Der Streit um die Besetzung der Präsidentenstelle am OVG NRW geht weiter: Das BVerfG entschied am Donnerstag zugunsten eines unterlegenen Mitbewerbers. Das OVG muss nun genau nachprüfen, ob das Auswahlverfahren korrekt abgelaufen ist.
Der grüne NRW-Justizminister Benjamin Limbach gerät wegen einer brisanten Personalentscheidung an der Spitze des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster zunehmend unter Druck. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verlangt in einem am Donnerstag veröffentlichen Beschluss, dass nunmehr gerichtlich intensiv überprüft werden muss, ob die von Limbach seinerzeit favorisierte Kandidatin rechtlich einwandfrei ausgewählt wurde (Beschl. v. 07.08.2024 2 BvR 418/24). Gegen Limbachs Auswahl war ein unterlegener Mitwerber – ein Bundesrichter – vorgegangen. Im Raum steht eine sachwidrige Vorfestlegung des Ministers zugunsten seiner Favoritin.
Den Zuschlag der Landesregierung für den Präsidentenposten hatte eine erst spät ins Verfahren eingestiegene Bewerberin erhalten. Nach Eilanträgen unterlegener Bewerber hatten Verwaltungsgerichte das Besetzungsverfahren zunächst gestoppt. Limbach war durch die erstinstanzlichen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Düsseldorf, in denen deutliche Kritik am Besetzungsverfahren enthalten war, politisch unter Druck geraten.
Die Verfassungsbeschwerde eines Mitbewerbers hatte nun in Karlsruhe teilweise Erfolg. Seine Beschwerde richtete sich gegen eine Entscheidung des OVG vom Februar. Die Verwaltungsrichter ausgerechnet des Gerichts, um dessen Spitze es geht, hatten Limbach seinerzeit eine korrekte Personalauswahl attestiert und die Beschwerden zweier unterlegener Mitbewerber um den Posten in der zweiten Instanz im Februar als unbegründet abgewiesen. Einer von ihnen wendete sich daraufhin ans BVerfG.
Eidesstattliche Versicherung belastet Limbach
Der Bundesrichter, der gerne OVG-Präsident werden will, machte in Karlsruhe unter anderem geltend, dass das Gericht in Münster Hinweisen aus einer eidesstattlichen Versicherung nicht nachgegangen sei. Danach hat – lange bevor eine dienstliche Beurteilung der Mitbewerberin vorgelegen habe – der Minister in einem persönlichen Gespräch mit dem Beschwerdeführer von einem "Vorsprung" der Mitbewerberin gesprochen und ihm nahegelegt, seine Bewerbung zurückzuziehen. Trotz seiner eidesstattlichen Versicherung dieser Vorgänge habe das OVG diese Umstände des Auswahlverfahrens unaufgeklärt gelassen.
Die 1. Kammer des Zweiten Senates des BVerfG gab dem Mann nun im Wesentlichen Recht. Es hob den OVG-Beschluss vom Februar auf und verwies die Sache zurück nach Münster. Dem höchsten NRW-Verwaltungsgericht warfen die Karlsruher Richter vor, die Umstände des Auswahlverfahrens nicht hinreichend gewürdigt zu haben.
Das OVG müsse jetzt klären, ob es tatsächlich eine unzulässige Vorfestlegung des Ministers gegeben hat. Das Karlsruher Gericht könne diese selbst nicht leisten. "Die Aufklärung des Sachverhalts und die Beweiswürdigung sind Aufgabe der Fachgerichte, nicht des Bundesverfassungsgerichts", so das BVerfG in seiner Presseerklärung.
BVerfG: "Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt"
Laut BVerfG verletzt die zugunsten des NRW-Justizministers ergangene OVG-Entscheidung den übergangenen Bundesrichtern seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). "Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Daher muss das Auswahlverfahren so organisiert sein, dass es sich dafür eignet, den fachlich besten Bewerber zu ermitteln und nicht sachlich begründete Vorfestlegungen zu vermeiden", so das BVerfG.
Würden im gerichtlichen Verfahren zur Überprüfung einer Auswahlentscheidung Umstände vorgetragen, die auf eine Vorfestlegung anhand anderer, sachwidriger Kriterien hindeuten, müssen die Gerichte diese Umstände zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG aufklären und nachvollziehbar würdigen. Dem werde die Entscheidung des OVG in Münster nicht gerecht. Dieses habe trotz Vorliegens einer eidesstattlichen Versicherung des unterlegenen Bewerbers "mit einer verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Begründung" angenommen, es gebe keinen tauglichen Ansatzpunkt für die Annahme einer Voreingenommenheit des Ministers, sodass eine weitere Sachaufklärung unterbleiben könne.
Das BVerfG sieht das anders. In seinem Beschluss heißt es: "Aus der eidesstattlichen Versicherung ergeben sich Anhaltspunkte für ein politisch koordiniertes Vorgehen mit Kenntnis und unter Beteiligung des Ministers, das mit einer Vorfestlegung anhand sachfremder Kriterien (Geschlecht und Parteimitgliedschaft) verbunden wäre."
NRW-Justizministerium: "Es gab keine unzulässige Vorfestlegung"
Ob sich der unterlegene Bundesrichter nun in einer nächsten Runde vor dem OVG durchsetzen wird, ist offen. Gut möglich, dass das Gericht in Münster auch nach intensiver Aufklärung des Sachverhalts zu dem Ergebnis kommt, dass die Auswahl für den Posten durch den NRW-Justizminister korrekt abgelaufen ist.
Limbachs Haus selbst erklärte am Donnerstag, es sei gut, dass das BVerfG schnell über die Verfassungsbeschwerde entschieden habe. Das Ministerium werde seinen Rechtsstandpunkt nun auch in dem neuen Durchgang vor dem OVG entschlossen vertreten und alles Notwendige zur weiteren Aufklärung beitragen. "Eine unzulässige Vorfestlegung durch den Minister der Justiz hat es nicht gegeben", versicherte das Ministerium. Im LTO-Interview hatte Limbach seinerzeit erklärt, er habe die Personalentscheidung "nach sorgfältiger Prüfung" getroffen.
Erfreut reagierte auch die den Beschwerdeführer vertretende Kanzlei Dombert Rechtsanwälte auf die "schnelle Entscheidung" des BVerfG: Es sei jetzt wichtig, dass der Streit um die Besetzung dieses wichtigen Postens in der Justiz des Landes schnell beigelegt werde, heißt es in einer Presseerklärung.
Parteibuch statt Kompetenz?
Die umstrittene Besetzung wird auch in einem Untersuchungsausschuss des Landtags aufgearbeitet. Aus Sicht der Opposition steht der Verdacht im Raum, dass Parteibuch und Beziehungen den Ausschlag bei der Besetzung gegeben hätten und nicht die Kompetenz der Bewerber. Die Stelle ist seit rund drei Jahren unbesetzt.
Unterdessen forderte das Justizministerium NRW für die Zukunft generell "mehr Rechtsklarheit" bei der Besetzung von Spitzenämtern in der Justiz. "Der Minister der Justiz hat dafür im Juni konkrete Eckpunkte vorgestellt, wie die Besetzung von Spitzenämtern in der Justiz verbessert werden kann", erklärte das Ministerium.
Limbachs Vorschläge, die LTO vorliegen, sehen unter anderem vor, künftig auch vertrauliche Bewerbungsgespräche zu dokumentieren. Außerdem sollen vor einem Besetzungsvorschlag durch das Ministerium die zuständigen Mitbestimmungsgremien aus dem Justizbereich eingebunden werden.
Für das Besetzungsverfahren an der Spitze des OVG in Münster kommen derartige Pläne allerdings zu spät.
Mit Material von dpa.
Druck auf NRW-Justizminister Limbach steigt: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55298 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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