einen Beruf außerhalb des Staatsdienstes ausgestaltet wird, in jedem Falle bleibt unberührt, daß der in den Vorbereitungsdienst übernommene Referendar fristlos aus diesem Vorbereitungsdienst entfernt werden kann, wenn er sich verfassungsfeindlich betätigt."
Wenn nach Aktenlage eine Prognose gerechtfertigt ist, dass sich der Referendar im Ausgangsfall absehbar weiter verfassungsfeindlich betätigen wird (was nach den Entscheidungsgründe naheliegt), bleibt es dann auch verfassungskonform möglich, bereits den Zugang zum Referendardienst zu versagen. Das VG Dresden bemängelt mit Recht den oberflächlichen Umgang mit der Entscheidung zum Radikalenerlass, die ein anderes Ergebnis nahegelegt hätte, mit der sich der VerfGH nicht qualifiziert auseinandersetzt. Dass das BVerfG (Beschl. v. 23.09.2020, Az. 2 BvR 829/20) eine Verfassungsbeschwerde des Betroffenen gegen die Versagung des Zugangs zum Referendardienst ohne nähere Begründung nicht zur Entscheidung angenommen hat, deutet (bei aller Vorsicht) jedenfalls an, dass auch dort keine besonderen Grundrechtsprobleme gesehen werden.
Schutz der grundrechtsgebundenen und rechtsstaatlichen Rechtspflege
Ein weiteres Argument spricht ebenfalls gegen die Argumentation des Sächsischen VerfGH, dass die Tätigkeit des Rechtsreferendars "zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Rechtspflege nicht stärker reglementiert werden [könne] als die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft". Die Ausbildung im Referendardienst beschränkt sich gerade nicht auf die Rechtsanwaltschaft. Vielmehr werden zu Ausbildungszwecken Tätigkeiten übertragen, die vielleicht nicht zwingend mit der außenwirksamen Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen, aber doch mit amtlichen Aufgaben und Handlungen verbunden sind. Referendare und Referendarinnen üben in ihren Stationen bei Gericht, Staatsanwaltschaft und Verwaltung grundrechtlich und rechtsstaatlich gebundene (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) öffentliche Gewalt aus. Das gilt gerade für die Rechtspflege, in deren Rahmen – wie das BVerfG in jüngerer Zeit hervorgehoben hat – funktionsbezogen ebenfalls in Art. 33 Abs. 5 GG radizierte qualifizierte Anforderungen an eine neutrale, verfassungstreue und rechtsstaatlich verlässliche Amtsausübung anzulegen sind (BVerfGE 153, 1).
Referendarinnen und Referendare bearbeiten, auch wenn sie nicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern für den Staat auftreten, Akten, erhalten Kenntnis von personenbezogenen Daten, sind bei Beratungen von Spruchkörpern anwesend (§ 193 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz) und beeinflussen durch ihre Mitwirkung an Vorgängen ggf. hintergründig die Entscheidungsfindung. Die nur scheinbar liberale Großzügigkeit gegenüber verfassungsfeindlichen Personen im öffentlichen Dienst gefährdet Rechte von Menschen, die von amtlicher Tätigkeit betroffen und auf eine funktionierende, verfassungstreue Justiz sowie Verwaltung angewiesen sind. Das gilt in Sonderheit für vulnerable Personengruppen, von denen man kein Vertrauen in den Staat zu erwarten braucht, wenn dieser aus falsch verstandener Berufsfreiheitslibertinage Rechtsextremisten einstellt. Wer einen Beruf mit einer Ausbildung im Staatsdienst (ob verbeamtet oder nicht) anstrebt, dem kann auch zugemutet werden, extremistische Betätigung zu unterlassen, die sich letztlich gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde richtet und damit erst die geordnete Ausbildung praktisch verunmöglicht, die man anstrebt.
Grenzen der Bindung an Landesverfassungsgerichte
Die Auslegung und konkrete Anwendung der landesverfassungsrechtlichen Berufsfreiheit durch den Sächsischen VerfGH verletzt daher Bundesrecht (Art. 33 Abs. 5 GG, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtStG). Das VG Dresden lässt sehr deutlich erkennen, dass es in größtmöglicher Distanz nur deshalb dem VerfGH folgt, weil es sich dazu prozessrechtlich verpflichtet fühlt. Es referiert mit einem langen wörtlichen Zitat den Gerichtshof und beruft sich auf § 14 Abs. 1 SächsVerfGHG. Hiernach binden die Entscheidungen des VerfGH alle Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte. Es sei – so das Verwaltungsgericht – "im Hinblick auf die Bindungswirkung unerheblich, dass an der Rechtsauffassung des SächsVerfGH in mehrfacher Hinsicht Zweifel gehegt werden können".
Diese sympathische Deutlichkeit ändert nichts daran, dass die Auslegung der Bindungswirkung ihrerseits nicht zu überzeugen vermag. Zwar gehört es zu der in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG angelegten Verfassungsautonomie der Länder, sich eine Verfassungsgerichtsbarkeit zu geben und das dazugehörige Prozessrecht zu regeln, was im Übrigen das Bundesverfassungsgericht 1997 gerade auf eine Vorlage des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs näher aufgefächert hatte (BVerfGE 96, 345). Dies schließt es im Grundsatz auch ein, die Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen für die Landesstaatsgewalt (Gerichte des Landes eingeschlossen) zu regeln. Allerdings ermächtigt die Verfassungsautonomie der Länder weder dazu, von der Bindung an Bundesrecht zu dispensieren, noch Landesgerichte abweichend vom Prozessrecht des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (hier: VwGO) an landesrechtliche Maßstäbe zu binden.
Das VG Dresden hatte im Rahmen des Rechtsschutzes nach der VwGO als materiellen Maßstab uneingeschränkt geltendes Bundesrecht zu beachten, das ggf. revisibel ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und wovon auch § 14 SächsVerfGHG nicht befreit. Es wäre also notwendig gewesen, sich damit auseinandersetzen, ob die Prämissen des VerfGH ihrerseits mit Bundesrecht in Einklang stehen. Verneint man dies wie hier, wäre das Bundesrecht unmittelbar anzuwenden, die fehlgeleitete Entscheidung des VerfGH zu ignorieren und der politischen Treuepflicht zur Geltung zu verhelfen. Sobald eine revisionsgerichtliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorläge, wäre ohnehin jedweder Zugriff des Landesverfassungsgerichts gesperrt (BVerfGE 96, 345, 361) gewesen. Das VG hatte die Berufung nicht zugelassen, die Frist für einen entsprechenden Antrag dagegen ist verstrichen.
Die Professionalität der Rechtsprechungspraxis der ehrenamtlich besetzten Landesverfassungsgerichte ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Gerade weil diese außerhalb des bundesrechtlich geregelten (ZPO, StPO, GVG, VwGO, SGG, FGO, FamFG usf.) Instanzenzugs stehen und es daher keine wirksamen Rechtsbehelfe zur Korrektur von Fehlentscheidungen gibt, bestehen erhöhte rechtsstaatliche Risiken. Mit der hier kritisierten, schluderig begründeten und mit der fallbezogenen Rechtsprechung in zwei anderen Bundesländern kontrastierenden Entscheidung hat der Sächsische VerfGH kurzerhand Sachsen zum sicheren Hafen für Extremistinnen und Extremisten gemacht, deren Bewerbungen für das Referendariat anderenorts wegen ihrer verfassungsfeindlichen Betätigung abgelehnt wurden. Es wäre auch anders gegangen, wie der Thüringische Verfassungsgerichtshof (Beschl. v. 24.02.2021 – 4/21) in dem gleichen Komplex ausführte: "Die in dem Konstitutionsprinzip der Verfassung enthaltenen Wertentscheidungen schließen es aus, dass der Staat seine Hand dazu leiht, diejenigen auszubilden, die auf die Zerstörung der Verfassungsordnung ausgehen."
Der Autor Prof. Dr. Klaus F. Gärditz ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bonn.
Referendariat in Sachsen: . In: Legal Tribune Online, 07.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51938 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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