Der Anwaltssenat des BGH hat die Vorstandswahl der RAK München aus dem Jahr 2020 für elf Vorstandsmitglieder im Landgerichtsbezirk München I für ungültig erklärt. Ein Urteil mit weitreichenden Konsequenzen, erläutert Martin W. Huff.
Es ist ein weiterer Paukenschlag in einem seit Jahren erbittert geführten Rechtsstreit: Nach einem jetzt vorliegenden Urteil des Anwaltssenates des Bundesgerichtshofs (BGH) hat die Rechtsanwaltskammer (RAK) München ihren Ex-Hauptgeschäftsführer zu Unrecht von der Vorstandswahl im Mai 2020 ausgeschlossen (Urt. V. 12.9.2022, AnwZ (Brfg) 41/21).
Die Entscheidung des BGH hat Folgen, die über den Landgerichtsbezirk München I hinausreichen: Aufgrund der teilweise für ungültig erklärten Vorstandswahl verlieren elf Vorstandsmitglieder der größten deutschen RAK mit sofortiger Wirkung ihre Posten, darunter der bisherige Präsident der Kammer, Michael Then. Dieser ist bzw. war auch Schatzmeister der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Da er nun nicht mehr Vorstand einer Anwaltskammer ist, muss die BRAK den Posten neu besetzen. (Ein ähnliches Schicksal hatte vor Jahren den mittlerweile verstorbenen Präsidenten der RAK Düsseldorf, Alfred Ulrich, ereilt. Ulrich war im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Syndikusanwälte nicht wiedergewählt worden.)
Streit um Immobilie am Starnberger See
Hintergrund der Auseinandersetzung in der RAK München ist eine lange Geschichte: Der von der Vorstandswahl im Jahr 2020 ausgeschlossene Kandidat ist Rechtsanwalt Stephan Kopp, ein Urgestein der Münchner Anwaltsszene. Kopp hatte im Juli 2019 sein Amt im Vorstand niedergelegt, nachdem es dort zum Streit – insbesondere um die Immobilie der Kammer das Seehaus am Starnberger See – gekommen war. Seine Amtszeit hätte regulär noch bis 2022 gedauert, der Posten wurde zunächst nicht nachbesetzt.
Bei den im April 2020 sodann anstehenden regulären Vorstandswahlen kandidierte Kopp erneut. Gewählt werden mussten die Hälfte des Vorstands, darunter elf neue Vorstandsmitglieder für den Landgerichtsbezirk München I, die dann eine vierjährige Amtszeit antreten, sowie die Nachbesetzung für den von Kopp aufgegebenen Vorstandsposten, dessen Amtszeit nur noch zwei Jahre dauerte. Dabei sollte der Kandidat mit Rang 12 den Nachrücker-Posten für zwei Jahre erhalten.
Nach Amtsverzicht keine erneute Kandidatur?
Drei Tage vor dem Beginn der Wahl strich die Kammer jedoch Kopp von der Kandidatenliste. Die Kammer argumentierte mit der Vorschrift des § 69 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), die bestimmt, dass ein ausscheidendes Vorstandsmitglied durch ein "neues" Mitglied zu ersetzen ist. Eine Nachbesetzung mit demselben Mitglied hielt der Wahlausschuss für unzulässig. Er umgehe sonst die Unwiderruflichkeit der Amtsniederlegung. Es war die endgültige Eskalation eines jahrelangen Streits.
Gegen diesen Ausschluss von der Wahl klagte Kopp. Er vertrat die Auffassung, dass er auf jeden Fall zur Wahl hätte zugelassen werden müssen. Schließlich stehe in der BRAO an keiner Stelle, dass man nach dem Amtsverzicht nicht später noch einmal für den Vorstand einer Anwaltskammer kandidieren dürfe. Zudem sei auch die Verknüpfung von Neuwahl für vier Jahre und der Nachwahl für zwei Jahre in einem Wahlvorgang rechtswidrig gewesen.
Kopps Argumentation war der Bayerische Anwaltsgerichtshof seinerzeit weitgehend gefolgt (Urt.v. 22.7.2021, AZ. BayAGH III-4-9/20).
BGH: Ausschluss von Neuwahl nicht zu rechtfertigen
Die von der RAK München eingelegte Berufung blieb jetzt weitgehend ohne Erfolg. In seinem 38-seitigen Urteil mit 91 Randnummern erteilt er nahezu allen Argumenten der Kammer eine klare Absage.
So sei schon die Verknüpfung von Neu- und Nachwahl mit den Vorschriften der BRAO nicht vereinbar. Die beiden Wahlen hätten zwar zeitgleich stattfinden können. Aber die Durchführung der Wahl in einem Wahlgang mit der Prämisse, dass der mit Rang 12 gewählte der Nachrücker für zwei Jahre ist, die übrigen Gewählten aber eine vierjährige Amtszeit hätten, verstoße gegen den Sinn und Zweck einer geordneten Wahl. Da die Amtszeit des Nachrückers im April 2022 abgelaufen war, stellte der BGH die Rechtswidrigkeit der Wahl fest.
Viel gravierender war aber laut Anwaltssenat der Ausschluss von Kopp von der Wahl insgesamt. Jedenfalls von der Neuwahl für die Amtsperiode 2020 bis 2024 hätte er nicht ausgeschlossen werden dürfen.
Zwar sei ein Kandidat für seine eigene Nachwahl gesperrt. Diese Sperrung auf eine Neuwahl zu übertragen, dafür, so der BGH, "geben weder der Wortlaut, nicht Entstehungsgeschichte, Systematik oder Sinn und Zweck der Regelung einen hinreichenden Anhalt". Die Ansicht der RAK finde in den einschlägigen Wahlvorschriften keine Grundlage, so das Gericht. Damit liege ein erheblicher Wahlfehler vor, der zu einer Ungültigkeit der Wahl führt.
Laut BGH spielt es auch keine Rolle, dass Kopp bei der Neuwahl im Jahr 2022 mit einem guten Ergebnis erneut in den Vorstand gewählt worden war. Dadurch fehle es nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Für Wahlanfechtungsklagen bedürfe es keines subjektiven Rechtsschutzbedürfnisses, sondern es finde eine objektive Prüfung statt.
Bittere Niederlage für Deutschlands größte RAK
Der völlig unnötige Ausschluss von Kopp von den Wahlen 2020 ist für die RAK München eine deutliche und bittere Niederlage. Wie es im Vorstand der Kammer jetzt weitergeht, ist völlig offen. So hat nicht nur Präsident Then sein Amt mit der BGH-Entscheidung verloren, sondern auch weitere Vizepräsidenten der Kammer, Andreas von Mariassy und Dr. Alexander Siegmund. Das Präsidium der RAK hat nur noch drei und nicht mehr sechs Mitglieder. Damit die Kammer handlungsfähig bleibt, müssten die verbliebenen Vorstandsmitglieder rasch ein neues Präsidium wählen.
Gut wäre es darüber hinaus, – nicht zuletzt auch für das Ansehen und die Handlungsfähigkeit des Vorstands der größten deutschen Anwaltskammer – wenn die Nachwahlen für die Zeit bis zum April 2024 (so lange dauert die Amtsperiode der ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder noch) rasch stattfinden würden. Angesichts der Vorgeschichte wäre dabei eine niedrige Wahlbeteiligung wohl kaum überraschend.
Unterdessen muss sich die RAK München als Verlierer vor dem BGH nicht allein fühlen: 2020 hatte das Gericht bereits die Wahlen der Kammer Düsseldorf beanstandet. Der damalige RAK-Präsident Herbert Schons hatte nach einer Wahlkampfrede gegen das Neutralitätsgebot verstoßen und verlor sein Amt.
Ex-Geschäftsführer zu Unrecht ausgeschlossen: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49919 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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