Den Gerichten fehlt es an Justizpersonal. Die Auswirkungen des Personalmangels sind bereits spürbar - überlange Strafverfahren und daraus folgende Haftentlassungen werden vermehrt zur gängigen Gerichtspraxis.
Verfahren vor deutschen Strafgerichten dauern immer länger. Die durchschnittliche Dauer erstinstanzlicher Strafverfahren vor den Landgerichten sei im vergangenen Jahr nach Daten des Statistischen Bundesamtes auf einen neuen Höchstwert von durchschnittlich 8,2 Monaten gestiegen, beklagte der Deutsche Richterbund (DRB) am Freitag.
Im Zehn-Jahres-Vergleich hätten sich Strafprozesse vor den Landgerichten damit um fast zwei Monate verlängert. Auch bei den Amtsgerichten habe sich die durchschnittliche Verfahrensdauer bis zu einem Strafurteil im vergangenen Jahr auf 5,8 Monate verlängert. Gegenüber 2020 sei das ein weiterer Anstieg um einen halben Monat.
"Die seit Jahren steigende Verfahrensdauer und die wachsende Zahl von U-Haftentlassungen wegen unverhältnismäßig langer Verfahren sind Symptome einer hohen Arbeitsbelastung der Strafjustiz. Angesichts stetig wachsender Aufgaben für die Justiz kann eine Trendwende nur mit mehr Personal gelingen", sagt Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des DRB.
Bundesregierung muss Versprechen einhalten
Hinzu komme, dass Strafverfahren immer aufwendiger würden, weil internationale Bezüge zunähmen, die Komplexität des Rechts stetig steige und die auszuwertenden Datenmengen in der digitalen Welt sprunghaft wüchsen. Es sei dringend erforderlich, dass die Ampel-Koalition den versprochenen Rechtsstaatspakt 2.0 nun zügig mit den Ländern umsetze, meint Rebehn.
"Ein Dreivierteljahr nach ihrem Amtsantritt muss die Bundesregierung endlich konkrete Vorschläge auf den Tisch legen, wie sie die Neuauflage des Bund-Länder-Pakts zur Stärkung der Justiz ausgestalten will. In der Justiz sind inzwischen viele irritiert über die Zögerlichkeit von Bundesjustizminister Marco Buschmann bei dem Vorhaben. Angesichts immer längerer Verfahren, struktureller Überlastungen in Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie gewaltiger Digitalisierungsaufgaben braucht es jetzt das groß angelegte Investitionspaket von Bund und Ländern", so Rebehn.
Fast 300 Tatverdächtigte aus Untersuchungshaft entlassen
Dass die Strafjustiz überlastet ist, verdeutlicht auch eine weitere Statistik: In den vergangenen fünf Jahren sind in Deutschland fast 300 Tatverdächtige wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Aus diesem Grund schlug auch der Richterverband Schleswig-Holstein Alarm. Das Bundesland hatte neben Sachsen die meisten Haftentlassungen vermeldet.
Allein im Jahr 2021 hat die Justiz nach Recherchen der Deutschen Richterzeitung bundesweit mindestens 66 Tatverdächtige wieder auf freien Fuß gesetzt, weil deren Strafverfahren zu lange gedauert haben. Die Zahl ist im Vergleich mit 2020 deutlich gestiegen, als die Länder 40 Fälle gemeldet hatten.
Die Situation dürfte sich auch 2022 nicht entspannen: So sind in Berlin nach Angaben der Justizbehörde in diesem Jahr bereits sieben dringend Tatverdächtige wegen Verfahrensverzögerungen wieder auf freien Fuß gesetzt worden, während die Bremer Justiz drei des Mordes Verdächtige wegen zu langwieriger Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen hat. In Hessen hat das Oberlandesgericht Frankfurt Ende Juni angeordnet, dass sechs mutmaßliche Gewaltverbrecher aus der Untersuchungshaft zu entlassen sind, weil sich ihre Strafverfahren unverhältnismäßig lange hingezogen haben. Das OLG stellte dabei eine erhebliche "strukturelle Überlastung" des zuständigen Landgerichts fest.
dpa/ku/LTO-Redaktion
Strafprozessdauer erreicht Höchstwert: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49375 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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