Jahresbericht des BSG für 2022: "Möchte mit so einer Rente nicht aus­kommen müssen"

von Tanja Podolski

07.02.2023

Wenn es nach Rainer Schlegel ginge, würden auch Selbstständige, Anwälte und Richter Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Präsident des BSG berichtete in Kassel über die Geschäftszahlen – und politische Notwendigkeiten.

Dass es mit der Rentenversicherung so nicht weitergeht, da seien sich alle einig, sagt der Präsident des Bundessozialgerichts (BSG) Prof. Dr. Rainer Schlegel. Seit 1960 sei die Lebenserwartung um zehn Jahre gestiegen, liege bei Frauen inzwischen bei rund 84 Jahren, bei Männern bei rund 79. Die Rentenbezugsdauer habe sich verdoppelt. Damals seien auf einen Rentner noch sechs Erwerbstätige gekommen, im Jahr 2030 werde das Verhältnis bei 1,5 auf einen Rentner liegen.

Schlegel hat an diesem Tag beim Jahrespressegespräch in Kassel-Wilhelmshöhe alle Zahlen parat. Schon beim letzten Deutschen Juristentag (DJT) in Bonn war das Thema Rente diskutiert worden, er wiederholt seinen Lösungsvorschlag: Mit jeder statistischen Verlängerung der Lebenserwartung müsse sich auch der Renteneintritt nach hinten verschieben. Und es wäre nicht Schlegel, wenn er nicht noch mal andeutete, dass eine Verkürzung der Lebenserwartung – wie sie gerade die Pandemie bewirkte – seiner Ansicht nach nicht wieder zu einem früheren Renteneintrittsalter führen sollte.

Viele Menschen könnten länger arbeiten, "und da möchte ich jetzt nicht den Zimmermann auf dem Dach bemühen", auf den das vielleicht nicht zuträfe. Er selbst würde gerne länger arbeiten, dürfe aber nicht, "ich muss mit 66 aufhören". Klar ist für ihn aber auch: "Eine Erhöhung des Renteneinstiegsalters auf 70 wird man politisch nicht durchsetzen können.

"Rente mit 70 politisch nicht durchsetzbar"

Weniger Geld für die Rentner ist für ihn keine Alternative: "Ich bin nicht der Meinung, dass man die Renten kürzen müsste", sagt der Präsident. Die Standardrente – also was ein Mensch theoretisch nach 45 Erwerbsjahren bekommt – liege bei 1.620 Euro (West). Die Durchschnittsrente sei aber deutlich geringer. Rund 33 Prozent der Männer bekämen über 1.500 Euro, der größte Anteil, 18,4 Prozent, habe allerdings eine Rente zwischen 1.200 und 1.500 Euro – 45 Prozent der Männer und noch mehr Frauen haben weniger. "Ich möchte mit so einer Rente nicht auskommen müssen."

Vielmehr müsse eine Einbeziehung weiterer Berufsgruppen in die gesetzliche Rentenversicherung diskutiert werden, für die Selbstständigen sei auch dies bereits beim DJT diskutiert worden. "Die Diskussion endet aber immer bei bestimmten Gruppen", sagt Schlegel, eben Interessengruppen, die diesen Vorstoß "nicht so prickelnd finden". Dabei sei es gesetzlich in Sozialgesetzbuch vorgesehen, dass "alle abhängig Beschäftigten versicherungspflichtig seien. Dies sei die Regel, es folgten dann die Befreiungen für Beamte, Soldaten und Richter. "Diese Befreiungen bräuchte es nicht, wenn die Gruppen nicht von vorneherein drin wären", meint der BSG-Präsident.

Für ihn ist klar: Im ersten Schritt sollten alle in die gesetzliche Rentenversicherung, im zweiten Schritt müsse man sich von der Idee verabschieden, dass die Rente den Lebensabend finanziert. "Sicherungsziel ist 15 bis 20 Prozent über einem sozio-kulturellen Einkommen". Wer dann noch schöne Reisen machen wolle, müsse sich selbst überlegen, wie die zu finanzieren sind.

112 Milliarden Euro schießt der Bund zur Finanzierung der Renten-Ausgaben schon zu, rund zwei Drittel kommen aus den Beiträgen selbst.

"Elektronische Möglichkeiten neu denken"

Natürlich ging es in dem Jahrespressegespräch, das nach zwei Jahren in rein digitalem Format diesmal hybrid stattfand, auch um die Digitalisierung und den elektronischen Rechtsverkehr. Die je 21 Berufsrichterinnen und Berufsrichter am BSG arbeiten mit so genannten Verwaltungsakten, also Akten, in denen jahrelanger Schriftverkehr, Bescheide, Gesundheitsgutachten abgelegt sind – das können hunderte Seiten sein. Diese sind derzeit eingescannt und dann ein PDF-Dokument, das bisher nicht nach Schlagworten durchsuchbar ist.

Zudem dauere die Bearbeitung einzelner Schritte oft sehr lange. "Wenn man einen Kaffee trinken gehen kann, bis der nächste Arbeitsschritt anläuft, dann ist das misslich", sagt Schlegel.

Umgestellt auf die elektronische Akte (E-Akte) haben zwar alle Senate des BSG seit Sommer 2022, doch bei der Performance gebe es noch "deutlich Luft nach oben", meint Schlegel. Es müsse geklärt werden, wie Gerichte künftig arbeiten sollen. Ausgehend von den elektronischen Möglichkeiten müsse der Gerichtsprozess im Prinzip neu gedacht werden, so der BSG-Präsident.

Leichter Rückgang bei den Eingangszahlen

Kein Jahresbericht ohne Zahlen: Im Jahr 2022 gingen insgesamt 2.679 Verfahren, gerechnet über alle Verfahrensarten, beim BSG ein. Damit liegen die Eingangszahlen insgesamt leicht unter dem Niveau des Vorjahres (2.806 Verfahren).

Verschiebungen zwischen den einzelnen Verfahrensarten sind in Folge der zum 1. Januar 2022 geänderten statistischen Erfassung von Verfahren aufgetreten, die das BSG selbst angestoßen hatte. Dies betrifft insbesondere die Zahl der Revisionen, Nichtzulassungsbeschwerden und Verfahren, die nun im "Allgemeinen Register" geführt werden. Als Revisionen zählen hingegen jetzt nur noch Fälle, die tatsächlich solche sind – nicht solche, die von Privatpersonen so bezeichnet wurden. "Wir wollten hier eine statistische Wahrheit reinbringen", sagt Schlegel, "und nicht Fälle als Revisionen führen, die wirklich keine sind".

Dies erklärt den Rückgang bei den eingelegten Revisionen um 26,4 Prozent von 311 Verfahren (2021) auf 229 Verfahren im Jahr 2022. Ähnlich sieht es bei den Nichtzulassungsbeschwerden aus. Deren Zahl lag im Vorjahr bei lediglich 1.030 - im Vergleich zu 1.574 im Jahr 2021.

Bestand ganz gering erhöht

Erledigt wurden im Jahr 2022 insgesamt 236 Revisionen (2021: 337), 1.178 Nichtzulassungsbeschwerden (2021: 1.672) und 560 Verfahren, die im "Allgemeinen Register" eingetragen waren. Die Veränderungen zum Vorjahr sind auch insoweit im Wesentlichen der geänderten statistischen Erfassung geschuldet. Der Bestand an unerledigten Revisionen am Jahresende 2022 hat sich gegenüber dem Jahresanfang um rund 2,5 Prozent verringert. Insgesamt blieb damit der Bestand der unerledigten Verfahren über alle Verfahrensarten fast unverändert (979 Anfang 2022, 983 zum Ende 2022).

Der Bestand insgesamt hat sich damit ganz leicht erhöht: Über alle Verfahrensarten hinweg lag er um 0,4 Prozent höher als zu Jahresbeginn. Auch die Verfahrensdauer ist leicht gestiegen, bei Revisionen von 9,3 auf 14,5 Monate, bei Beschwerden von 4,2 auf 5,2 Monate. Auch das hänge aber, so Schlegel, mit der Änderung der Statistik zusammen.

Zitiervorschlag

Jahresbericht des BSG für 2022: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51005 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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