Am Mittwoch wird die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket gegen Hasskriminalität im Netz beschließen - inklusive Meldepflicht und Passwortherausgabe durch Internetplattformen. Das dürfte zu rund 150.000 neuen Ermittlungsverfahren pro Jahr führen.
Es war ein besonderer Vorgang am Samstagabend für die Bundesanwaltschaft und die Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Binnen Stunden wurden Haftbefehle für zwölf Männer erwirkt, die die Ermittler für eine rechtsextremistische Terrorzelle halten. Bei ihnen wurden Waffen gefunden, ihr mutmaßlicher Plan: Angriffe auf Moscheen. Radikalisiert haben sollen sich auch im Internet, in Chatgruppen und über E-Mail-Verteiler.
"Der Fall zeigt erneut, wie Extremisten sich zusammenschließen, um Menschen in unserem Land und unsere Demokratie zu attackieren", teilte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) dazu am Dienstag mit. "Das erfordert höchste Wachsamkeit und konsequentes Vorgehen der Sicherheitsbehörden und der Justiz".
Die Bundesregierung hatte sich im Herbst nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf ein Vorgehen gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus verständigt. Am Mittwoch soll das Kabinett ein entsprechendes Maßnahmenpaket beschließen. Der 56-seitige finale Entwurf, der LTO vorliegt, sieht unter anderem vor, dass Anbieter großer sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter, Youtube, Instagram und TikTok strafbare Inhalte direkt an das Bundeskriminalamt (BKA) melden. Das BKA soll die Verfahren dann an die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft weitergeben.
Hassbeiträge melden statt nur löschen
Schon bisher sind diese Anbieter nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verpflichtet, Beschwerden von Nutzern zu prüfen und strafbare Inhalte zu löschen. Die Meldepflicht soll nur für bestimmte Straftatbestände gelten: Dazu gehören Straftaten, die den demokratischen Rechtsstaat gefährden, wie etwa das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung oder Bildung krimineller Vereinigungen. Auch die Verbreitung kinderpornographischer Inhalte soll erfasst werden.
Außerdem werden auch Bedrohungen nach § 241 Strafgesetzbuch (StGB) erfasst – und da der Tatbestand zugleich ausgeweitet wird, soll darunter künftig insbesondere auch die Bedrohung mit einer rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit fallen und zwar auch dann, wenn es sich nicht um ein Verbrechen handelt.
Zudem sollen antisemitische Motive des Täters ausdrücklich als weiteres Beispiel für menschenverachtende Beweggründe und Ziele genannt in § 46 StGB genannt werden und damit bei der Strafzumessung besonders berücksichtigt werden.
In Ausnahmefällen auch Passwörter herauszugeben
Damit Hetzer im Netz identifiziert und verfolgt werden können, sollen die Strafverfolgungsbehörden möglichst schnell an die dafür notwendigen Daten kommen. Der Gesetzentwurf räumt ihnen deshalb einerseits in der Strafprozessordnung die Befugnis ein, diese Daten anzufordern. Andererseits wird den Anbietern über das Telemediengesetz (TMG) erlaubt, die Daten – insbesondere IP-Adressen – an die Strafverfolger zu übermitteln. Die Netzwerke müssen ihre Nutzer in der Regel vier Wochen nach der Übermittlung an das BKA darüber informieren, welche Daten sie weitergegeben haben.
Der Entwurf aus dem Bundesministerium der Justiz (BMJV) legt großen Wert darauf zu betonen, dass diese Datenabfrage in geregelten und begrenzten Bahnen verläuft. Kurz vor der Weihnachtspause musste der Vorschlag von Ministerin Lambrecht heftige Kritik von Opposition, Datenschützern und Internetwirtschaft einstecken. Grund für die Aufregung war eine Passage in dem Entwurf, der es Telemedienanbietern, also vom E-Mail-Dienst bis zur Dating-Plattform, erlaubte, auch Passwörter an die Behörden zu übermitteln. Wer über das Passwort zu einem E-Mail-Konto oder dem Social-Media-Konto verfügt, der hält einen mächtigen Schlüssel in den Händen, um sich ein sehr umfassendes Persönlichkeitsbild des Nutzers zu verschaffen.
Auf die Kritik reagiert der neue Entwurf mit Änderungen am vorgeschlagenen Gesetzestext. Die Passwortherausgabe bekommt einen eigenen Paragraphen 15b im TMG. Die Zugangsdaten sollen nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten, wie sie im Katalog des § 100b Absatz 2 der StPO aufgezählt werden, übermittelt werden. Das sind die Delikte, für deren Verfolgung auch die Online-Durchsuchung erlaubt wäre, wie z.B. Tötungsdelikte oder die Bildung einer terroristischen Vereinigung, aber auch beim Verdacht auf einen besonders schweren Fall von Bestechlichkeit.
Passwörter auch zur Gefahrenabwehr übermitteln?
Daneben sollen Passwörter herausgegeben werden, wenn sie zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes übermittelt werden dürfen. In jedem Fall muss die Übermittlung durch einen Richter angeordnet werden.
Kritiker, wie der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle, befürchten, dass durch die Passwortherausgaberegel auf der Seite der Telemedienanbieter eine Erlaubnisnorm geschaffen wird, an die bestehende oder noch zu schaffenden Befugnisse der Sicherheitsbehörden anknüpfen könnten. Kuhle befürchtet, dass mit der Neuregelung erst der Anfang für weitreichende Eingriffsgrundlagen geschaffen werden.
Passwörter dürfen nach dem Entwurf nur an Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden – und an Gefahrenabwehrabwehrbehörden, also die Polizei. Eine Übermittlung an Nachrichtendienste sieht der neue § 15b TMG nicht vor. Zum Zweck der Gefahrenabwehr, also im Vorfeld von Straftaten, dürfen Passwörter nur herausgegeben werden, wenn die Polizei auf ihrer Seite über eine entsprechende Befugnis zur Datenerhebung verfügt.
Im neuen Polizeigesetz Bayerns findet sich eine solche Regelung, sowie auch in einem frühen Entwurf des neuen Bundespolizeigesetz und nun mit der Gesetzesänderung auch im BKA-G. Wenn es um Zugangsdaten wie Passwörter geht, sind die Voraussetzungen streng, regelmäßig muss ein Richter entscheiden. Allerdings können die Polizisten bei Gefahr im Verzug auch ohne richterliche Entscheidung vorgehen.
Der neue Entwurf stellt in seiner Begründung auch klar: "Die Daten müssen so übermittelt werden, wie sie beim Telemediendienst vorliegen. Die Pflicht zur Verschlüsselung bleibt davon unberührt." In der vorweihnachtlichen Diskussion hatten Kritiker auch gefragt, was es den Strafverfolgern bringen soll, wenn die Anbieter Passwörter nur verschlüsselt herausgeben können, denn der Datenschutz würde es ihnen strikt untersagen, sie unverschlüsselt vorzuhalten. Die Justizministerin hatte die Pläne verteidigt und erklärt, in Ausnahmefällen rechtfertige ein besonders hohes Verfolgungsinteresse auch den Aufwand, solche Passwörter zu knacken.
Bundesregierung rechnet mit 250.000 Meldefällen pro Jahr
Laut dem Entwurf rechnet die Bundesregierung damit, dass die sozialen Netzwerkerund 250.000 Fälle pro Jahr an das BKA melden werden. Die Schätzung beruht auf den Transparenzberichten der Netzwerke aus dem Jahr 2019 – bezieht sich aber insbesondere auf Twitter und Youtube, die sehr viel mehr Inhalte gelöscht hatten als Facebook, Instagram und TikTok. Man gehe aber insbesondere bei Facebook davon aus, dass künftig deutlich mehr Posts als strafbar qualifiziert und gelöscht würden und davon auch ein relevanter Teil gemeldet werden müsse, heißt es in dem Entwurf. Falls die Netzwerkanbieter ihrer Pflicht, ein entsprechendes Meldeverfahren einzurichten, nicht nachkommen, kann das Bundesamt für Justiz ein Bußgeld verhängen.
Da die Meldeplicht an das schon bestehende Verfahren zur Überprüfung von strafbaren Inhalten anknüpft, geht die Bundesregierung davon aus, dass die Anbieter der Netzwerke das schnell umsetzen können. Beim BKA soll extra eine neue Zentralstelle eingerichtet werden.
Auf die Staatsanwaltschaften und die Strafgerichte kommen damit zahlreiche Verfahren zu. Die Bundesregierung rechnet damit, dass sich aus den 250.000 Meldungen rund 150.000 Ermittlungsverfahren ergeben werden – das entspricht auch den Schätzungen des Deutschen Richterbunds (DRB). Ein Staatsanwalt könne durchschnittlich 800 bis 850 Fälle pro Jahr erledigen, die Länder müssten also insgesamt 180 neue Stellen bei den Staatsanwaltschaften schaffen, heißt es in dem Entwurf. Der DRB vermutet hingegen, dass mehr Stellen nötig sind, weil lediglich 550 bis 600 Verfahren pro Staatsanwalt realistisch seien.
Rund ein Drittel der gemeldeten Fälle werde vor Gericht landen, schätzt die Bundesregierung. Auch hier sollen die Länder aufstocken: Mit 75 neuen Stellen in der Strafjustiz. Außerdem sollen zehn höhere Stellen für die Koordination der Verfahren geschaffen werden.
Es ist nicht die einzige Änderung des umstrittenen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes: Das BMJV will außerdem die Netzwerkeanbieter zu mehr Transparenz verpflichten und Overblocking vermeiden. Ein Gesetzentwurf dazu befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung.
Kabinett entscheidet über Meldepflicht und Passwörter: . In: Legal Tribune Online, 18.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40355 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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