Kann die Bundesjustizministerin ihre wichtigsten Vorhaben noch vor Ende der Legislaturperiode durch den Bundestag bringen? Es hakt immer wieder: Krach in der Koalition, Kritik aus der Praxis und ein Prestige-Projekt, das auf Eis liegt.
Es gehört zu den Ritualen im Bundesjustizministerium (BMJV) am Berliner Hausvogteiplatz: Wenn eine Justizministerin am Ende ihrer Amtszeit verabschiedet wird, bekommt sie ein gebundenes Buch mit einer schwarz-rot-goldenen Schleife überreicht, in dem alle unter ihrer Federführung abgeschlossenen Gesetzesvorhaben gesammelt sind.
Als die amtierende Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) in ihr Amt eingeführt wurde, stand ihre Vorgängerin Katarina Barley (SPD) mit einem eher schmalen Bändchen da, immerhin war sie nur ein Jahr im Amt. Wie dick das Buch wird, das Lambrecht bekommt, wenn sie nach der aktuellen Legislaturperiode im Herbst kommenden Jahres aufhören wird, werden die kommenden Monate zeigen.
Eine aktuelle Auflistung des BMJV verzeichnet für diese Legislaturperiode bisher rund 80 abgeschlossene Gesetze und Verordnungen. Davon entfallen knapp 30 auf Barleys Amtszeit und gut 50 auf Lambrechts, der größere Teil sind Verordnungen. Die vorläufige Bilanz der amtierenden Justizministerinkann sich durchaus sehen lassen: In der Corona-Pandemie blieb die Gesetzgebungsarbeit im BMJV auf Betriebstemperatur, viele Projekte aus dem Koalitionsvertrag sind auf den Weg gebracht. In den vergangenen Wochen hat sich die Schlagzahl noch einmal erhöht.
Doch nicht jeder Entwurf, der aus dem BMJV kam, ist zur Erfolgsgeschichte geworden. Mal gibt es Krach in der Koalition, mal harsche Kritik aus der Praxis und Lambrechts Prestige-Projekt, die Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz, liegt auf Eis – der Bundespräsident wollte es wegen verfassungsrechtlicher Mängel nicht ausfertigen.
So langsam läuft dem BMJV die Zeit davon. Was noch in dieser Legislatur Gesetz werden soll, muss in den kommenden Wochen auf den Weg gebracht werden. Länder und Verbände sind genervt, weil sie wiederholt in extrem kurzer Zeit Stellung zu Gesetzentwürfen nehmen sollen, die nun noch schnell durch den Bundestag gebracht werden sollen. Dem Selbstverständnis des BMJV, das sich gerne auch gegenüber den anderen Bundesministerien als "Verfassungsministerium" bezeichnet, entsprechen übereilte und nicht gut ausgearbeitet Gesetzentwürfe eigentlich nicht. Von Juristinnen und Juristen aus den Fachabteilungen des BMJV hört man, dass die Stimmung auch schon mal besser war.
Das Prestige-Projekt Hatespeech-Gesetz muss noch repariert werden
Entschieden gegen Rechtsextremismus vorzugehen, ist Lambrecht ein Anliegen, das betont sie immer wieder. Doch ausgerechnet das sogenannte "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität", oft auch kurz als Hatespeech-Gesetzbezeichnet, hat einen erstaunlich langwierigen Weg genommen. Das Gesetzespaket mit Änderungen am Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Netz-DG) und im Strafrecht ist immer noch nicht in Kraft und das, obwohl es bereits vor dem Hintergrund des Lübcke-Mordes und des Halle-Attentats im Dezember 2019 auf den Weg gebracht wurde. Es liegt seit Monaten zur Ausfertigung beim Bundespräsidenten, schuld daran sind verfassungsrechtliche Mängel, insbesondere bei der Bestandsdatenauskunft, ein äußerst unangenehmes Zeugnis für das Justizministerium.
Um das Hasskriminalitätsgesetz zu retten, braucht es eine regelrechte verfassungsrechtliche Stunt-Einlage: Dem BMJV blieb nichts anderes übrig, als auf die Reparatur durch das für die Bestandsdatenauskunft zuständige Bundesinnenministerium (BMI) zu warten. Das hat nun ein Reparaturgesetz vorgelegt, mit dem nicht nur eine Reihe anderer Sicherheitsgesetze, sondern auch das Hatespeech-Gesetz geändert werden sollen, obwohl Letzteres noch gar nicht in Kraft getreten ist. Auch das BMJV setzt offenbar darauf, dass der Bundespräsident dann beide Gesetze direkt nacheinander ausfertigt, sodass beide im selben Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden können. Ein Vorgehen, bei dem Verfassungsrechtler im BMJV die Zähne zusammenbeißen.
Geplant war, das Reparaturgesetz noch in dieser Woche kurzfristig in den Bundestag zu bringen – doch dafür hätten die Fraktionen einer verkürzten Frist zustimmen müssen. Die AfD lehnte ab, der Gesetzentwurf konnte deshalb nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden. Von den Grünen gab es deshalb scharfe Kritik am Vorgehen des BMJV: "Von Beginn an haben wir die ganz erheblichen verfassungsrechtlichen Probleme und die handwerklichen Mängel thematisiert und Lösungsvorschläge vorgelegt. Die Bundesregierung hat unsere Hinweise in den Wind geschlagen", kritisierten die Fraktionsvorsitzende Renate Künast und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz in einer gemeinsamen Erklärung. Es sei ein "Armutszeugnis für die Koalition", dass nun ausgerechnet die AfD eine eilige Einbringung verhindern konnte.
Nicht nur bei ihrem Prestige-Projekt, das 2020 nicht mehr fertig gestellt werden kann, sondern auch bei einer ganzen Reihe anderer Sicherheitsgesetze hat Lambrecht wieder die Zusammenarbeit mit Seehofers BMI aufgenommen: Der Einsatz von Staatstrojanern nicht nur bei Polizei, sondern auch bei Nachrichtendiensten, sowie die wieder eingeplante anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Alles sicherheitspolitische Anliegen der Union, bei denen Sozialdemokratin Lambrecht sich zumindest nicht wehrt.
Der Vize-Fraktionsvorsitzende und Rechtspolitiker der FDP im Bundestag, Stephan Thomae, sagte gegenüber LTO: "War das BMJV in der Vergangenheit stets der natürliche Gegenspieler des BMI und dessen verfassungsrechtliches Korrektiv, hat es unter der Führung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht seine Funktion als Bollwerk gegen eine übereifrige Sicherheitsgesetzgebung leider sukzessive abgebaut".
Landesjustizminister zu Strafrechtsverschärfung: "Der Justizministerin ging es allein um mediale Berichterstattung"
Typischerweise ist es auch die Aufgabe des BMJV, bei Strafrechtsverschärfungen eher vorsichtig zu agieren, gerade gegenüber populistischen Forderungen. Auch Lambrecht hatte sich im Juni nach dem Bekanntwerden eines Missbrauchsfalls in NRW zunächst gegen Strafverschärfungen ausgesprochen – gab aber schon einen Tag später dem Druck der Union nach. Das Kabinett beschloss im Oktober einen umfangreiches Gesetzespaket, das auch deutlich erhöhte Mindeststrafen vorsieht.
Bei der Anhörung im Rechtsausschuss gab es einhellige Kritik von Expertinnen und Experten. Und auch die Länder zeigten sich in einer Stellungnahme des Bundestags skeptisch. "Das Bundesjustizministerium hat hier ohne Not völlig übereilt und ohne kriminologische Evidenz einen handwerklich sehr fragwürdigen Gesetzentwurf vorgelegt", sagte der Justizminister von Rheinland-Pfalz Herbert Mertin (FDP) der LTO. "Der Bundesjustizministerin ging es dabei offenkundig allein um die mediale Berichterstattung und nicht um eine seriöse Auseinandersetzung in der Sache."
Viele der in der Sachverständigenanhörung im Bundestag erörterten Punkte hätten auch die Landesjustizministerien schon in ihren Stellungnahmen angesprochen, dies sei aber im Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegriffen worden, so Mertin weiter. "Ganz generell hat sich in dieser Legislaturperiode der Eindruck verfestigt, dass die Beteiligung der Länder lediglich pro forma erfolgt und die Hinweise der justiziellen Praxis weitgehend ignoriert werden."
Ärger mit den Ländern, Ärger mit der Bundesrichterschaft
Bei allem, was die Justiz angeht, ist das BMJV auf die Länder angewiesen: Sie sind nicht nur aufgrund der Kompetenzordnung für die Gerichte und Staatsanwaltschaften zuständig, sondern auch ein wichtiger Inputgeber in Gesetzgebungsverfahren. Die Landesjustizministerien geben Gesetzentwürfe aus dem BMJV zur Bewertung an Richter und Staatsanwältinnen vor Ort, sie sollen vor allem die Praxistauglichkeit von Vorschlägen aus Berlin im Blick behalten.
Doch das Verhältnis zu den Ländern hat in Lambrechts Amtszeit gelitten: Berlin schicke zu viele Gesetzentwürfe mit zu kurzen Fristen für Stellungnahmen, kritisierten die Justizministerinnen und Justizminister auf ihrer Konferenz im November – es war einer der wenigen Punkte, auf den sich alle 16 Länder einigen konnten, unabhängig von parteipolitischer Nähe zu Lambrechts Haus.
Kurz vor der Zielgeraden in der Legislatur droht nun auch noch Ärger mit den Bundesgerichten. Für die Bundesrichterschaft ungewöhnlich deutliche Reaktionen schlagen der Justizministerin für ihre Pläne entgegen, das Anforderungsprofil für Vorsitzenden-Posten an den Senaten zu ändern. Der Bundesgerichtshof sah es als notwendig an, im Namen aller Bundesgerichte eine öffentliche Stellungnahme abzugeben. Sensible Fragen der Besetzung an den höchsten deutschen Gerichten wurden so in der Öffentlichkeit ausgetragen, ohne dass es bereits zu einer Abstimmung zwischen BMJV und den Gerichtsführungen gekommen war. Nach Informationen von LTO haben sich die Verhandlungen in diesem Punkt festgefahren, eine Änderung des Anforderungsprofils ist aufgeschoben, nun drohen am Bundesfinanzhof, der derzeit weder Präsident noch Stellvertreterin hat, Konkurrentenklagen.
Lost in regierungsinterner Beratung: Wo bleiben die Unternehmenssanktionen?
Lambrecht hat von Anfang an betont, dass sie vorhat, den Koalitionsvertrag strikt abzuarbeiten. Tatsächlich konnte die Bundesjustizministerin einiges liefern, etwa beim Thema Mieten mit der Verlängerung der Mietpreisbremse und neuen Regelungen zur ortsüblichen Vergleichsmiete sowie zu Maklerkosten beim Wohnungs- oder Hauskauf.
Auch die umfassende Reform der Strafprozessordnung Stichwort Prozessbeschleunigung – immerhinschon die zweite, nachdem CDU, CSU und SPD erst 2017 zahlreiche Änderungen verabschiedet hatten – fällt in Lambrechts Amtszeit, allerdings hatte sich das Kabinett schon auf alle wesentlichen Punkte geeinigt, als Lambrecht das BMJV von ihrer Vorgängerin übernahm.
Eines der Vorhaben, die im Koalitionsvertrag schon praktisch ausbuchstabiert sind, ist das Unternehmenssanktionsrecht. Für die SPD ist es ein entscheidendes Projekt, im Bundesgesetzblatt sucht man es bisher allerdings vergeblich. Lambrecht hat zwar nur zwei Monate nach ihrem Amtsantritt einen Entwurf vorgelegt – damals noch unter dem Titel "Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität". Doch Unternehmen, Anwaltsverbände und Union wehren sich mit Händen und Füßen, zwischenzeitlich sah es beinahe so aus, als würde sich die Spur im Gesetzgebungsverfahren verlieren. Mittlerweile heißt der Entwurf "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft" und das Kabinett hat sich auf einen Regierungsentwurf geeinigt. Doch trotz Namenswechsel und obwohl dasGesetz einiges an Sanktionsschärfe eingebüßt hat, hat es bisher noch nicht einmal den Weg auf die Tagesordnung des Bundestags gefunden.
Auch andere angekündigte Großvorhaben stecken in der regierungsinternen Beratung fest, etwa Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern oder den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Die umfangreiche Reform des Urheberrechts ist heftig umstritten: Hier hatte das BMJV viele Akteure beteiligt und einen Diskussionsentwurf veröffentlicht, der als ausgewogener Kompromiss zwischen Plattformen, Kreativen und Nutzern galt – doch der dann vorgelegte Referentenentwurf enthielt einige geänderte Punkte und enttäuschte vor allem die Netzgemeinde.
Zumindest bei den schon zu ihrem Amtsantritt angekündigten "fairen Verbraucherverträgen" konnte Lambrecht zum Abschluss des Jahres noch einen Erfolg verbuchen, hier hat sich das Kabinett auf einen Regierungsentwurf geeinigt.
Das generische Femininum war schnell wieder vom Tisch
In anderer Sache kommt offenbar die strategische Kommunikation der eigenen Projekte zu kurz. Und so bekam ein BMJV-Gesetzesprojekt überraschende öffentliche Aufmerksamkeit, der sonst nur Experten interessiert hätte. Es geht um einen Referentenentwurf zum Sanierungs- und Insolvenzrecht. Er ist nahezu komplett im generischen Femininum geschrieben.Statt wie bislang in Gesetzestexten üblich in der männlichen Form etwa "Geschäftsführer" oder "Schuldner" zu schreiben, hieß es in dem Gesetz zum Insolvenzrecht "Geschäftsführerin" und "Schuldnerin".
Eigentlich ein spannender rechtspolitischer Test-Ballon, der aber wohl eher ungeplant in die Öffentlichkeit und vor allem in die Regierung entlassen wurde. Denn begleitet wurde er nicht von einer offensiven Kommunikation, die das progressive Anliegen des BMJV betont hätte. Stattdessen entdeckte ein Bild-Journalist das bemerkenswerte BMJV-Produkt. Auch der BMJV-Hausleitung war das Potenzial in der Gesetzessprache des Entwurfs offenbar nicht aufgefallen. Wenig überraschend lehnte das BMI den Entwurf ab und forderte umgehend eine sprachliche Überarbeitung. Seehofers Ministerium befürchtete, dass ein Gesetz, das nur die weibliche Sprachform verwendet, nur für Frauen gelten könnte, und damit sehr wahrscheinlich aus Sicht des BMI verfassungswidrig wäre.
Das BMJV ruderte zurück, eine echte Diskussion über die durchaus interessanten Fragen zur Sprachform in Gesetzen blieb aus. Ein Gesetz im generischen Femininum wird in Lambrechts Abschlussbuch nicht auftauchen. Wie viele von den noch geplanten Projekten dort erscheinen, und mit welchem Gefühl das Haus ihrer Ministerin das Abschiedsgeschenk überreicht, auch das werden die nächsten Monate zeigen.
BMJV im Endspurt: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43772 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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