45. Strafverteidigertag in Hamburg: "Mis­s­trauen gegen­über der Justiz ist erste Bür­gerpf­licht"

von Hasso Suliak

04.03.2024

Digitale Dokumentation im Strafprozess, Regeln für V-Leute, Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten: Strafverteidiger fordern Länder und Justizverwaltungen auf, ihren Widerstand gegen rechtspolitische Vorhaben der Ampel aufzugeben.

Bei der Schlussdiskussion am Sonntag im Audimax der Hamburger Uni blieb der Stuhl ganz rechts auf dem Podium leer. "Eine bewusste Leerstelle", wie der moderierende Fachanwalt für Strafrecht Tim Burkert den Teilnehmenden des 45. Strafverteidigertages erläuterte. Ursprünglich vorgesehen gewesen sei der Platz für einen Vertreter aus der Justiz, z.B. des Deutschen Richterbundes (DRB). Ihm hätte man Gelegenheit geben wollen, die hartnäckigen Vorbehalte von Richtern und Staatsanwälten gegen das Gesetz zur Bild- und Tonaufzeichnung im Strafprozess zu erläutern. Doch daraus wurde nichts, unter anderem, weil die mit dem Strafprozessrecht befassten Präsidiumsmitglieder des DRB allesamt absagten.  

Während Strafverteidiger das Dokumentationsgesetz herbeisehnen, laufen Richter und Staatsanwälte dagegen seit Monaten Sturm. Selbst gegen eine "entschärfte" Fassung, die eine Videoaufzeichnung jetzt nur noch optional vorsieht. Und weil die Landesregierungen die Kritik aus ihren Justizverwaltungen adaptiert haben, dümpelt das Gesetz derzeit im Vermittlungsausschuss. Ob es jemals im Bundesgesetzblatt erscheinen wird, steht in den Sternen. Ein nächster Einigungsversuch zwischen Bundestag und Ländern ist wohl für den 20. März geplant. Es könnte sein, dass der Bundesrat dann mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit Einspruch einlegt, der dann vom Bundestag mit gleicher Mehrheit zurückgewiesen werden müsste. Angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Parlament erscheint das jedoch unrealistisch. Das Gesetz wäre durch das ablehnende Votum der Länder "tot". 

Im Strafprozess weiter mit dem Bleistift? 

In seiner Abschlussresolution forderte der Strafverteidigertag deshalb die Länder eindringlich auf, "ihre Blockadehaltung aufzugeben, im Vermittlungsausschuss Größe zu zeigen und dem Gesetz in der vorgelegten Entwurfsfassung doch noch zuzustimmen". Es sei schlichtweg nicht mehr zu vermitteln, dass ausgerechnet in Strafverfahren die Inhalte der Beweisaufnahme nicht festgehalten würden. "Während in Fußballstadien seit Jahren mit Kamera- und Computertechnik millimetergenau darüber gewacht wird, ob der Ball in Gänze über der Linie war oder nicht, sind im Strafverfahren, wo es oft um die Freiheit und soziale Existenz von Menschen geht, weiter Bleistift und Kugelschreiber im Einsatz." Weder die Aussagen von Beschuldigten noch von Zeugen oder Sachverständigen seien aktuell am Schluss der Beweisaufnahme objektiv reproduzierbar.  

Der anwesende BGH-Richter Dr. Andreas Mosbacher, ein überzeugter Befürworter der Dokumentation, nannte die massive Lobbyarbeit von Vertretern aus Justiz und des Richterbundes "unerträglich". Dafür, dass die Präsidentin seines Gerichts, BGH-Präsidentin Bettina Limperg, hier die gleiche Position wie der DRB einnehme, schäme er sich immer noch, so Mosbacher.  

V-Leute-Gesetz am 13. März im Kabinett   

Etwas optimistischer blicken die Strafverteidiger unterdessen auf ein anderes Vorhaben der Ampel, das ihnen seit vielen Jahren am Herzen liegt: Und zwar auf das Gesetz, das den Einsatz von V-Leuten und Lockspitzeln endlich rechtsstaatlich regelt. Diesbezüglich überbrachte der zuständige Ministerialdirigent aus dem Bundesjustizministerium (BMJ) Dr. Matthias Korte den Teilnehmenden die Botschaft, dass der Regierungsentwurf am 13. März im Bundeskabinett beschlossen werden soll.

Korte verriet außerdem, dass dieser im Vergleich zum Referentenentwurf, über den LTO berichtet hatte, keine wesentlichen Veränderungen enthält. Ergänzt worden sei der Referentenentwurf allerdings um ein neues, spezielles Auskunftsverweigerungsrecht für V-Leute, die als Zeugen geladen werden. Deren Einführung als Zeugen in eine Hauptverhandlung scheitert aktuell oft daran, dass sie vom zuständigen Ministerium vollständig gesperrt werden. Seitens des BMJ erhofft man sich nun von einem neuen § 69 Abs.4 Strafprozessordnung, V-Leute künftig häufiger unmittelbar im Gericht zu vernehmen.

Das V-Leute-Gesetz regelt auch, in welchem Maße künftig V-Leuten noch erlaubt sein soll, andere Personen zu Straftaten zu verleiten, damit die Aktionen im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stehen. Jedenfalls ein bisschen soll das möglich bleiben. Für derartige "Einsätze" der V-Leute wird künftig grundsätzlich ein Richtervorbehalt gefordert. Diesen halten die Strafverteidiger generell im V-Leute-Gesetz für unerlässlich, vielen Richtern und Strafverfolgern bereitet er jedoch Kopfschmerzen. Ihr Vorwurf: Derartige prozessuale Sicherungen seinen vor allem Ausdruck eines ungerechtfertigten Misstrauens gegenüber Justiz und Verfolgungsbehörden. Der Strafverteidigertag stellte demgegenüber klar: "Das von der Justiz stets beklagte Misstrauen gegenüber der Rechtmäßigkeit justiziellen Handelns ist im Strafverfahren nicht nur angebracht, sondern erste Bürgerpflicht."

"Blockade bei Cannabis aufgeben"

Gleichwohl werden dem V-Leute-Gesetz größere Chancen auf Umsetzung eingeräumt als der Dokumentation der Hauptverhandlung. Zwar sei man mit einigen Details im Entwurf nicht einverstanden, grundsätzlich sei das Gesetz jedoch ein Fortschritt, finden die Strafverteidiger. Groß gegen das Gesetz trommeln wollen sie daher nicht. Trotzdem stellten sie am Sonntag noch einmal klar: "Der Strafverteidigertag missbilligt grundsätzlich den Einsatz von V-Personen – also Privater, denen staatliche Institutionen Vertrauen schenken, um das Vertrauen anderer zum Zwecke der Strafverfolgung auszunutzen."

Auch mit Blick auf Gesetzesvorhaben, die auf die Entkriminalisierung von Bürgern abzielen, warnten die Strafverteidiger davor, diese mit dem Argument "Überlastung der Justiz" zu blockieren. Aktuelles Beispiel dafür sei die "wenigstens ansatzweise Entkriminalisierung des Umgangs mit Cannabis-Produkten", die im umstrittenen Cannabisgesetz (CanG) geregelt werden soll. Dieses sei ein erster Schritt und ein Versuch, gegen die kontraproduktiven und sozialschädlichen Wirkungen der Kriminalisierung des Umgangs mit Cannabis-Produkten vorzugehen. Bezogen auf den auch hier drohenden Vermittlungsausschuss forderte der Strafverteidigertag die Länder auf, die angekündigte Blockade aufzugeben und dem Gesetz zuzustimmen. 

NRV mit Kompromissvorschlag 

Unterstützung für diese Position bekommen die Strafverteidiger zwar nicht vom Richterbund, der dem Vorhaben ablehnend gegenübersteht, aber von der als liberaler geltenden "Neuen Richter*innenvereinigung" (NRV). In einer am Montag veröffentlichten Erklärung fordert die Organisation den Bundesrat sowie die Justiz- und Innenminister der Bundesländer auf, die Cannabislegalisierung nicht weiter zu verzögern.

Eine Verzögerung des CanG droht in einem möglichen Vermittlungsverfahren, weil auch hier die Justiz massive Bedenken anmeldet. Grund ist eine im Gesetz vorgesehene Amnestie, nach der Tausende Akten von Verfahren, die sich noch in der Vollstreckung befinden, überprüft werden müssten. Dass dieser Arbeitsaufwand jetzt von den Ländern so hochgehalten wird, hält die NRV für unangemessen: Den organisatorischen Aufwand für die Justiz durch die Regelung zum rückwirkenden Straferlass, hätten die Länder spätestens seit der Befassung des Bunderates mit dem Vorhaben im September 2023 vorhersehen können. "Es wäre also möglich – und geboten – gewesen, Vorkehrungen für den Gesetzeserlass zu treffen." Überhaupt sei die mangelnde Digitalisierung der Verfahrenspflege und die unzureichende Erfassung der Gründe von Verurteilungen die eigentliche Ursache, warum der Strafjustiz diese Mehrarbeit drohe. Dies, so die NRV, dürfe allerdings nicht zulasten der Verurteilten gehen.

Sollte dem CanG das gleiche Schicksal wie dem Dokumentationsgesetz ereilen und im Vermittlungsausschuss landen, könnte ein Vorschlag der NRV interessant werden. Er zielt darauf ab, die Strafjustiz trotz grundsätzlich geltender Amnestieregelung zu entlasten. Und zwar bei verhängten Gesamtstrafen, bei denen neben anderen, schwereren Straftaten auch wegen des Besitzes von Cannabis bestraft wurde. Hier wäre nach dem neuen CanG eine aufwendige Neuberechnung der Gesamtstrafe erforderlich, da das Cannabis-Delikt ja künftig wegfällt. Die NRV regt an, solche Fälle der tateinheitlichen Verurteilung von der Amnestieregelung auszunehmen oder nur auf Antrag von Verurteilten zu prüfen.

Ob der Bundesrat indes den Vermittlungsausschuss zum CanG anruft, wird sich am 22. März entscheiden.

Zitiervorschlag

45. Strafverteidigertag in Hamburg: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54023 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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