Netzwerke für Anwälte gibt es für fast jeden Kanzleizuschnitt. Doch nicht für jeden Anwalt klingt Networking nach einem lohnenden Zeitvertreib. Dabei kann es sehr lukrativ sein, auf die Kraft der Vielen zu setzen.
Juristinnen und Juristen gelten nicht als besonders kooperativ. Networking, das assoziieren viele Anwältinnen und Anwälte noch immer eher mit Smalltalk bei Häppchen als mit echten Effekten fürs Geschäft. Und doch gibt es Kanzlei-Netzwerke schon viel länger als der Begriff des Networking zum Modewort avanciert ist.
Aufgestellt sind diese Allianzen völlig unterschiedlich. Es gibt Verbünde für kleine Kanzleien, für mittlere und für die ganz großen. Sie dienen verschiedenen Zwecken und bieten diverse Leistungen. Es gibt sie auf nationaler und auf europäischer Ebene und es gibt Netzwerke wie Lex Mundi, die weltweit operieren und nur ausgewählte international aufgestellte Großkanzleien aufnehmen.
Auch wer als Kanzlei von der Struktur her passt und bereit ist, die nötigen Beträge zu zahlen und Qualitätsstandards in Sachen Kanzleimanagement sowie Digitalisierung nachzuweisen, wird keineswegs automatisch aufgenommen. Denn es geht primär ums Geschäft. "Anwälte netzwerken nicht aus Spaß an der Freude", sagt Rechtsanwältin Antonia Aschendorf vom Netzwerk Apraxa. "Es sind Interessen, die sie verbinden - vor allem das Interesse an guten Mandaten und zufriedenen Mandanten."
Kleine Einheiten: Sichere Eingänge, sichere Gebühren mit Rechtsschutzversicherern
Das gilt auch für die Mitglieder von Apraxa, eine Allianz kleiner und mittlerer Kanzleien, der bundesweit rund 2.400 Berufsträgerinnen und Berufsträger in 730 kleinen, gemischt aufgestellten Kanzleien angehören. Gute Mandate, das sind für solche Einheiten regelmäßige Eingänge mit gesicherter Zahlung der Anwaltsgebühren. Das 2003 als Genossenschaft gegründete Netzwerk kooperiert daher mit Rechtsschutzversicherern. Die ihm angeschlossenen Anwälte werden ohne direkte vertragliche Bindung zu den Versicherern quasi als deren Vertragsanwält:innen tätig. Im Gegenzug für gesicherte Eingänge und Zahlungen müssen die Kanzleien die Mandate, die hereinkommen, unabhängig vom Streitwert auch bearbeiten.
"Versicherer, die ihren Kunden Kanzleien empfehlen, verlangen natürlich sehr gute Qualität", erklärt Apraxa-Vorständin Aschendorf. In fachlicher Hinsicht verweist das Netzwerk auf seinen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt überdurchschnittlichen Anteil von Fachanwältinnen und -anwälten. Doch es geht auch um Qualitätsanforderungen an die Struktur der Kanzleien. Diese müssen neben nachweisbar gut organisierten Kanzleiabläufen auch die Anbindung an bestimmte Programme bieten, mit denen die Versicherer arbeiten und deren Service sie ihren Mitgliedern anbieten wollen, die zum Beispiel elektronischen Zugriff auf ihre Akten erwarteten. "Die Voraussetzungen in der Kanzlei vor Ort kontrollieren wir auch selbst, wenn wir neue Mitglieder kennenlernen", bestätigt Aschendorf.
Zusätzlich zum Genossenschaftsanteil, den Kanzleien bei ihrem Ausscheiden unverzinst zurückbekommen, zahlen die Berufsträger:innen eine jährliche Verwaltungsgebühr und erhalten dafür u.a. einen günstigen Zugang zu juristischen Datenbanken.
Mittelständische Wirtschaftskanzleien: Gemeinsam auch große Mandate bearbeiten
Diese Weitergabe von Einkaufsvorteilen, neben Datenbanken auch für Software, bieten andere Kanzlei-Allianzen ebenso an. In unterschiedlicher Ausprägung offerieren die Verbünde zudem Kooperationen mit branchennahen Dienstleistern im Bereich technische Lösungen, Digitalisierung oder Marketing. Es gibt auf die Partnerkanzleien zugeschnittene Fortbildungsangebote, Übersetzungsdienste und die Vermittlung von Sachverständigen, Unterstützung bei der Personalsuche und Inhalte für Webseiten und Mandanten-Newsletter.
Und doch sind all das nur Benefits zu den guten Mandanten, um die es den Sozietäten primär geht. Für mittelständische Kanzleien, die vor allem im Wirtschaftsrecht tätig sind, sind die guten Mandate häufig solche von Unternehmen, die sie schon vertreten, die aber zum Beispiel sehr personalintensiv sind, einen Auslandsbezug haben oder Rechtsgebiete betreffen, die sie mit fünf bis 20 Anwältinnen und Anwälten nicht abdecken können. Mandate also, die regelmäßig große Law Firms übernehmen.
Um solche Mandate anbieten und übernehmen zu können, schließen sich mittelständische Wirtschaftskanzleien im Netzwerk Diro zusammen. "Diro arbeitet mit Kanzleien mit einer gewissen regionalen Bedeutung, die am Standort auch wahrgenommen wird", erklärt Patrick Parnière, Avocat in Straßburg und Vorstand von Diro. Diese Sozietäten sollen die regionalen Mandanten, mit denen sie gut vernetzt sind, nicht an die großen Law Firms verlieren müssen. Vorständin Anja Koch ergänzt: "Es geht um Beratung von Mittelstand zu Mittelstand, die authentisch ist und bleibt, weil man eine Kanzlei empfehlen kann, die man kennt und mit der man gern kooperiert."
In der als AG konzipierten Anwalts-Allianz, in der jede Sozietät eine Aktie hält und jährlich ein Entgelt entrichtet, sind aktuell 192 Kanzleien in 29 europäischen Ländern organisiert, mit einem Schwerpunkt in Deutschland, wo 149 der Einheiten angesiedelt sind. Koch betont, "dass all unsere Experten die Sprache unserer Mandanten sprechen – im wahrsten Sinne des Wortes". Das gesamte Netzwerk ist deutschsprachig, sämtliche im Ausland ansässigen Kanzleien verfügen über German Desks. Gleichzeitig könne für den Mandanten oder die Tochtergesellschaft vor Ort eine landessprachliche Beratung wichtig sein.
Die Kraft der Vielen nutzen
Auch bei Diro legt man Wert auf hohe Standards in Sachen Kanzleiorganisation, Qualitätsmanagement und Digitalisierung, doch ebenso auf die Unabhängigkeit der Sozietäten. "Die Kanzleien, die Diro angehören, sind selbständige Kanzleien, die nichts müssen, aber alles dürfen", erläutert Parnière. Er gibt ein Beispiel: "Wir koordinieren auch große IT- und Legal-Tech-Projekte, mit denen Kanzleien zum Beispiel ihre Kanzlei-Website erstellen und betreiben können." Vorständin Koch ergänzt: „Als Netzwerk sehen wir uns in Verantwortung, genau solche Innovationen zu entwickeln und dafür dann auch im Netzwerk zu werben." Aber die Anbindung neuer Software tangiere immer auch die Autonomie einer Kanzlei; über das hinaus, was Diro an technischen, organisatorischen und qualitativen Standards von seinen Mitgliedskanzleien erwartet, müsse sich daher niemand beteiligen, erklärt Parnière.
Und doch geht es beim Netzwerk Diro, anders als zum Beispiel bei Apraxa, stärker um Zusammenarbeit und Kooperation. Die homogene Gruppe der wirtschaftsrechtlichen Mittelständler arbeite eng zusammen, sagt Koch, Kooperation und Kollaboration prägten das Netzwerk, das sich, wenn nicht gerade eine Pandemie stattfinde, zweimal jährlich treffe. "Bei Diro sind Zusammenarbeit, die Weitergabe von Mandaten und die gemeinsame Akquise gelebte Praxis. Wir nutzen die Kraft der Vielen."
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Eurojuris. "Neben Einkaufsvorteilen und Wissenstransfer profitieren unsere Mitglieder vor allem auch davon, dass sie ihre eigene Basis für Mandate erheblich verbreitern", sagt Dr. Iris Brokamp, die verantwortlich ist für Marketing und Business Development des deutschen Verbands. Die Zentrale des weltweit aufgestellten Netzwerks, dem sich ebenfalls vor allem wirtschaftsrechtlich tätige Kanzleien anschließen können, ist in Brüssel. "It’s the face behind the voice", erklärt sie das Prinzip. "Der Kollege, den man kennt, den kann man guten Gewissens empfehlen, so kann man den Mandanten eine ganz andere Ansprache vermitteln."
Die Allianz fokussiert sich auf die internationale Zusammenarbeit, mit rund 5.000 Anwältinnen und Anwälten in 600 Kanzleien in 50 Ländern verfügt Eurojuris über eine große Reichweite. Seit kurzem gibt es ein neues Asia-Chapter, auch in den USA soll das Netzwerk noch weiter wachsen. "Wenn in einer dieser Kanzleien ein Eurojuris-Mandat reinkommt, dann sorgt das sofort für eine offene Tür", erklärt Dr. Christian Bock, Rechtsanwalt in Münster und Präsident von Eurojuris Deutschland.
"Wachstum nicht um jeden Preis"
Auch Eurojuris hat schon Aufnahmeanträge potenzieller Mitglieder abgelehnt. Das Netzwerk sehe sich neue Mitglieder genau daraufhin an, ob sie die nötigen Qualitätsstandards erfüllen und zu den künftigen Partnern passen. "Wir möchten zwar wachsen", erklärt Brokamp, "aber nicht um jeden Preis". Die Regelung in der Satzung, dass nur eine Kanzlei pro Standort Mitglied werden darf, hält Vorstand Bock zwar für einen "Anachronismus, den man loswerden sollte", in großen Städten könne es auch vier bis fünf Mitglieder geben. Doch er fügt hinzu: "Das ist meine Meinung, entscheiden muss das Netzwerk." Eurojuris ist als Verein organisiert, die Mitglieder zahlen jährlich einen Beitrag.
Bei Apraxa gibt es laut Antonia Aschendorf sogar Wartelisten. "Wir lehnen Anträge ab, weil Standorte belegt sein können", so die Vorständin. In der Regel gebe es in Städten pro 100.000 Einwohner nur eine Apraxa-Kanzlei.
Etwas weniger formal geht es bei Diro zu, doch auch dort darf längst nicht jeder mitmachen. Vorstand Patrick Parnière sagt: "Wir wachsen konstant, um etwa acht bis zehn Kanzleien pro Jahr, aber nicht unbedingt sehr schnell." Als einen echten Gebietsschutz will er die Aufnahmepolitik nicht bezeichnen, bei Diro gebe es keinen Anspruch auf Exklusivität. Bei unterschiedlicher Aufstellung könnten sowohl im Inland als auch an ausländischen Standorten auch mehrere Kanzleien Diro-Mitglieder sein. Doch auch Diro berücksichtige "legitime wirtschaftliche Interessen" bei der Entscheidung über die Aufnahme neuer Mitglieder, sagt Parnière.
Tatsächlich würden mittelfristig die Kanzleien, die schon dabei sind, den Preis für zu stark steigende Mitgliederzahlen zahlen. Schließlich würden die Krümel kleiner, wenn zu viele Kanzleien vom Mandatskuchen essen wollten. Denn bei aller Kooperation geht es bei den Kanzlei-Netzwerken vor allem ums Geschäft. Und dieses scheinen die Netzwerke durchaus anzukurbeln. Austritte nämlich, die gibt es so gut wie nicht.
Kanzlei-Netzwerke: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44286 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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