Ein Richter, der den angeklagten früheren Justizkollegen duzte, mit ihm Mittag aß, ihn um Gefallen bat – für das LG Frankfurt ergibt das keine Besorgnis der Befangenheit. Auf Antrag von LTO hat das LG nun die Begründung herausgegeben.
Er ermittelte in Sachen Abrechnungsbetrug und Wirtschaftskriminalität. Für die Vergabe von Gutachten soll der Oberstaatsanwalt Alexander Badle aber selbst die Hand aufgehalten haben. Wegen Korruption wurde im Mai Anklage gegen ihn wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung vor dem Landgericht (LG) Frankfurt erhoben.
Heikel dabei: Der zuständige Vorsitzende Richter am LG, Werner Gröschel, und der Angeklagte Badle kennen und duzten sich. Doch nicht etwa die Staatsanwaltschaft, sondern Badle selbst stellte einen Befangenheitsantrag gegen Gröschel. Sein Verteidiger Dr. Andreas Hohnel erklärte dies damit, dass sein Mandant nicht ein zweites Mal dem Vorwurf ausgesetzt sein soll, justizielles Vertrauen zerstört zu haben.
Die Besorgnis der Befangenheit begründete Hohnel mit einem Vertrauensverhältnis, was u.a. durch das Duzen, das Besprechen auch privater Themen entstanden sei. Zudem habe Gröschel Computergeräte von sich und seiner Frau an Badle übergeben, um diese von einer IT-Firma, zu der Badle gute Kontakte gehabt habe, wegen eines Hacking-Verdachts untersuchen zu lassen. Ausgerechnet einer Firma, von der nach den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Schmiergelder an Badle geflossen sein sollen. Die Besorgnis der Befangenheit ergebe sich zudem daraus, dass die Ehefrau von Werner Gröschel, Oberstaatsanwältin Nadja Niessen, Pressesprecherin bei der Staatsanwaltschaft sei. Bei einem medienwirksamen Verfahren wie diesem sei bei der Strafzumessung die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen, womit Gröschel mittelbar über die Pressearbeit seiner Frau zu urteilen habe. Außerdem sei ein Informationsaustausch zwischen den Eheleuten über den Fall zu erwarten.
LTO setzt Auskunftsanspruch durch
Wie LTO bereits berichtete, wurde der Befangenheitsantrag vom LG Frankfurt zurückgewiesen. Doch eine Begründung hierfür war zunächst nicht zu erfahren. Daraufhin beantragte LTO beim LG formell die Übersendung des entsprechenden Beschlusses. Dem Auskunftsersuchen trat die Staatsanwaltschaft Frankfurt mit der Begründung entgegen, es handele sich mangels Eröffnung der Hauptverhandlung um ein nicht öffentliches Zwischenverfahren.
Das LG entschied jedoch, dass sich im konkreten Fall aus § 3 Abs. 1 S. 1 Hessisches Pressegesetz ein Anspruch auf Auskunftserteilung in Form der Überlassung einer anonymisierten Abschrift der Entscheidung ergebe.
Laut dem daraufhin an LTO übermittelten Beschluss des LG vom 08.07.2022 (Az. 5/24 KLs 7/22; 6401 Js 236735/19) wies die 24. Große Wirtschaftsstrafkammer des LG – unter Ausschluss von Richter Gröschel - den Befangenheitsantrag als zulässig, aber unbegründet ab.
Gröschel legte Beziehung selbst offen
Aus dem Beschluss ergibt sich, dass der Vorsitzende Richter Gröschel seine Beziehung zum Angeklagte Badle in einer dienstlichen Erklärung bereits wenige Tage nach Anklageeröffnung, nämlich am 30. Mai 2022, offenlegte. Erst knapp zwei Monate später stellte Badles Verteidiger Hohnel dann am 29. Juni 2022 den Befangenheitsantrag. In der hierauf folgenden weiteren dienstlichen Erklärung von Gröschel wies dieser daraufhin, dass er fast dreizehn Jahre als Staatsanwalt tätig war und eine Vielzahl ehemaliger Kollegen duzen würde. Die Treffen zwischen 2015 und 2020 begründete damit, dass er Pressesprecher des LG sei und er Badle, der seinerzeit Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft war, wegen "überschneidende Arbeitsbereiche" getroffen habe. Private Treffen habe es nie gegeben.
Zur Begründung der Ablehnung der Besorgnis der Befangenheit verweist das LG auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) (BGH, Beschl. vom 14.11.2012 – 2 StR 391/12), aus der sich ergebe, dass dienstliche Beziehungen eines Richters zu einem Beschuldigten nur dann Voreingenommenheit besorgen lassen können, wenn es sich um eine "besonders enge dienstliche Zusammenarbeit" handelt oder sich aus der dienstlichen Beziehung ein "enges persönliches Verhalten entwickelt hat". Beides sei hier nicht der Fall. Dass sich Pressesprecher von Staatsanwaltschaft und Gerichten zum Essen treffen, da es Abstimmungsbedarfe gebe, sei nachvollziehbar. Ansonsten sei kein gesteigerter dienstlicher Kontakt erkennbar.
LG: Duzen in Justizkreisen nicht ungewöhnlich
Gelegentliche gemeinsame Mittagessen in Justizkreisen seien wie auch in anderen beruflichen Kontexten "weder ungewöhnlich noch zwangsläufig Ausdruck einer guten Freundschaft oder sonstigen besonders engen persönlichen Beziehung". Daran änderten auch private Gespräche über Urlaube oder die Zeit nach der Pensionierung nichts. Auch ein Duzen sei nicht ungewöhnlich, "zumal wenn zwischen den betreffenden Personen keinerlei Über- oder Unterordnungsverhältnis oder beträchtlicher Altersunterschied" bestehe. Die IT-Unterstützung sei eine bloße Gefälligkeit und nicht Ausdruck eines besonders intensiven Vertrauensverhältnisses gewesen.
Die Auffassung des Badle-Verteidigers, dass Richter Gröschel quasi über die Pressearbeit seiner Ehefrau urteilen würde, da die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft die Strafzumessung beeinflusse, gehe fehl. Nach Rechtsprechung des BGH sei selbst eine aggressive und vorverurteilende Medienberichterstattung für die Strafzumessung regelmäßig ohne Bedeutung. Hiervon in Betracht kommende Ausnahmen seien nicht einschlägig, weil beim Vorwurf des Amtsmissbrauchs mit einem besonderen Medieninteresse gerechnet werden müsse. Zudem sei die Pressearbeit einer Staatsanwaltschaft nicht mit Medienberichterstattung vergleichbar, da die Staatsanwaltschaft gesetzlich verpflichtet sei, eine unnötige Bloßstellung des Angeklagten zu vermeiden. Überdies habe die Staatsanwaltschat inzwischen mitgeteilt, dass die Ehefrau des Richters in der Sache nicht als Pressesprecherin tätig sei.
LG: Verschwiegenheitspflicht wirkt auch in der Ehe
Schließlich bestehe auch keine Befangenheit, weil aufgrund der Ehe zwischen Richter und Staatsanwältin ein Informationsaustausch zu befürchten wäre. Abgesehen davon, dass die Pressesprecherin im Verfahren nicht als Pressesprecherin auftrete, stehe einem gegenseitigen Informationsaustausch die Pflicht von Richtern und Staatsanwälten zur Wahrung des Dienstgeheimnisses (§§ 37 BeamtStG i.V.m. § 71 DRiG) und zusätzlich bei Richtern das Beratungsgeheimnis nach § 43 DRiG entgegen. Es bestünden daher keine Bedenken, dass Richter und Staatsanwälte die Amtsverschwiegenheit auch gegenüber ihren Ehepartnern einhalten, zumal die Verletzung gemäß §§ 203 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. 11 Abs. 1 Nr. 2a) StGB strafbewehrt sei.
Nach LTO-Information hat Badles Verteidigung gegen den Befangenheitsbeschluss keine sofortige Beschwerde eingereicht, obwohl dieses Rechtsmittel aufgrund des Zwischenverfahrens und damit fehlender Eigenschaft von Gröschel als "erkennender Richter" (vgl. § 28 Abs. 2 S. 2 StPO) möglich gewesen wäre.
Hauptverfahren inzwischen eröffnet
Inzwischen hat das LG mit Beschluss vom 17. Oktober 2022 das Hauptverfahren gegen Badle wegen gewerbsmäßiger Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung eröffnet, allerdings nicht wegen Untreue. Hier ordnete das Gericht ergänzende Beweiserhebung an. Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung sind bislang nicht festgesetzt worden.
Die Ehe zwischen Richter Gröschel und der Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft sorgte unterdessen für einen weiteren Befangenheitsantrag. Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann, der sich aktuell vor dem LG wegen des Verdachts der Vorteilannahme verantworten muss, sieht in der Pressearbeit von Nadja Niessen ebenfalls ein Problem. Entscheiden wird hierüber wird erneut die 24. Große Wirtschafsstrafkammer unter Ausschluss von Gröschel. Das Ergebnis dürfte entsprechend ausfallen.
LTO erhält Begründung vom LG Frankfurt: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49961 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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