Bei den französischen, belgischen und schwedischen Staatsanwälten gibt es kein Problem: Sie dürfen weiterhin den EU-Haftbefehl ausstellen. Der EuGH klärt damit offene Fragen nach seinem Grundsatzurteil zu den deutschen Staatsanwaltschaften.
Die französische, die schwedische und die belgische Staatsanwaltschaft genügen den Anforderungen, die für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls (EuHB) bestimmt sind, so der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 12.12.2019, C-566/19 PPU, C-626/19 PPU, C-625/19 PPU, C-627/19 PPU). Die Richter präzisierten damit ihre Rechtsprechung nach einem Grundsatzurteil zur deutschen Staatsanwaltschaft und klärten Fragen zum Umfang des gerichtlichen Schutzes, der gewährleistet sein muss, wenn der EuHB von einer Staatsanwaltschaft ausgestellt wird.
Der EuHB beruht auf der Idee, dass die EU-Mitgliedstaaten Entscheidungen der jeweiligen Justizbehörden untereinander anerkennen und sie möglichst schnell und unkompliziert umsetzen. So kann europaweit zum Beispiel nach Tatverdächtigen gefahndet bzw. eine Freiheitsstrafe vollstreckt werden. Zuletzt hatte allerdings eine Grundsatzentscheidung zur deutschen Staatsanwaltschaft für Unruhe gesorgt: Im Mai dieses Jahres erklärte der EuGH, deutsche Staatsanwälte seien nicht unabhängig genug, um einen EuHB auszustellen, weil die Justizminister ihnen in Einzelfällen Weisungen erteilen können – auch wenn das tatsächlich selten vorkommt.
Seitdem scheint es mit dem gegenseitigen Vertrauen nicht mehr weit her zu sein, denn nun erreichten vier Vorabentscheidungsersuchen aus Luxemburg und den Niederlanden den EuGH. Die vorlegenden Gerichte hatten Zweifel an der Ausstellung von zwei Haftbefehlen aus Frankreich sowie je einem aus Schweden und Belgien.
Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona war in seinen Schlussanträgen davon ausgegangen, dass auch die französische Staatsanwaltschaft nicht unabhängig genug sei. Sie unterstehe zwar seit 2014 keinen Einzelweisungen mehr, der französische Justizminister könne aber weiterhin allgemeine Weisungen erteilen. Auch das führe dazu, dass eine ausreichende Unabhängigkeit von der Exekutive nicht gegeben sei.
Problematisch ist nur das Weisungsrecht in Einzelfällen
Das sah der EuGH jedoch anders. Entscheidend sei, dass die Staatsanwaltschaft die Befugnis habe, unabhängig zu beurteilen, ob der Erlass eines EuHB notwendig und verhältnismäßig ist, und dabei in objektiver Weise alle be- und entlastenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Unabhängigkeit der Staatsanwälte werde weder dadurch in Frage gestellt, dass sie mit der Strafverfolgung betraut sind, noch dadurch, dass der Justizminister ihnen allgemeine Weisungen auf dem Gebiet der Strafrechtspolitik erteilen kann, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichtshofs. Ebenso wenig habe die Leitung und Kontrolle durch Vorgesetzte, die selbst Mitglieder der Staatsanwaltschaft sind, einen Einfluss auf die Unabhängigkeit.
Damit ist klar, dass der EuGH nicht das allgemeine Weisungsrecht – das in Deutschland ebenfalls besteht – für problematisch hält, sondern die Möglichkeit, Weisungen in Einzelfällen zu erteilen. Deshalb hatten bereits nach der ersten Entscheidung des EuGH diejenigen EU-Mitgliedstaaten, in denen der EuHB ebenfalls durch die Staatsanwaltschaft ausgestellt werden, schnell betont, dass ihre Staatsanwaltschaften mindestens in dieser Hinsicht unabhängig organisiert sind.
Auch das österreichische System hat der EuGH zwischenzeitlich überprüft: Dort ist die Staatsanwaltschaft zwar ähnlich wie in Deutschland weisungsabhängig organisiert. Der EuHB wird allerdings durch ein Gericht bewilligt. Das reichte dem EuGH aus. Für Deutschland hat man ebenfalls eine pragmatische Lösung gefunden: Seit der Grundsatzentscheidung des EuGH wird jeder EuHB von einem Richter unterzeichnet.
Die Mitgliedstaaten müssen ausreichenden Rechtsschutz sicherstellen
Der EuGH verlangt außerdem ein gewisses Niveau beim Rechtsschutz, insbesondere gegen solche EU-Haftbefehle, die nicht von einem Gericht ausgestellt werden. Diese Anforderungen haben die Richter nun ebenfalls präzisiert: Demnach muss es in diesen Fällen zwar möglich sein, im ausstellenden Staat einen Rechtsbehelf einzulegen, der die Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz beachtet. Das Vorliegen eines solchen Rechtsbehelfs sei aber keine Voraussetzung für die Frage, ob die Justizbehörde überhaupt einen EuHB ausstellen kann.
Es sei Sache der Mitgliedstaaten, darauf zu achten, dass ihre Rechtsordnungen das geforderte Rechtsschutzniveau wirksam garantieren, so die Richter in Luxemburg. Die jeweiligen Verfahrensregeln könnten aber durchaus von System zu System unterschiedlich sein. Es reiche aus, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung des EuHB und insbesondere seine Verhältnismäßigkeit im Ausstellungsmitgliedstaat gerichtlich geprüft werden können. Das französische und das schwedischen System erfülle diese Anforderungen.
Auch in dem Fall, in dem die belgische Staatsanwaltschaft einen EuHB zur Vollstreckung einer mit rechtskräftigem Urteil verhängten Freiheitsstrafe erlassen hatte, sahen die Richter keine Probleme. Wenn der EuHB auf die Vollstreckung einer Strafe gerichtet ist, werde die gerichtliche Kontrolle nämlich ohnehin durch das vollstreckbare Urteil ausgeübt wird, auf das dieser Haftbefehl gestützt ist, so der EuGH.
Für die jeweiligen Justizbehörden heißt das, dass sie die Frage der Rechtsschutzmöglichkeiten nicht selbst überprüfen müssen, wenn ihnen einen EuHB aus einem anderen EU-Land vorliegt - sie können wieder darauf vertrauen, dass ausreichender Rechtsschutz gewährleistet wird.
Annelie Kaufmann, EuGH erneut zur Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften: . In: Legal Tribune Online, 12.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39209 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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