Am Mittwoch wird der BGH sein Urteil im Fall "wenigermiete.de" verkünden. Doch egal wie er entscheidet: Eine Vision für den Weg vom Anwaltsmarkt zum Rechtsdienstleistungsmarkt kann nicht aus Karlsruhe kommen, meint Martin W. Huff.
Der Anwaltsmarkt in Deutschland verändert sich zurzeit rasant und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Die fortschreitenden technischen Möglichkeiten erlauben es den Rechtsanwälten, ihre Arbeit neu zu organisieren und Dienstleistungen in einem anderen Umfang anzubieten.
Welche Kanzlei wäre früher schon in der Lage gewesen, wie im Diesel-Komplex mehrere 10.000 Verfahren zu bearbeiten? Oder Verträge in erheblichem Umfang zu digitalisieren und auf völlig neue Art zu verwalten und zu aktualisieren, wenn es erforderlich ist. Die Möglichkeiten durch die Digitalisierung scheinen grenzenlos zu sein, auch wenn die persönliche Dienstleistung dabei offenbar immer mehr in den Hintergrund rückt.
Mit den neuen Möglichkeiten drängen aber auch neue Anbieter auf den Rechtsdienstleistungsmarkt. Zum einen sind das Unternehmen, die zwar von Rechtsanwälten geführt, aber nicht als Rechtsanwaltsgesellschaften betrieben werden. In der Regel werden diese Unternehmen, da es für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen eine Erlaubnis braucht, auf der Grundlage einer Inkassolizenz betrieben. Stellvertretend für die Zulässigkeit dieses Modell steht das Unternehmen Lexfox, das die Seite wenigermiete.de betreibt. Unterschiedliche Kammern des Landgerichts Berlin hatten das Modell verschieden beurteilt, am kommenden Mittwoch wird nun der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil verkünden.
Im Netz die Regel, den Anwälten verboten: Erfolgshonorare
Die Rechtsform außerhalb einer Sozietät wählen die Unternehmen, um den Zwängen des anwaltlichen Berufsrechts zu entfliehen, etwa was die Vereinbarung von Erfolgshonoraren betrifft. Was Rechtsanwälten wie auch Versicherungsberatern (BGH, Urt. v. 6.6.2019, Az. I ZR 67/18) in der Regel verboten ist, dürfen Inkassounternehmen bisher ohne weiteres vereinbaren: Zahlen müssen die Kunden nur im Erfolgsfall. Wird die zu viel gezahlte Miete zurückgezahlt oder eine Fluggastentschädigung wegen eines verspäteten Flugs ausgezahlt, erhält das Unternehmen einen Anteil der ausgezahlten Summe.
Es ist interessant zu beobachten, dass viele Verbraucher bereit sind, ein solches Erfolgshonorar zu bezahlen, obwohl sie bei einer erfolgreichen anwaltlichen Beratung oder einem gewonnenen Gerichtsverfahren gar nichts bezahlen müssten, weil das Honorar in der Regel von der anderen Seite gezahlt werden muss.
Doch viele Menschen scheuen sich noch immer, zur Durchsetzung kleiner Forderungen zum Anwalt zu gehen. Und leider finden viele Verbraucher auch keinen Anwalt mehr, der bereit ist, die entsprechenden Mandate auf Grundlage der derzeit geltenden Vergütungsordnung zu übernehmen. Wie weit der Umweg über die Inkassoerlaubnis gegangen werden kann, wird der BGH am Mittwoch entscheiden.
Keine Vision für ein modernes anwaltliches Berufsrecht
Selbst wenn Deutschlands oberste Zivilrichter die Regeln des Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) streng auslegen sollten, blieben die berufsrechtlichen Probleme bestehen, das machte der Kölner Berufsrechtler Prof. Dr. Martin Henssler auf der Tagung seines Instituts für Anwaltsrecht in der vergangenen Woche mehr als deutlich. Und wenn der BGH, wovon viele Beobachter nach der mündlichen Verhandlung ausgehen, es erlauben sollte, dass Inkassounternehmen bei der Begründung von Forderungen beraten dürfen, dann wird der Handlungsdruck noch erheblich größer werden.
Eine einvernehmliche Lösung ist weit und breit nicht in Sicht. Der Gesetzgeber wagt bisher ausweislich des Eckpunktepapiers des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) nur kleine Schritte. Die Anwaltsorganisationen sind sich nicht einig, wie es weitergehen soll. Eine Vision für ein modernes anwaltliches Berufsrecht scheint es nicht zu geben.
So ist schon umstritten, ob und in welchem Umfang der Gesellschafterkreis in Anwaltsgesellschaften erweitert werden soll. Dass eine Gesellschaft mit Ärzten und Apothekern zulässig ist, hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig klargestellt. Doch zum Beispiel IT-Experten zum Gesellschafter machen zu können, diesen Schritt wollen bisher nur wenige wagen. Ist es wirklich richtig, weitere Reformen, die Anwälten neues Arbeiten ermöglichen würden, allein an den Verschwiegenheitsrechten, die nicht gesetzlich, sondern bisher nur vertraglich geregelt werden können, scheitern zu lassen. Hier wären neue Überlegungen, dies wurde auch auf der Tagung in Köln mehr als deutlich, notwendig.
Rechtsdienstleistung: Kanzleien müssen konkurrenzfähig werden
Die Anwaltsbranche muss ebenfalls dringend darüber nachdenken, ob sie wirklich strikt an dem Verbot des Erfolgshonorars festhalten will. Denn wenn der VIII. Zivilsenat am Mittwoch den Markt öffnet und das anwaltliche Verbot des Erfolgshonorars ausgehebelt werden kann, indem Unternehmen einfach eine Inkassoerlaubnis beantragen, dann wird sich diese Frage sehr rasch stellen. Warum soll nicht ein Anwalt außerhalb der heute sehr engen Möglichkeiten ein zusätzliches Honorar für eine erfolgreiche Vertretung erhalten? Wäre es nicht besser, über entsprechende Rahmenbedingungen nachzudenken?
Die deutsche Anwaltschaft muss sich schließlich die Frage stellen lassen, ob digitale, technisch längst mögliche Rechtsdienstleistungen Anwaltssache sind oder nicht. Zurzeit geht der Weg eher dahin, standardisierbare, einfache Rechtsdienstleistungen nicht mehr nur als Anwaltsangelegenheit anzusehen. Die höchstpersönliche Dienstleistung wird nicht mehr als notwendig angesehen, es hat den Anschein, als vertrauten viele Verbraucher eher der Technik als der anwaltlichen Beratung.
Dabei wären auch diese gewerblichen Angebote eigentlich Anwaltssache, denn nach § 3 BRAO ist der Rechtsanwalt unabhängiger Berater in allen Rechtsangelegenheiten. Für den Charakter einer Rechtsdienstleistung muss es unerheblich sein, ob sie freiberuflicher oder gewerblicher Art ist. wie weit es wirklich einer Abgrenzung zwischen freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit überhaupt bedarf. Es muss Anwälten möglich werden, solche gewerblichen Legal-Tech-Angebote zu machen, ohne sie zu zwingen, diese in andere Gesellschaften auszulagern.
Es ist kein Ausweg, diese Dienstleistungen in eigene Unternehmen auszugliedern, wie es auch renommierte Anwaltskanzleien längst tun. Es muss in Zukunft ein einheitliches und umfassendes Rechtdienstleistungsangebot durch Kanzleien geben, die dann in Konkurrenz mit anderen Angeboten treten können, ohne ständig mit Verboten zu kollidieren.
Viele Berufsrechtler sehen, das zeigte sich auch in der vergangenen Woche beim Institut für Anwaltsrecht in Köln, das Problem. Aber keiner weiß so recht, wie eine Lösung angegangen werden kann. Der Gesetzgeber scheint ohne einen Anstoß aus der Branche selbst kaum neue Wege zu gehen. Vielleicht wird die Diskussion nach dem BGH-Urteil erst richtig Fahrt aufnehmen.
Der Autor Martin W. Huff ist Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Rechtsanwalt in der Kölner Kanzlei LLR.
Vor dem BGH-Urteil zu Legal Tech: . In: Legal Tribune Online, 25.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38875 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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