Polen steht u. a. für die Art und Weise in der Kritik, wie es seine Richterinnen und Richter ernennt. Nun geht es in die Gegenoffensive und verlangt, dass der EuGH das System der deutschen Richterernennung überprüfe.
Polen fordert eine Überprüfung des deutschen Systems zur Nominierung und Ernennung von Richtern am Bundesgerichtshof (BGH) durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Einen entsprechenden Antrag werde er im Kabinett stellen, sagte Justizminister Zbigniew Ziobro am Montag in Warschau. Gegen Deutschland solle ein Verfahren angestrengt werden, weil die Politisierung der Richterinnen- und Richternominierung gegen EU-Verträge verstoße.
Ziobro sagte, wenn der EuGH der Auffassung sei, dass die Beteiligung von Politikern an der Auswahlprozedur für Richterinnen und Richter in Polen die Unabhängigkeit dieser Richterinnen und Richter infrage stelle, dann stelle Polen nun die Frage, welchen Einfluss so eine Beteiligung auf die Unabhängigkeit künftiger Richterinnen und Richter am BGH habe.
Polens nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizwesen seit Jahren um. Kritiker werfen ihr vor, Richterinnen und Richter unter Druck zu setzen. Die EU-Kommission hat wegen der Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau in Gang gesetzt und Klagen beim EuGH eingereicht.
Im Juli hatte der EuGH geurteilt, die 2018 eingerichtete Disziplinarkammer an Polens Oberstem Gericht biete nicht alle Garantien für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Ausgewählt werden die Mitglieder der Disziplinarkammer vom Landesjustizrat. Der EuGH kritisierte, der Landesjustizrat sei ein Organ, das "von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde", an seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel.
Ziobro argumentierte nun, in Deutschland würden Richterinnen und Richter für den BGH vom Richterwahlausschuss gewählt, der ebenfalls nur aus Politikern bestehe. Dem Gremium gehören die 16 Justizministerinnen und -minister der Länder sowie 16 weitere Mitglieder an, die vom Bundestag bestimmt werden. Damit sei der Ausschuss stärker politisiert als Polens Landesjustizrat, sagte Ziobro. Diesem gehören 17 Richter, sechs Parlamentsabgeordnete sowie zwei von der Regierung entsandte Mitglieder an.
Zuletzt war das deutsche System im Streit um die Besetzung der Spitzen am Bundesfinanzhof in die Kritik geraten. Ein entscheidender Unterschied des deutschen Richterwahlsystems zum polnischen System besteht allerdings darin, dass die Richterinnen und Richter einvernehmlich und überparteilich gefunden werden sollen.
Die Bundesregierung hat Polens Vorhaben noch nicht kommentiert.
ast/dpa/LTO-Redaktion
Streit um Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46386 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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