Eigentlich wollte Italiens Staatsanwaltschaft klären lassen, ob für eine EU- Ermittlungsanordnung auf deutscher Seite ein Gericht eingeschaltet werden muss - der EuGH lehnte die Vorlage ab, sie hätte selbst von einem Gericht kommen müssen.
Beim Finanzamt für Steuerstrafsachen in Münster – und auch bei allen anderen deutschen Finanzämtern – bleibt in Sachen Europäischer Ermittlungsanordnung erstmal alles beim Alten. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von Donnerstag (Urt. v. 2.9.2021, Az C-66/20). Dabei hatten die Schlussanträge nahegelegt, dass die deutschen Steuerfahnderinnen und -fahnder ihre Praxis ändern müssen.
Die Luxemburger Richterinnen und Richter wiesen ein Vorlageverfahren aus Italien als unzulässig zurück, mit dem die dortige Staatsanwaltschaft klären lassen wollte, unter welchen Voraussetzungen Europäische Ermittlungsanordnungen ausgestellt werden dürfen. Die Frage zu diesem wichtigen Instrument der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bleibt damit erstmal weiter offen.
Ähnlich wie auch beim Europäischen Haftbefehl beruht die Europäische Ermittlungsanordnung auf der Idee, dass die EU-Mitgliedstaaten die Entscheidungen ihrer Justizbehörden untereinander anerkennen und möglichst schnell und unkompliziert umsetzen. Bei der Ermittlungsanordnung geht es um Maßnahmen wie etwa Durchsuchungen in einem anderen EU-Staat.
Kann das Finanzamt als Staatsanwaltschaft durchgehen?
Im November 2019 ging bei der Procura della Repubblica di Trento (Staatsanwaltschaft Trient, Italien) eine Europäische Ermittlungsanordnung des Finanzamts für Steuerstrafsachen Münster ein, mit der um die Durchsuchung von Geschäftsräumen gebeten wurde. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren wegen Hinterziehung von Einkommensteuern auf der Grundlage von Bestimmungen der Abgabenordnung.
Die Staatsanwaltschaft Trient forderte die Finanzbeamten in Münster auf, ihnen eine von einer Justizbehörde validierte Version vorzulegen.
Der Gedanke hinter der entsprechenden EU-Richtlinie, die die Zusammenarbeit bei der Ermittlungsanordnung regelt: Weil es sich grundrechtlich um einschneidende Maßnahmen handelt, sollen sie auch einer entsprechenden unabhängigen Justiz-Kontrolle unterliegen. Wer eine solche Maßnahme auf Aufforderung aus dem EU-Ausland ausführt, soll davon ausgehen dürfen, dass es sich um eine ausreichend abgesicherte Entscheidung handelt. Die Frage für die deutsche Justiz bleibt, wer kann als unabhängige "Justizbehörde" im Sinne der Richtlinie gelten?
Das Finanzamt Münster teilte den Italiener mit, dass man selbst als Justizbehörde gelte und nach § 399 Abs. 1 Abgabenordnung in Verfahren wegen Steuerstraftaten die Funktion der Staatsanwaltschaft ausübe.
In ihrer Vorlageentscheidung argumentierte die Staatsanwaltschaft Trient, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung zwingend eine gerichtliche Entscheidung sein müsse, und zwar in dem Sinne, dass sie gemäß Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/41 entweder von einer Justizbehörde erlassen oder von einer Verwaltungsbehörde erlassen und von einer Justizbehörde validiert sein müsse.
Zu dieser Frage verhielt sich der EuGH nun gar nicht. Denn er entschied, dass die italienische Staatsanwaltschaft selbst gar nicht zu einer Vorlage an das europäische Gericht berechtigt gewesen ist. Die Vorlage nach Art. 267 AEUV zur Auslegung europäischer Vorschriften hätte von einem "Gericht" kommen müssen.
Das Brisante: Eigentlich sah es in dem Rechtsstreit gar nicht gut aus für die deutsche Praxis.
Generalanwalt sprach sich gegen deutsche Praxis aus
In seinen Schlussanträgen zu dem Verfahren war der Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona im März 2021 davon ausgegangen, dass ein deutsches Finanzamt für Steuerstrafsachen nicht selbstständig eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) erlassen kann, sondern sie zuvor von einer Justizbehörde validieren lassen muss. Das Finanzamt müsste dann also zumindest die Staatsanwaltschaft einschalten. Durch die Unzulässigkeit der Vorlagefrage blieb eine EuGH-Entscheidung dazu nun aus.
Die Entscheidung steht in einer ganzen Reihe von Verfahren, in denen der EuGH sich zur Rolle deutscher Ermittlungsbehörden im Zusammenspiel mit grenzüberschreitenden EU-Instrumenten äußerte. Während der EuGH 2019 mit seiner Rechtsprechung zum Europäischen Haftbefehl die Befugnisse der deutschen Staatsanwaltschaft geschwächt hatte, hat er ihr Ende 2020 in Bezug auf die Europäische Ermittlungsanordnungen den Rücken gestärkt. Die deutsche Staatsanwaltschaft darf Europäische Ermittlungsanordnungen erlassen. Anders als beim Erlass von Europäischen Haftbefehlen sei es hier unerheblich, dass die Staatsanwaltschaft Einzelweisungen der Exekutive unterworfen werden kann, entschied der EuGH.
EuGH zur EU-Ermittlungsanordnung: . In: Legal Tribune Online, 02.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45902 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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