BMJV-Konferenz gegen rechte Gewalt: Wie gut ist der Rechts­staat gerüstet?

von Dr. Markus Sehl

09.10.2019

Politiker, Strafverfolger und Anwälte berieten sich in Berlin zum Kampf gegen rechten Hass im Netz und Gewalt auf der Straße. Vor allem auch Kommunalpolitiker sollen durch Melderegister und strengeres Waffenrecht besser geschützt werden.

Hinter dem Podium auf einer riesigen Leinwand sind sie alle noch einmal abgedruckt, als nachdrückliche Erinnerung. Dort steht: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" oder "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", elementare Grundsätze der Verfassung. Dass sie aber in ihrer Selbstverständlichkeit offenbar in Gefahr geraten, macht schon das Veranstaltungsformat deutlich. Das Bundesjustizministerium hat am Dienstag zu einer Konferenz in Berlin eingeladen und diskutiert werden sollte, was Justiz und Gesellschaft gegen rechte Gewalt unternehmen können.

Dass es diese Veranstaltung braucht, ist vielleicht schon das deutlichste Zeichen. Und eigentlich jeder, der im Lichthof des Deutschen Historischen Museums die Bühne betritt, ob Rechtsextremismusforscher, Kommunalpolitikerin, Anwältin oder Strafverfolger, sie alle bedanken sich und loben, dass die Konferenz ins Leben gerufen wurde.

Der Mord an Walter Lübcke als Zäsur

Und der Kreis der Podiumsteilnehmer macht auf unheimliche Weise deutlich, dass es nicht um eine diffuse, abstrakte Gefahr geht. Wenn die Frankfurter Rechtsanwältin und NSU-Nebenklagevertreterin Seda Basay-Yildiz von Drohschreiben mit dem Absender "NSU 2.0" berichtet, und die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker über den rechtsextremistischen Mordanschlag im Jahr 2015 spricht, den sie mit Glück überlebt hat.

Die Konferenzteilnehmer verfolgen in der Diskussion die Spur, wie Beunruhigung zu Angst wird, Angst zu Hass, im Netz und unter Gleichgesinnten, und wie aus Worten schließlich Gewalt wird. Als eine Zäsur, so betont es Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, steht für sie der Mord an dem Kasseler Regierungsrat Walter Lübcke im Juni 2019. Und sie sagt: "Wir müssen sehen, wo wir bereit sind, zu handeln". Denn so die Ministerin: "Die aufrechten Demokraten sind in der Mehrheit."

Wenn es um konkrete Antworten des Rechtsstaates auf eine neue Dimension rechter Gewalt in Deutschland geht, merkt man auch der Veranstaltung an, dass die Diskussion durchaus noch am Anfang steht. Klar, der Sicherheitsapparat bearbeitet mit seinen Mitteln auch rechte Gewalttaten, und das nun auch verstärkt: Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zieht Verdachtsfälle auf Rechtsterrorismus von Chemnitz bis Freital frühzeitig an sich, der Verfassungsschutz soll mehr Stellen und neue Methoden zur Aufklärung der rechtsextremistischen Szene bekommen, bei den Staatsanwaltschaften werden neue Spezialeinheiten geschaffen, um Hasskriminalität im Internet zu verfolgen. Das ist das klassische Instrumentarium. Aber reicht das aus? Und was braucht es darüber hinaus?

Strafrechtlicher Ehrschutz für Kommunalpolitiker?

Justizministerin Lambrecht hat am Dienstag einen besseren strafrechtlichen Schutz von Kommunalpolitikern gegen Anfeindungen und Hass ins Spiel gebracht. Konkret soll Paragraf 188 des Strafgesetzbuches (StGB) geändert werden. Dieser schützt "eine im politischen Leben des Volkes stehende Person" vor übler Nachrede, die in Zusammenhang mit ihrem Amt steht. Unbestritten umfasst die Strafvorschrift Regierungsmitglieder und auch Mitglieder der Landtage – ob sie aber auch für Kommunalpolitiker gilt, ist bestenfalls umstritten, die wohl dominierende Auffassung in der Rechtswissenschaft sieht sie nicht durch § 188 StGB geschützt. Die Begründung: Ihnen komme nur ein begrenzter Einfluss auf das politische Leben im Gesamtstaat zu.

Im Vorfeld der Konferenz sagte Städtetagspräsident und Oberbürgermeister von Leipzig, Burkhard Jung: "Es darf nicht sein, dass es besonderen Mut erfordert, sich kommunalpolitisch zu engagieren und mit seinen Auffassungen in die Diskussion einzubringen." Angriffe gegen Kommunalpolitiker müssten schnell und konsequent strafrechtlich verfolgt werden. Wie ein neuer Tatbestand des § 188 StGB aber lauten könnte, scheint völlig offen. Und wie gut eine Einbeziehung von Kommunalpolitikern in § 188 StGB sie tatsächlich schützen wird, dürfte auch von Änderungen an einem verfahrensrechtlichen Hürdenlauf abhängen: Die Beleidigungsdelikte sind Antragsdelikte und Privatklagedelikte. Vor Erhebung einer privaten Klage braucht es nach § 380 Strafprozessordnung (StPO) auch noch eines erfolglosen Sühneversuchs.

Außerdem will Lambrecht zudem soziale Netzwerke wie Facebook verpflichten, Morddrohungen oder Volksverhetzungen der Polizei zu melden. Es dürfte viel Arbeit auf die Beamten zukommen. Das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll verschärft werden, ebenso das Waffenrecht. Behörden sollen vor Erteilung einer Erlaubnis künftig eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz stellen. So soll verhindert werden, dass Extremisten an Waffen kommen.

Melderegister und Polizeidatenbanken als Risikofaktor?

Weiterer Ansatzpunkt: das Melderegister. Durch eine auf Antrag eingetragene Auskunftssperre könnten gefährdete Personen von der Kommunalpolitikerin, der Mitarbeiterin einer NGO bis zur Strafverteidigerin verhindern, dass potenzielle Angreifer an ihre privaten Adressen gelangen. Diskutiert wurde, ob die aktuellen Voraussetzungen für die Sperrung zu hoch angesetzt sind. Was soll jemand aufbieten müssen, um glaubhaft darzulegen, dass er gefährdet ist?

Dass behördliche Datenbanken für Bürger zum Risikofaktor werden können, hat die Rechtsanwältin Basay-Yildiz erlebt. Die Adresse für die Drohschreiben an sie war offenbar aus einer Polizeidatenbank über einen Computer eines Frankfurter Polizeireviers abgerufen worden. Sie fordert am Dienstag nachdrücklich auf, sich auch mit der Gefahr rechten Missbrauchs in den Sicherheitsbehörden zu beschäftigen. "Wenn wir uns nicht mehr auf unseren Sicherheitsapparat verlassen können, kann der Rechtsstaat einpacken", sagt sie.

In der Fragerunde kurz vor der Kaffeepause meldet sich im Publikum ein Student. Er will wissen, was das heißt, dass die Menschenwürde unantastbar sei und ob die geschilderte Vorfälle nicht zeigten, dass sie mehr als nur angetastet worden ist. Die Justizministerin Niedersachsens Barbara Havliza antwortet als erste. Der Art. 1 des Grundgesetzes sei vor allem eine Aufforderung. Und ein verfassungsrechtlicher Auftrag an alle, seine eigene Garantie zu schützen.

Zitiervorschlag

BMJV-Konferenz gegen rechte Gewalt: . In: Legal Tribune Online, 09.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38081 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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