Wo Menschen und Unternehmen existenzielle Krisen drohen, steigt der Beratungsbedarf. Auf dem Rechtsmarkt reagieren nicht nur die Anwälte. Dabei gelten die Regeln zur unzulässigen Rechtsberatung auch fürs Corona-Recht, zeigt Frank Remmertz.
Die Corona-Pandemie stellt Menschen und Unternehmen vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen. Berufliche Existenzen stehen auf dem Spiel. Schnell wurden Rettungspakete geschnürt und Hilfsprogramme auf die Beine gestellt, um die wirtschaftlichen Folgen für Betroffene abzufedern.
Zeitgleich ist der Bedarf an rechtlicher Beratung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie in nahezu allen Rechtsbereichen sprunghaft angestiegen. Das reicht von existenziellen Rechtsfragen für Verbraucher in Bereichen wie dem Miet- oder Arbeitsrecht über das Reiserecht bis in Verästelungen des Unternehmensrechts.
Im Rechtsmarkt hat man rasch auf diese Entwicklung reagiert. So bietet beispielsweise ein Rechtsschutzversicherer mit einer Rechtsberatungs-Hotline zu Corona-relevanten Rechtsfragen an, kostenlose Erstberatung durch angeschlossene Rechtsanwälte zu vermitteln. Ein Legal-Tech-Anbieter stellt automatisiert Briefvorlagen für die Aussetzung von Mietzahlungen zur Verfügung. Kanzleien bieten ebenfalls Legal-Tech-Lösungen für ihre Mandanten an, zum Beispiel Software für die automatisierte Errechnung und Beantragung von Kurzarbeitergeld.
Im neuen „Corona-Recht“ tummeln sich aber auch viele nicht-anwaltliche Rechtsberater. Viele Angebote drehen sich um die Corona-Soforthilfen für Unternehmen und Solo-Selbständige. Dabei werden nicht nur allgemeine Informationen bereitgestellt. Von der Antragsausfüllhilfe über Beratungsleistungen bis zur kompletten Abwicklung ist praktisch alles zu haben.
Neben Legal-Tech-Unternehmen offerieren auch Unternehmensberater zahlreiche Dienstleistungen rund um die Krise. Meist geht es auch hier um Unterstützungsleistungen für die Beantragung von Fördermitteln und darum, wie man sich im Behördendschungel am besten zurechtfindet. Klar, dass dabei häufig auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung zu prüfen sind. Alle Berater müssen sich allerdings auch in Corona-Zeiten an das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) halten. Ein Verstoß gegen das RDG ist wettbewerbswidrig und kann von Mitbewerbern, Rechtsanwaltskammern und Verbänden abgemahnt werden. Dabei ist bereits die Werbung mit unerlaubter Rechtsberatung, etwa auf der Webseite, unzulässig. Doch was ist nach dem RDG in Zeiten von Corona eigentlich noch erlaubt und was überschreitet die Grenze?
Keine Rechtsdienstleistung ohne Erlaubnis
Das RDG regelt die Befugnis, in der Bundesrepublik Deutschland außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Es soll Rechtsuchende, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen schützen.
Es ist ein Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt. Wer Rechtsdienstleistungen erbringen will, braucht eine Erlaubnis nach dem RDG. Das Gesetz ist dabei nach herrschender Ansicht nicht nur gegenüber Verbrauchern (B2C), sondern auch im Unternehmensverkehr (B2B) anwendbar. Typischerweise verfügen über eine solche Erlaubnis Anwälte, aber auch zum Beispiel Inkassodienstleister dürfen bestimmte Rechtsdienstleistungen erbringen.
Dreh- und Angelpunkt für die Anwendbarkeit des RDG ist, ob eine Rechtsdienstleistung vorliegt. Rechtsdienstleistung ist nach § 2 Abs. 1 RDG jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald eine rechtliche Prüfung im Einzelfall erforderlich ist. Ist dies bereits der Fall, wenn etwa über Corona-Hilfsmaßnahmen wie die Soforthilfe oder bestimmte Kreditprogramme beraten, die Antragstellung (teilweise) übernommen oder Korrespondenz mit Behörden oder Vertragspartnern geführt wird?
Allgemeine Information oder konkrete Beratung?
Ausdrücklich zulässig sind allgemeine rechtliche Informationen rund um Corona-Hilfsprogramme, etwa in den Medien, auf dafür eingerichteten Plattformen oder in Informationsmitteilungen ohne Bezug zu einem konkreten Einzelfall (§ 2 Abs. 3 Nr. 5 RDG). Solange sich die Informationen an die Allgemeinheit richten, gilt das auch für schwierige Rechtsfragen, etwa zu den arbeitsrechtlichen Voraussetzungen für den Erhalt von Kurzarbeitergeld oder zur Antragspflicht im Insolvenzrecht.
Werden konkret Betroffene im Einzelfall beraten, etwa zu den rechtlichen Voraussetzungen zu Corona-Hilfsprogrammen, liegt in der Regel eine Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG vor. Fraglich ist dann häufig, ob die Beratung eine rechtliche Prüfung erfordert und damit die Schwelle zur Rechtsdienstleistung erreicht. Als Faustregel gilt: Zulässig sind einfache Rechtsauskünfte ohne weitergehende rechtliche Prüfung.
Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 14.01.2016, Az. I ZR 107/14 – Schadensregulierung durch Versicherungsmakler) ist die schematische Anwendung von Rechtsnormen auf einen konkreten Fall noch keine Rechtsdienstleistung. Es braucht vielmehr eine weitere rechtliche Prüfung, allerdings muss diese bloß – objektiv betrachtet – erforderlich sein. Ob die rechtliche Prüfung tatsächlich durchgeführt wird, ist für die Qualifikation als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung unerheblich.
Verträge: Prüfung, Gestaltung und Verhandlung ist Rechtsdienstleistung
Die Grenzen zur unzulässigen Rechtsberatung sind allerdings fließend. Bislang fehlen allgemeingültige Abgrenzungskriterien, so dass es auf den Einzelfall ankommt. Hilfestellungen beim Ausfüllen eines Antragsformulars oder bei der Zusammenstellung von (auch rechtlich relevanten) Unterlagen sind nach der Rechtsprechung ebenso zulässig wie die Vorbereitung einer einfachen Mahnung (unstreitiger) Ansprüche oder einer Kündigung. So darf jeder zum Beispiel einen Abonnement-Vertrag für andere kündigen, wenn die Rechtslage „auf den ersten Blick“ klar ist und insbesondere kein Kündigungsgrund geprüft werden muss.
Ist aber eine Vertragsprüfung notwendig, etwa zu den Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung, liegt eine Rechtsdienstleistung vor. Wer prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für Corona-bedingte vertragliche Leistungsstörungen vorliegen, z.B. für Mietstundungen oder für Leistungsverweigerungsrechte in Dauerschuldverhältnissen nach Art. 240 EGBGB, erbringt also eindeutig eine Rechtsdienstleistung im Sinne des RDG.
Vertragsgestaltungen sowie in der Regel die Übernahme der rechtlichen Vertretung gegenüber Behörden oder Vertragspartnern stellen ebenso erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistungen dar. Und Verhandlungen mit Vertragspartnern, z.B. über die vorzeitige Beendigung oder Aufhebung von Verträgen, sowie mit Kreditinstituten sind regelmäßig als Rechtsdienstleistung zu qualifizieren, es sei denn, es geht dabei allein um wirtschaftliche Fragen.
Was ohne Erlaubnis nicht geht
So ist es ohne Erlaubnis z.B. für Verbraucherberater nach dem RDG z.B. nicht zulässig, für einen Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag zu entwerfen oder für Kunden ausstehende Zahlungsansprüche geltend zu machen.
Auch die rechtliche Bewertung einer Überschuldungssituation erfordert eine rechtliche Prüfung und ist daher ohne RDG-Erlaubnis unzulässig.
Das gilt insbesondere für die Prüfung einer Verbraucherinsolvenz oder die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Insolvenzantrag nach dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vorliegen. Das richtet sich aktuell vor allem an Verbraucher- und Unternehmensberater.
Was jeder darf
Wer hingegen wie ein Schuldnerberater nur die Vermögensverhältnisse von Betroffenen prüft und Umschuldungen vornimmt oder mit Gläubigern wirtschaftlich verhandelt, erbringt dagegen keine Rechtsdienstleistung i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG. Denn hierbei geht es um die Klärung der wirtschaftlichen Verhältnisse.
Ebenso wenig ist die Überlassung eines standardisierten Vertragsformulars mit dem Angebot, erforderlichenfalls beim Ausfüllen einfacher Angaben behilflich zu sein, nach der Rechtsprechung (OLG Karlsruhe, Urt. v. 13.10.2010, Az. 6 U 64/10) eine Rechtsdienstleistung, es sei denn, bereits die Auswahl des passenden Formulars erfordert eine rechtliche Prüfung. Wer also nur dabei unterstützt, Corona-Soforthilfe-Formulare ohne Rechtsprüfung korrekt auszufüllen, braucht dafür keine Erlaubnis nach dem RDG.
Auch das schlichte Beitreiben von Forderungen ohne rechtliche Prüfung erachtet das Bundesverfassungsgericht als zulässige kaufmännische Hilfstätigkeit, es sei denn, sie erfolgt als eigenständiges Geschäft, so dass eine Inkassoerlaubnis nach § 2 Abs. 2 RDG nötig ist (Beschl. v. 20.02.2002, Az. 1 BvR 423/99, 1 BvR 821/00 und 1 BvR 1412/01 – Inkassobefugnis I).
Rechtsberatung als Nebenleistung: Vorsicht bei der Werbung
Liegt eine Rechtsdienstleistung i.S.v. § 2 Abs. 1 RDG vor, bedarf es einer Erlaubnis, entweder im RDG selbst oder in anderen Gesetzen, die auch in Zeiten von Corona eine große Rolle spielen. Die wichtigste Erlaubnisnorm im RDG ist § 5 RDG, der Rechtsdienstleistungen als Nebenleistung zu einer anderen nicht-juristischen Hauptleistung erlaubt.
Dies ist einschlägig z.B. für Unternehmensberater, Steuerberater, Banken und Versicherungen, Sanierungs- und Schuldenberater. Sie können neben ihrer – meist wirtschaftlich geprägten – Haupttätigkeit auch Corona-bedingte Rechtsberatung mit erbringen, wenn dies nur untergeordnet erfolgt.
Bei der Werbung mit Rechtsdienstnebenleistungen ist aber Vorsicht geboten. Nicht selten werden diese von Unternehmensberatern werblich, z.B. im Internetauftritt, als eigenständige Leistung beworben. Erweckt die Werbung aber den Eindruck, rechtliche Beratung werde als Teil der entgeltlichen Hauptleistung mit angeboten, beispielsweise die rechtliche Prüfung einer Überschuldungssituation oder die Gestaltung von Verträgen, so wird die Grenze der zulässigen Nebenleistung nach § 5 RDG bereits überschritten.
Wer sonst noch darf
Auch bei der Beratung über Fördermittel sind Rechtsdienstleistungen, die damit im Zusammenhang stehen, ausdrücklich erlaubt (sieht § 5 Abs. 2 Nr. 3 RDG). Ob dazu auch die Corona-Hilfsprogramme zählen, ist allerdings noch unklar. Gedacht ist die Erlaubnis ursprünglich für Existenzgründerberatung durch Fördermittelberater. Zieht man die Grenzen hier eng, gelten aber die allgemeinen Regeln über zulässige Nebenleistungen nach § 5 Abs. 1 RDG.
Eine ausdrückliche Erlaubnis sieht § 7 RDG auch für Berufsverbände, Gewerkschaften oder Mietervereine vor, die ihre Mitglieder in Rechtsfragen beraten dürfen, wenn diese im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Aufgaben anfallen. Das gilt natürlich auch für Rechtsfragen rund um Corona.
Außerhalb des RDG sind besondere Erlaubnisnormen vorgesehen. So dürfen etwa Steuerberater zu Steuererleichterungen, Stundung und Aussetzung von Steuerzahlungen beraten (§ 3 StBerG), Versicherungsmakler sowie Versicherungsberater können in Bezug auf Corona-bedingte Änderungen oder Kündigungen von Versicherungsverträgen helfen (§ 34d Abs. 1 S. 8, Abs. 2 GewO).
Schließlich dürfen Rechtsdienstleistungen nach § 6 RDG auch innerhalb einer Familie, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger Beziehungen erbracht werden. Ein Jurastudent mit frisch erworbenen Kenntnissen im Leistungsstörungsrecht darf also für seine Eltern Corona-bedingte Kündigungsschutzregelungen für den Wohnraummietvertrag nach Art. 240 § 2 EGBGB prüfen und die entsprechende Korrespondenz mit Vertragspartnern führen. Motivierte Nachwuchsjuristen haben also vom RDG nichts zu befürchten. Der einzige Haken: Das gilt nur, wenn die Beratung unentgeltlich stattfindet.
Dr. Frank Remmertz ist Rechtsanwalt in München und berät in Fragen des Rechtsdienstleistungsrechts. Er ist u.a. Vorsitzender des Ausschusses Rechtsdienstleistungsgesetz der Bundesrechtsanwaltskammer.
Rechtsdienstleistungen in der Pandemie: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41827 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag