Polizisten sagen in vielen Strafverfahren als Zeugen aus. Sie gelten als zuverlässig, gut vorbereitet und vertrauenswürdig. Glauben Richter ihnen mehr als anderen?
"Also (…) die Beamten, die da in dieser Spezialeinheit beim LKA sind, das sind super Zeugen. Die wissen ganz genau, worum es geht, und die machen Aussagen, die kann man eins zu eins mitschreiben. Die gehen genau auf die Punkte ein, auf die es ankommt." Dieses Zitat stammt von einem Strafrichter am Amtsgericht Tiergarten, den der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune im Rahmen seiner Dissertation interviewt hat. Theune befragte außerdem drei weitere Strafrichter sowie je drei Staatsanwälte dazu, wie sie Aussagen von Polizeibeamten im Strafverfahren bewerten.
Seine Arbeit stellte Theune kürzlich auf einer Veranstaltung des Republikanischen Anwaltvereins (RAV) im Kammergericht vor. Das Ergebnis: Richter und Staatsanwälte halten die Aussagen von Polizeibeamten für besonders zuverlässig und gewähren ihnen einen Vertrauensvorschuss – allerdings zu Unrecht, wie Theune meint.
Für viele Polizisten gehört es zu ihrem Beruf, in erstinstanzlichen Verfahren auszusagen. Oft sind sie als Augenzeugen gefragt – etwa wenn es um Taschendiebstahl, Drogendelikte oder Straftaten im Zusammenhang mit einer Versammlung geht. Das heißt, die Beamten sollen über Routineeinsätze berichten, die meistens Wochen oder Monate zurückliegen. Und hier gingen die Probleme schon los, so Theune: Lassen sich solche Situationen, die im Polizeidienst zum Alltagsgeschäft gehören, in der Erinnerung überhaupt klar auseinanderhalten?
Vor der Verhandlung in die Akte schauen
"Ein Polizeibeamter wird wahrscheinlich im Laufe seiner Dienstzeit mehrere 100 Widerstandshandlungen haben", zitiert Theune einen der befragten Amtsrichter. "Und dass man das dann natürlich vielleicht auch nicht immer auseinanderhält, hat der jetzt am Boden gezappelt, hat der getreten, hat der sich gewunden oder war das jetzt der andere, den ich zwei Wochen vorher hatte, das liegt eigentlich relativ nah."
In aller Regel schauen sich Polizeibeamte vor der Verhandlung deshalb den Bericht an, den sie im Ermittlungsverfahren verfasst haben. Dass sie sich gezielt auf die Aussage vorbereiten, ist üblich und wird von den Gerichten auch so erwartet, stellt Theune fest. Er sieht das kritisch: So würden die Berichte nicht immer unmittelbar nach den Vorfällen verfasst und außerdem zwischen den beteiligten Kollegen und unter Umständen auch mit den Vorgesetzten abgestimmt.
Aus aussagepsychologischer Sicht sei das "fatal", so Theune. Schließlich lasse sich kaum noch nachvollziehen, inwiefern es sich um die Wahrnehmung des jeweiligen Beamten handelt und welche Erinnerungen bewusst oder unbewusst verfälscht worden sei.
Eine weitere Besonderheit: Polizeizeugen brauchen eine Aussagegenehmigung ihres Dienstvorgesetzten, bevor sie vor Gericht auftreten. Sie kann auch beschränkt erteilt werden, wenn etwa verhindert werden soll, dass Dienstgeheimnisse bekannt werden.
Strafverteidiger: "Ein Freispruch gilt als Niederlage"
Hinzu komme ein gewisser Korpsgeist innerhalb der Polizei: Man wolle die Kollegen nicht belasten und nicht aus der Gruppe ausscheren. Außerdem hätten die Beamten oft ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens.
Das jedenfalls bestätigt der Münchener Strafverteidiger Marco Noli. Er verteidigt häufig Fußballfans und Demonstranten, auf der anderen Seite stehen dann geschlossene Einheiten der Polizei. "Das ist eine Situation, die von Feindbildern geprägt ist", so Noli. "Man mag sich nicht, es gibt da eine gegenseitige Ablehnung".
Oft werde deutlich, dass die Beamten ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens haben: "Ein Freispruch wird als Niederlage verstanden", so Noli. Das würden viele Polizisten auch gegenüber Staatsanwälten und Richtern deutlich machen. Er kritisiert: "Ich erlebe zunehmend, dass Polizisten sich nach Ihrer Aussage hinten in den Gerichtssaal reinsetzen. Und zwar sehr betont, so dass es auch jeder mitbekommt. Da stellt sich doch schon die Frage: Wer kontrolliert hier wen?"
Richterin: "Zeugen wie alle anderen auch"
Dass ein Polizist mit im Saal sitzt, muss einen Richter zwar nicht gleich einschüchtern. Theune sieht aber zumindest ein gewisses gemeinsames Interesse von Justiz und Polizei: "Was mich überrascht hat, ist, dass die von mir interviewten Richter sich offenbar in einer ähnlichen Rolle sehen, es gibt ein gemeinsames Interesse der 'Staatsdiener'."
Einer der Interviewpartner habe das so ausgedrückt, dass er glaube, "dass auch Polizisten als Beamte eine Wahrheitspflicht haben, die sie ernster nehmen als Menschen, die also mehr oder weniger im Privaten tätig sind. Man hat irgendwann mal einen Eid abgelegt auf diese unsere Verfassung, und jedenfalls mir hat er etwas bedeutet."
Kristin Klimke, Vorsitzende Richterin am Landgericht Berlin, weist das zurück: "Das sehe ich nicht so. Gericht und Ermittlungsbehörden sind nicht im selben Team." Im Übrigen seien Polizisten für sie Zeugen wie alle anderen auch. Klimke führt regelmäßig Verfahren, in denen es um Drogendelikte geht. Dabei komme es durchaus vor, dass Polizeibeamte die Unwahrheit sagen, so Klimke: "Oft aus vermeintlich höheren Motiven, zum Beispiel, weil sie einen Informanten schützen wollen." Das lasse sich aber oft "mit etwas Nachbohren" herausfinden.
Staatsanwalt: Kein "Bonus"
Auch Heiko Artkämper, Staatsanwalt in Dortmund, sieht keinen "Bonus" für Polizeibeamte. Dass sie ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben, sei jedoch oft offensichtlich: "Oft spielt der Gedanke, der Angeklagte muss von der Straße, eine entscheidende Rolle bei der Aussage."
Günter Köhnken, emeritierter Professor für Rechtspsychologie in Kiel, betonte auf der Veranstaltung des RAV, es gebe letztlich keine klaren Forschungsergebnisse dazu, ob Polizisten oder Privatleute nun die "besseren Zeugen" seien. So oder so gelte es, die Grundsätze der Aussagepsychologie anzuwenden: "Man sollte sich anschauen, wie die Zeugen bestimmte Ergebnisse wahrgenommen haben und unter welchen Bedingungen diese Erinnerungen abgespeichert wurden und darauf seine Beurteilungen stützen."
Theune hat allerdings Zweifel daran, dass das allen Strafrichtern gelingt: In der juristischen Ausbildung komme die Aussagepsychologie zu kurz. Von den vier interviewten Amtsrichtern habe nur einer über entsprechende wissenschaftliche Kenntnisse verfügt.
Theune schlägt deshalb vor, stärker auf Alternativen zur Vernehmung von Berufszeugen zu setzen: Wichtig seien dabei vor allem Videoaufnahmen vom Tatgeschehen - etwa Aufzeichnungen von Überwachungskameras, Dashcams oder auch Bodycams von Polizisten. Auch Videoaufnahmen von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren könnten den Gerichten helfen, sich ein besseres Bild der jeweiligen Vernehmungssituation zu machen.
Aussagen von Polizeibeamten im Strafverfahren: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38847 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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