Twitter und Live-Blogs aus dem Gerichtssaal: Eine Gerichts­re­por­tage in 280 Zei­chen

Gastbeitrag von Anna K. Bernzen

13.06.2020

Live-Streams aus dem Gericht sind verboten. Live-Blogs dagegen sind erlaubt, spielen in der Praxis aber keine Rolle. Anna K. Bernzen erklärt, wieso dies so ist, warum es anders sein sollte und wie der Gesetzgeber dazu beitragen könnte.

Dass die Herzogin von Sussex, früher: Meghan Markle, nicht das beste Verhältnis zur britischen Boulevardpresse hat, ist bekannt. Besonders deutlich bekam dies jüngst der Verlag zu spüren, in dem die Mail on Sunday erscheint: Weil die Zeitung Auszüge aus einem Brief veröffentlicht hatte, den die Ehefrau von Prinz Harry ihrem Vater geschrieben hatte, erhob die Herzogin Klage. Ihre Vorwürfe: Die Zeitung habe durch die Publikation ihre privaten Informationen missbraucht, gegen das Datenschutzrecht verstoßen und das Urheberrecht verletzt.

Der erste Verhandlungstag am High Court versprach, spannend zu werden. Wer nicht selbst dabei sein konnte, dem lieferte der britische Journalist Joshua Rozenberg Echtzeit-Einblicke auf Twitter: "Die Herzogin sagt, [die Artikel] seien Beispiele für die 'offensichtliche Absicht der Mail, aufdringliche oder beleidigende Geschichten über sie zu veröffentlichen, um sie in einem falschen und schädlichen Licht darzustellen'", hieß es dort zum Beispiel. Fast sechs Stunden lang gab Rozenberg auf seinem Account die Argumente der Parteivertreter und die Fragen des Richters wieder.

Kein gesetzliches Verbot von Twitter und Co.

Auch wenn der Hochadel in Deutschland keine mit dem britischen Königshaus vergleichbare Rolle mehr spielt: Ähnlich spannende Verhandlungen, die der Eine oder die Andere gerne mitverfolgen würde, finden auch hierzulande statt. Ebenso wenig wie der Prozess der Herzogin von Sussex dürfen diese Verhandlungen jedoch live im Fernsehen oder gar im Internet übertragen werden, § 169 Abs. 1 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Eine Echtzeit-Übertragung in Textform könnte diese Lücke jedenfalls ein Stück weit schließen. Warum also wird aus deutschen Sitzungssälen so selten getwittert?

Am Gesetzgeber liegt es nicht: Textberichte, die live aus der mündlichen Verhandlung gesendet werden, sind gesetzlich nicht verboten. § 169 Abs. 1 S. 2 GVG erfasst eindeutig weder eine Aneinanderreihung von Tweets noch Einträge auf einem Live-Blog.

Auch eine Ausdehnung der Vorschrift im Wege der Analogie oder einer entsprechenden Anwendung kommt nicht in Betracht. Beides würde voraussetzen, dass der Gesetzgeber sich bisher keine Gedanken darüber gemacht hat, ob Echtzeit-Textberichte erlaubt sein sollen. Als er das Aufnahmeverbot durch das Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren (EMöGG) 2017 geringfügig lockerte, nannte er neue Kommunikationsformen wie Blogs und Twitter aber als einen Treiber der Reform – zeigte also Problembewusstsein.

Andere umstrittene Fragen der Medienöffentlichkeit beantwortete er im EMöGG eindeutig – zum Beispiel die, ob Verhandlungen in einen Medienarbeitsraum gestreamt werden dürfen. (Jein: Tonübertragungen sind erlaubt, Videostreams nicht.) Dass er Live-Textberichte im Gegensatz dazu bis heute nicht verboten hat, beruht also offenbar auf einer bewussten Entscheidung: Im Grundsatz sind diese Berichte also erlaubt.

Richterliche Verbote von Karlsruhe bis Koblenz

In der Praxis verbieten die Vorsitzenden Richter der betroffenen Verfahren sie allerdings meist. Das dürfen sie prinzipiell auch, schließlich sind sie nach § 176 Abs. 1 GVG für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung zuständig. Gang und gäbe ist dies etwa am Bundesverfassungsgericht: Seine Akkreditierungsbedingungen legen fest, dass das "Twittern und sonstige Versenden von Nachrichten" im Sitzungssaal untersagt ist.

Auch außerhalb von Karlsruhe wird es in öffentlichkeitswirksamen Prozessen oft unterbunden – entweder ausdrücklich oder indem verboten wird, Smartphones und Laptops in den Sitzungssaal mitzunehmen oder damit ins Internet zu gehen. Eine explizite Sperre wurde etwa gegen die Rhein-Zeitung verhängt, als sie 2010 einen Live-Ticker aus dem Mordprozess gegen ein Hells Angels-Mitglied am Landgericht Koblenz einrichtete. Noch während der Anklageverlesung wurde der Vorsitzende darüber informiert und entschied: Der Ticker muss eingestellt werden.

Liest man doch einmal einen Live-Blog zu einem Gerichtsverfahren, sind dessen Posts häufig auf einem kreativen Umweg entstanden: Weil der Vorsitzende meist nur Veröffentlichungen im Sitzungssaal selbst verbietet, schreiben manche Journalisten ihre Posts dort vor und verlassen dann den Zuschauerraum, um vor dessen Tür auf "Veröffentlichen" zu klicken. Ein völlig legales Vorgehen übrigens.

Risiken folgen schon aus der Saalöffentlichkeit

Nun spricht nichts dagegen, Live-Textberichte dort zu verbieten, wo sie die Ordnung in der Sitzung wirklich stören – nur ist das kaum einmal der Fall. Das gegen Aufnahmen im Gericht angeführte Argument, sie beeinträchtigten den äußeren Ablauf der Verhandlung, lässt sich auf Twitter und Co. nicht übertragen. Wer auf einem Smartphone tippt, dessen (Klingel-)Töne er zuvor ausgestellt hat, stört nicht.

Viele andere Gründe, die für das Liveblogging-Verbot genannt werden, sprechen eigentlich nicht gegen Twitter und Co., sondern ganz allgemein gegen Gerichtsöffentlichkeit: Schon die klassische Saalöffentlichkeit erlaubt Journalisten schließlich, sich Prozesse anzusehen und über das Gesehene zu berichten.

Ein Beispiel: Dass ein Live-Blog aus einem Arzthaftungsprozess das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin beeinträchtigen kann, deren Krankengeschichte darin detailliert mitgeschrieben wird, ist klar. Dieselbe Beeinträchtigung würde aber auch eintreten, wenn ihr Gesundheitszustand am nächsten Tag in der Zeitung beschrieben würde.

Ebenso gefährdet es natürlich die Wahrheitsfindung, wenn der Opferzeuge durch eine twitternde Journalistin so eingeschüchtert wird, dass er sich zur Aussage nicht mehr imstande sieht. Er könnte aber auch schon durch ihren Kollegen von der Tageszeitung gehemmt werden, der sich nur Notizen für einen späteren Artikel macht.

Verbote greifen in die Rundfunkfreiheit ein

Denkbar ist zwar, dass gerade die Tatsache, dass Live-Blogs unauffällig geführt werden können, einen zusätzlichen Einschüchterungseffekt hat. Der Zeuge kann schließlich nicht auf den ersten Blick erkennen, ob seine Aussage gerade in Echtzeit im Internet veröffentlicht wird. Mögliche Effekte sind aber noch unklar: Erforscht sind die Auswirkungen dieser Berichterstattung bisher nicht. In England, wo Journalisten wie Joshua Rozenberg das Twittern seit einigen Jahren gestattet ist, hat man damit aber vor allem positive Erfahrungen gemacht.

Jedenfalls dürfen Live-Blogs und Co. auch in Deutschland nur verboten werden, wo speziell aus dem Live-Element ausnahmsweise einmal Gefahren folgen, die größer sind als die Risiken der klassischen Berichterstattung aus Gerichtsprozessen. Dass wir diese Risiken hinnehmen müssen, zeigt die Grundentscheidung des Gesetzgebers für eine öffentliche Gerichtsverhandlung. Sie dürfen daher auch nicht gegen das Live-Blogging ins Feld geführt werden.

Dass ein Twitter-Verbot nur in Ausnahmefällen denkbar ist, folgt außerdem daraus, dass es einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit darstellt – und dieser Eingriff wiegt schwer: Werden Textberichte per Twitter oder Blog aus dem Gerichtssaal untersagt, wird dieses grundrechtlich geschützte Verhalten stark erschwert, indem Berichterstatter den beschriebenen Umweg gehen müssen. In öffentlichkeitswirksamen Prozessen werden die Berichte dadurch oft sogar unmöglich gemacht: Dann nämlich, wenn die Live-Blogger ihren Platz an wartende Kollegen abgeben müssten, wenn sie den Zuschauerraum verlassen.

Weil sich diese Rechtslage in der Praxis nicht widerspiegelt, sollte der Gesetzgeber tätig werden. Er sollte ausdrücklich festlegen, dass Live-Textberichte aus dem Gerichtssaal im Grundsatz erlaubt sind. Natürlich sollte er dem Vorsitzenden auch die Möglichkeit geben, sie im Einzelfall zu untersagen. Durch eine solche Regelung würde er aber deutlich machen, dass die Berichterstattung der Normalfall sein muss – und nicht, wie es heute die übliche Praxis ist, ihr Verbot.

Die Autorin Dr. Anna K. Bernzen ist Rechtsreferendarin am OLG Frankfurt am Main. In ihrer Dissertation an der Universität Osnabrück hat sie sich mit der Medienöffentlichkeit in Deutschland und England befasst.

Zitiervorschlag

Twitter und Live-Blogs aus dem Gerichtssaal: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41886 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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