Viele Syndikusrechtsanwälte kämpfen um ihre Befreiung für die Zeit vor ihrer Zulassung. Die DRV weigerte sich trotz deutlicher Hinweise des BVerfG. Nun hat sich das LSG Baden-Württemberg ausdrücklich der Auffassung des BVerfG angeschlossen.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat als erstes in einer Reihe von Landessozialgerichten in Verfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) zugunsten der Befreiung von Syndikusrechtsanwälten entschieden (Urt. v. 16.10.2018 – L 13 R 4841/17). Es folgt damit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Aber der Reihe nach:
Wer nach der Neuregelung der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zum 1. Januar 2016 als Syndikusrechtsanwalt zugelassen ist, hat auch einen Anspruch darauf, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit zu werden (§ 6 SGB VI).
Der Gesetzgeber hat hierbei eine ausgesprochen komplizierte Übergangsregelung in § 231 Absatz 4b SGB VI geschaffen. Kern dieser Vorschrift ist unter anderem, dass eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten des anwaltlichen Versorgungswerks auch für die Vergangenheit möglich ist. Dabei ist es nur erforderlich, dass ein Antragsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.
Einschränkend sieht das Gesetz vor, dass für Zeiten vor dem 1. April 2014 eine Rückwirkung nur dann möglich ist, wenn in dieser Zeit einkommensbezogene Pflichtbeiträge zum Versorgungswerk gezahlt worden sind. Wer also vor diesem Zeitpunkt seine Beiträge in die DRV abführte und nur die Mindest- oder Pflichtbeiträge (hier gibt es bei den Versorgungswerken unterschiedliche Regelungen) in das anwaltliche Versorgungswerk zahlte, könnte hier keine Rückabwicklung in Anspruch nehmen.
Anwälte "unter dem Radar" profitieren vom Vertrauensschutz
Davon betroffen sind sehr viele Rechtsanwälte, die sich insbesondere seit den Jahren 2009/2010 in der Auseinandersetzung mit der DRV, zum Teil im Klagewege, über ihre Befreiung befinden. Sie werden ab 1. April 2014 von der Versicherungspflicht befreit, haben aber zum Teil vor dieser Zeit einige Monate oder auch Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt, ohne die Wartezeit von 60 Beitragsmonaten erreicht zu haben oder Anwartschaften aus diesen Zahlungen erwarten zu können. Eine Rückzahlung der bei der DRV eingezahlten Beiträge ist gemäß § 210 SGB VI zwar möglich, aber nur auf den Arbeitnehmeranteil. Der Arbeitgeberanteil verbleibt bei der DRV.
Besonders ärgerlich wird dies dadurch, dass für diejenigen Rechtsanwälte, die "unter dem Radar geblieben sind" und bei denen keine Ummeldung zur DRV durch den Arbeitgeber stattfand, von der Vertrauensschutzregelung der DRV vom 12. Dezember 2014 profitieren. Wen der Arbeitgeber, so die Regelung, zum 1. Januar 2015 zur DRV anmeldete, für den waren bis dahin gezahlten Beiträge in das Versorgungswerk sicher – unabhängig davon, ob er für die Zeit davor über eine wirksame Befreiung verfügte oder nicht. Hier kommt es also zu einer eindeutigen Ungleichbehandlung der Syndikusrechtsanwältin, die sich rechtstreu verhalten haben.
Diesen Punkt hatte das BVerfG im Rahmen der gegen die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April 2014 eingelegten Verfassungsbeschwerden nach einer intensiven Sachverhaltsermittlung sehr genau gesehen. Die Verfassungsrichter haben dann in den Beschlüssen vom 19. Juli 2016 und 22. Juli 2016 (1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2384/14) die Verfassungsbeschwerden zwar nicht mehr zur Entscheidung angenommen. Sie haben aber festgestellt, dass, wenn die gesetzliche Regelung des § 231 Abs. 4b SGB VI verfassungskonform ausgelegt wird, die Verfassungsbeschwerden deswegen keinen Erfolg mehr haben können, weil das Ziel der Beschwerdeführer, die rückwirkende Befreiung zu erreichen, bei der entsprechenden Auslegung erreicht werde.
Klare Worte aus Karlsruhe ignoriert
Die Verfassungsrichter stellten weiter klar, dass nach ihrer Auffassung der Begriff "einkommensbezogene Pflichtbeiträge" im Sinne des § 231 Absatz 4b SGB VI auch Mindest- und Pflichtbeiträge umfasse, die jeder zugelassene Rechtsanwalt an sein Versorgungswerk zu zahlen hat. In den beiden Fällen handelte es sich um die Versorgungswerke der Rechtsanwälte in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. In Nordrhein-Westfalen beträgt der Mindestbeitrag 1/10, in Baden-Württemberg liegt der Pflichtbeitrag bei 3/10. Die Voraussetzung der Zahlung eines Mindest-und Pflichtbeitrags erfüllt dabei nahezu jeder betroffene Anwalt, der jetzt seine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erhalten hat.
Doch wer hoffte, dass die DRV diese Aussagen der Verfassungsrichter, die Entscheidungsgrundlage für die Verfassungsbeschwerden waren, akzeptieren würde, sah sich getäuscht. Bis heute verweigert die DRV die Umsetzung der neuen Definition durch das Bundesverfassungsgericht. Sie gibt in den laufenden Sozialgerichtsverfahren keine Anerkenntnisse ab, erlässt Bescheide und Widerspruchsbescheide und zwingt damit sehr viele Syndikusrechtsanwälte in weitere gerichtliche Auseinandersetzungen. Dies geschieht mit ausdrücklicher Rückendeckung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Mittlerweile sind bei fünf Landessozialgerichten (Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen-Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen) Berufungsverfahren zu dieser konkreten Rechtsfrage anhängig. Denn rund zehn Sozialgerichte haben bisher sehr unterschiedlich zu dieser Frage entschieden.
Das erste LSG schließt sich der Auffassung des BVerfG an
Nunmehr hat sich als erstes Landessozialgericht das LSG Baden-Württemberg ausdrücklich der Auffassung des BVerfG angeschlossen.
Das LSG in Stuttgart bestätigt ein Urteil des SG Freiburg vom 14. November 2017, in dem die DRV verurteilt worden war, die Klägerin auch für die Zeit vor dem 1. April 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien, weil sie Pflichtbeiträge nach der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg geleistet hatte, die als einkommensbezogene Beiträge im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG anzusehen sind.
Die Richter schließen sich kurz und knapp ausdrücklich der Auffassung der Verfassungsrichter an und meinen, dass es keinen Grund gibt, die eindeutigen Aussagen des BVerfG in Zweifel zu ziehen.
Sie haben sogar die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil sie keine grundsätzliche Bedeutung angesichts der klaren Ausführungen der Verfassungsrichter sehen und die Tatsache, dass abweichende Urteile von Sozialgerichten vorliegen, nicht zur Revisionszulassung wegen einer Divergenz der Rechtsprechung führe. Denn eine Vorlage müsse hier nur nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes erfolgen, wenn eine Abweichung von Entscheidung der Landessozialgerichte oder des Bundessozialgerichts vorliege, was hier nicht der Fall sei.
Rechtsanwalt Tilman Winkler aus Freiburg, der die Syndikusrechtsanwältin in diesem Verfahren vertreten hat, hofft sehr darauf, dass die DRV diese Entscheidung nunmehr akzeptiert und endlich die Beschlüsse des BVerfG entsprechend umsetzt.
Nach den bisherigen Erfahrungen in den Auseinandersetzungen ist dies aber eher unwahrscheinlich. Es ist davon auszugehen, dass die DRV versuchen wird, mit einer Nichtzulassungsbeschwerde die Revision zum BSG zu erreichen. Abzuwarten ist auch, wie sich nunmehr die vier anderen Landessozialgerichte, bei denen weitere Verfahren anhängig sind, positionieren.
Der Autor ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Rechtsanwalt in der Kanzlei Legerlotz Laschet Rechtsanwälte und befasst sich seit langem mit dem Befreiungsrecht der Freiberufler. Er hat auch eines der beiden Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geführt.
Befreiungsrecht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31705 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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