Ob und wie das Legal-Tech-Gesetz im Bundestag noch geändert wird, ist offen. Auch, ob es angesichts strittiger Punkte überhaupt noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden kann. Markus Hartung mit einer Einordnung.
Am 5. Mai fand im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags eine Anhörung statt. Es ging um das Verhältnis von Anwältinnen und Anwälten zu nichtanwaltlichen Dienstleistern, um Legal Tech, um Inkasso, um Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung, um den Rechtsstaat, um die Zukunft, also eigentlich: um alles. Wie es nun weitergehen soll, ist noch unklar.
Schon am Titel des Gesetzentwurfs scheiden sich die Geister: "Gesetzentwurf zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt." Gegen einen solchen Titel kann man ja ernsthaft nichts einwenden. Aber es geht um die Befugnisse von Anwältinnen und Anwälten einerseits und ihren Konkurrenten, den nichtanwaltlichen Rechtsdienstleistern andererseits. Die beabsichtigte "Förderung" soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers darin bestehen, dass Unternehmen, die gemeinhin als Legal Tech-Unternehmen bezeichnet werden, künftig gesetzlich abgesichert werden und die Anwaltschaft, um mit dieser relativ neuen Konkurrenz besser klarzukommen, Erfolgshonorare, Honorarverzicht und Kostenübernahmen vereinbaren darf.
Letzteres berührt tragende Wände des traditionellen Berufsbildes. Und Rechtssicherheit für Legal Techs ist aus Sicht der Traditionalisten auch nicht viel besser, im Gegenteil: Hier drohe sich eine nichtanwaltliche Rechtsberatung zu etablieren, mit erheblichen Folgen für den Rechtsstaat. Und von Verbraucherschutz könne keine Rede sein: Legal-Tech-Unternehmen seien rein profitgetrieben und akzeptierten nur erfolgsversprechende Fälle, deren kinderleichte Durchsetzung sie sich auch noch teuer bezahlen lassen würden. Ganz anders hingegen die Anwaltschaft, die auf Basis ihrer Core values dafür sorgten, dass Verbraucher:innen das, was ihnen zustehe, auch zu 100% erhalten würden.
Zerstrittene Anwaltschaft?
Vor der Anhörung im Bundestag hieß es, die Anwaltschaft sei im Hinblick auf den Gesetzentwurf "zerstritten". Das trifft nicht zu. Schließlich hatte sich der Vorstand des Deutschen Anwaltvereins (so berichtete jedenfalls das Anwaltsblatt) für die im Gesetzentwurf vorgesehenen Liberalisierungen ausgesprochen. In der Sachverständigen-Anhörung kritisierte nunmehr einer von drei nichtanwaltlichen Juraprofessoren das Gesetz.
Zwei weitere anwaltliche Sachverständige sprachen sich wiederum dafür aus. An der schon bereits hinlänglich bekannten fundamentalen Contra-Position der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat sich nichts geändert. Allerdings: Für "die Anwaltschaft" spricht die Kammer nicht, mit einem politischen Mandat ist die BRAK jedenfalls von der Anwaltschaft nicht ausgestattet.
Die Rechtslage
Grundsätzlich ist die außergerichtliche Rechtsberatung nach § 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) den Anwältinnen und Anwälten vorbehalten. Nicht-anwaltliche Rechtsberatung ist nur ausnahmsweise erlaubt, hier geht es nur um die Befugnis von Unternehmen, die über eine Inkassolizenz nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz verfügen.
Was Inkasso alles umfasst und was nicht, ist seit einigen Jahren streitig. Unstreitig gehört Mengeninkasso für Unternehmen gegen Verbraucher:innen dazu. Damit konnte die Anwaltschaft immer gut leben, denn das war keine Konkurrenz. Aber gehört auch Inkasso für Verbraucher:innen gegen Unternehmen dazu? In streitigen Sachen? Mit von vornherein absehbarer gerichtlicher Geltendmachung? Und nicht nur "Beitreibung", sondern auch Rechtsberatung und Geltendmachung sonstiger Ansprüche, die den Zahlungsanspruch nur begleiten, vielleicht auch erst zum Entstehen bringen? Und was ist mit der Bündelung von Ansprüchen, um massenhaft Schadensersatzansprüche im Dieselskandal oder gegen Kartelle (LKW, Schienen, Rundhölzer usw.) geltend zu machen – das soll alles Inkasso sein?
Verführerische Angebote für Verbraucher
Die Sache wäre ja einfach, wenn Legal-Tech-Inkasso nur ein Hype oder ein Hirngespinst wäre. Ist es aber nicht. Auch ohne empirische Daten wird man feststellen: Tausende, sogar zehntausende Verbraucher:innen (und Unternehmen, also insgesamt: Mandant:innen und Kund:innen) wenden sich vom traditionellen System der Rechtspflege ab und lassen sich von Unternehmen mit einer Inkassolizenz überreden, ihre Ansprüche nicht unmittelbar einem Anwalt, sondern eben diesen Dienstleistern anzuvertrauen.
Schließlich unterbreiten diese ein verführerisches Angebot: Effektive Rechtsdurchsetzung, hohes Knowhow, Einschaltung hochspezialisierter Anwälte, kein Kostenrisiko, Zahlung nur im Erfolgsfall (dann aber spürbar). Die Kundschaft dieser Unternehmen muss eine Abwägung treffen: Setze ich auf die individuelle Durchsetzung meines Anspruchs mit der Chance, alles zu bekommen (aber eben auch mit dem kostenträchtigen Risiko, vor Gericht und auf hoher See nur in Gottes Hand zu sein)? Oder schließe ich mich einer Gemeinschaft Gleichgesinnter (besser: ähnlich geschädigter Opfer) an mit der Erwartung, dass man gemeinsam stärker ist als alleine – selbst wenn ich dadurch nicht alles bekomme?
Ob diese Inkassounternehmen ihre Lizenz zu Recht bekommen haben, ist, wie gesagt, streitig, vielleicht nur mit einer Ausnahme: Unternehmen, die Flugverspätungsentschädigungen durchsetzen, sind "everybody’s darling". Vermutlich machen auch hochrangige BRAK-Funktionäre aus der berufsrechtlichen Glaubenskongregation ihre Ansprüche über einen Dienstleister geltend. Aber die anderen Legal Techs?
Zwar gibt es eine bzw. inzwischen sogar vier Grundsatzentscheidungen des BGH (Lexfox I - IV), auf die sich die Legal Tech-Inkassounternehmen berufen können. Allerdings existieren auch eine Reihe von Landgerichtsentscheidungen, die angesichts virtueller Sammelklagen mit immensen Umfängen nach einem Faden suchen, um das ganze Werk aufzuribbeln und die Klagen abzuweisen.
Es ist durchaus umstritten, ob es sich dabei nicht um falsch verstandene Prozessökonomie handelt, aber seit einer Entscheidung des Landgerichts (LG) München von Februar 2020 scheinen bei anderen Landgerichten die Hemmschwellen gefallen zu sein. Dass zehntausende Kunden von Inkassounternehmen buchstäblich im Regen stehen und vielleicht ihre Ansprüche komplett verlieren, ist aus Sicht der Landgerichte vermutlich selbstverschuldete Armut. Nach dem Motto: Warum gehen die Leute zu solchen Inkassounternehmen?
"Für die BRAK öffnet sich das Tor zur Hölle"
Wie geht es nach der Anhörung im Bundestag nun weiter? Grundsätzlich sollte Politik mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnen, und die Welt sollte durch ein neues Gesetz besser sein als ohne. Der Gesetzesentwurf nimmt die Perspektive von Mandanten und Kunden ein und versucht, die gestörte Balance wieder ins Lot zu bringen, indem viele Zweifelsfragen der Inkassounternehmen weitgehend geklärt werden (gut für die Kunden), die Anwaltschaft aber in die Lage versetzt wird, jedenfalls teilweise ähnlich attraktive Angebote wie die Inkassounternehmer anzubieten (also jedenfalls nicht schlecht für die Anwaltschaft).
Für die BRAK öffnet sich hier das Tor zur Hölle. Nun mag man einwenden, dass es aus den letzten Jahren kaum ein Reformvorhaben im anwaltlichen Berufsrecht gab (mit Ausnahme der Gebührenerhöhung), bei dem die BRAK nicht das Ende der Welt gekommen sah, und solche Kassandrarufe nutzen sich irgendwann auch mal ab.
Aber es gibt schon auch ernstzunehmende Einwände: Die jetzige Situation sei inkohärent, aber der Gesetzesentwurf mache alles nur weniger inkohärent, aber nicht kohärent. Denn auch mit diesem Gesetz unterliegt die Anwaltschaft im Inkassobereich deutlich strengeren Anforderungen als ein Inkassounternehmen.
Muss es die Rechtsprechung weiter richten?
Es verbleiben auch Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher – etwa im Insolvenzfall eines Inkassounternehmens, bei der Behandlung von Fremdgeldern, bei Interessenkonflikten und der Verschwiegenheitspflicht. Die Frage ist nur: Lassen sich die Unterschiede und die verbleibenden Risiken rechtfertigen? Besser heute pragmatisch etwas tun, als die jetzige Situation weiter ins Kraut schießen zu lassen, womit niemandem gedient ist – auch und gerade nicht der Anwaltschaft!
Was wird jetzt? Wird das Vorhaben in die nächste Legislaturperiode verschoben? Das wäre keine gute Lösung. Bis dahin gilt immerhin die bisherige Lexfox-Rechtsprechung des BGH. Für die Anwaltschaft keine ideale Situation. Und in den gebündelten Klageverfahren, in denen derzeit die Kunden und Mandanten die Hauptleidtragenden sind, bekommen demnächst die Oberlandesgerichte und dann erneut der BGH sehr viel zu tun.
Der Autor Rechtsanwalt Markus Hartung ist Senior Fellow am Center on the Legal Profession an der Bucerius Law School, Hamburg/Berlin. An der Anhörung zum Legal-Tech-Gesetzentwurf am 5. Mai im Deutschen Bundestag nahm er als Sachverständiger teil.
Nach der Anhörung im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44962 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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