Der BGH erlaubt Rechtsdienstleistungen, die mit dem Begriff des Inkassos immer weniger zu tun haben, von der Rechtsprechung aber als erlaubte Rechtsdienstleistung angesehen werden, meint Martin W. Huff.
Der Bundesgerichtshof (BGH) bleibt dabei: Registrierte Inkassounternehmen dürfen weitgehende Rechtsdienstleistungen anbieten und verstoßen damit nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG). Nachdem der VIII. Zivilsenat des BGH im November 2019 diese Linie erstmals sehr deutlich in seiner Entscheidung wenigermiete.de vertreten hat , schließt sich jetzt – trotz mancher Kritik aus der Anwaltschaft – der II. Zivilsenat dieser Auffassung an. Die Auseinandersetzung darüber, wer Rechtsberatung anbieten darf, geht damit weiter.
Die Presserklärung des BGH vom 13. Juli 2021 zu dem Thema war noch knapp gefasst: Der Inkassobegriff des RDG umfasse auch Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen, hieß es dort. Dies gelte auch im Fall des sogenannten "Sammelklage-Inkass"“.
Nun liegen seit wenigen Tagen die schriftlichen Gründe des Urteils vor (BGH, Urt. v. 13.07.2021, Az. II ZR 84/20) vor und sie werden innerhalb konservativer Teile der Anwaltschaft für heftige Reaktionen sorgen. Denn die ausführliche (42 Seiten und 88 Randnummern) und deutlich formulierte Entscheidung lässt erkennen, wo wohl der gesamte BGH bei der Frage, was noch unter dem Inkassobegriff des RDG zu verstehen ist, steht: Auf der Seite der Verbraucher und damit verbunden auf der Seite vieler neuer Anbieter von Rechtsdienstleistungen, die mit dem Begriff des Inkasso immer weniger zu tun haben, von der Rechtsprechung aber als erlaubte Rechtsdienstleistung angesehen werden.
LG und KG sahen unerlaubte Rechtsdienstleistung
Zum Hintergrund: Die Klägerin, die Airdeal Rechtsdienstleistungs GmbH, ist als Rechtsdienstleisterin für Inkassodienstleistungen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG) beim Berliner Kammergericht (KG) registriert. Auf einer von ihr betriebenen Website (www.airberlin-regress.de) warb sie dafür, Ansprüche gegen die zwischenzeitlich insolvente Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG auf Rückzahlung des Flugpreises gesammelt über sie geltend zu machen. Den Kunden sollten keine Kosten entstehen, die Klägerin im Erfolgsfall 35% der Nettoerlöse aus dem Forderungseinzug erhalten.
Aus abgetretenem Recht hat die Klägerin Schadensersatzansprüche von insgesamt sieben Kunden gegen den ehemaligen Geschäftsleiter der Air Berlin vor dem Landgericht Berlin (LG) eingeklagt, da er verspätet Insolvenzantrag gestellt haben soll. Die Kunden haben zwischen Mai und Juli 2017 Flüge bei Air Berlin gebucht und bezahlt, die aufgrund der Insolvenz nicht mehr durchgeführt wurden.
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. LG und KG Berlin hatten die Auffassung vertreten, dass Airdeal für die Klage nicht aktivlegitimiert sei, weil die Abtretung der Forderung der Air-Berlin Kunden an die GmbH gem. § 134 BGB, § 3 RDG nichtig gewesen sei, weil die GmbH damit eine unerlaubte Rechtsdienstleistung erbringe.
BGH: Gerichtlicher Forderungseinzug ist vom RDG erfasst
Der II. Zivilsenat des BGH, zuständig insbesondere für das Gesellschaftsrecht, hat hingegen entschieden, dass die hier zu beurteilende Tätigkeit der Klägerin von ihrer Befugnis gedeckt ist, Inkassodienstleistungen zu erbringen. Vom Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG würden Geschäftsmodelle miterfasst, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Dies gelte auch für das sogenannte Sammelklage-Inkasso, bei dem mehrere Forderungen gesammelt und gebündelt gerichtlich geltend gemacht werden.
Der Senat schließt sich in seiner Begründung ausdrücklich der bisher wohl eher herrschenden Mindermeinung an und sieht solche Geschäftsmodell als zulässig an. Schon mit seinem wenigermiete.de-Urteil hatte der VIII. Zivilsenat entschieden, dass es von der Inkassoerlaubnis umfasst sei, sich Ansprüche auf Mietrückzahlungen abtreten zu lassen und diese dann auch gerichtlich durchzusetzen (Urt. v. 27.11.2019, VIII ZR 285/18).
BGH: Begriff der Rechtsdienstleistungen weit gefasst
Damals war dieses Urteil zum Teil heftig kritisiert worden, weil dies alles mit Inkasso und einer erlaubten Rechtsdienstleistung nichts mehr zu tun habe. Manche Autoren meinten sogar, dass der VIII. Zivilsenat zu weit gegangen sei. Doch jetzt vertritt der II. Senat – nach meiner Auffassung sogar noch deutlicher als der VIII. Senat – genau die gleiche Auffassung und setzt sich auch intensiv mit der geäußerten Kritik – wenn auch höflich – auseinander.
Weder dem Wortlaut, so die Richter, noch der Systematik der § 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 RDG lasse sich entnehmen, dass solche Inkassoformen keine zulässigen Rechtsdienstleistungen sind und nur der Anwaltschaft vorbehalten seien. Denn der Begriff der Rechtsdienstleistung sei in § 2 Abs. 2 RDG sehr weit gefasst und dürfe bei dem Vorliegen einer entsprechenden Erlaubnis nach § 10 RDG erbracht werden.
Der Schutzzweck des RDG sei es, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. Bei einer an diesem Zweck orientierten Würdigung und unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters (Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz) erfasse der Begriff der Inkassodienstleistung auch Modelle, die ausschließlich oder vorrangig auf die gerichtliche Einziehung von Forderungen abzielen. Dies gelte selbst dann, wenn dazu eine Vielzahl von Einzelforderungen gebündelt werden, heißt es weiter.
BGH weist Argumente der Kritiker zurück
Auch das Argument, dass bei der klageweisen Anspruchsdurchsetzung ein Rechtsverlust drohe, weil der Sachverhalt vom Dienstleister nicht ordnungsgemäß aufbereitet werde, überzeugt die Richter nicht. Wörtlich schreiben sie. "Jedoch wird der durch den Inkassodienstleister mandatierte Rechtsanwalt für eine sachgerechte prozessuale Anspruchsdurchsetzung zu sorgen haben. In der Konstellation des sog. Sammelklage-Inkasso w oftmals erst die Bündelung vieler gleichgelagerter Einzelansprüche eine intensive Befassung auf Seiten des Rechtsberaters wirtschaftlich erscheinen lassen, was eher zu einer Steigerung der Qualität der Beratung zum Vorteil aller Zedenten führen kann."
Nur eine gebündelte Rechtsdurchsetzung sei in diesen Verbraucherangelegenheiten inhaltlich und wirtschaftlich sinnvoll, so offenbar die Meinung des Senats.
Dem Verbraucher entstünden dadurch aber ja keine Nachteile, so die Richter. Vielmehr müsse der Rechtsdienstleister ja eine besondere Sachkunde nachweisen und die Ansprüche müssten vor Gericht in der Regel von einem Rechtsanwalt durchgesetzt werden. Damit sei der Rechtssuchende weitreichend geschützt. Eine Gefahr fehlerhafter Rechtsdienstleistungen sieht der BGH überhaupt nicht und lehnt damit die Argumente der Kritiker ab.
Kein Wettbewerbsnachteil durch Erfolgshonorare
Auch das Argument der Gegner, dass die Gerichte vor einer unsachgemäßen Prozessführung geschützt werden müssten, überzeugt die BGH-Richter nicht: Die zwingende Beteiligung eines Rechtsanwalts auch bei niedrigen Streitwerten sorge dafür, dass dies nicht geschieht. Es bestehe auch nicht die Gefahr der unberechtigten Inanspruchnahme von Schuldnern und selbst eine Belastung der Justiz sei nicht zu erkennen.
Auch ein struktureller Wettbewerbsnachteil der Anwaltschaft dadurch, dass diese z.B. kein so weitgehendes Erfolgshonorar vereinbaren dürfe, könne, so der BGH, nicht dazu führen, die Inkassodienstleistung zu untersagen.
Der Klägerin ist ihre Tätigkeit auch nicht wegen der Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht nach § 4 RDG verboten. Ein Interessenkonflikt, der eine entsprechende Anwendung des § 4 RDG auf den vorliegenden Fall rechtfertigen könnte, liege nicht vor. Alle Argumente in diesem Zusammenhang überzeugen den BGH nicht.
Abtretung war wirksam, also zurück zum KG
Da der Klägerin mit dem Sammelklage-Inkasso nicht gegen das RDG verstieß, war die zwischen den Kunden von Air Berlin und der Klägerin vereinbarte Abtretung wirksam. Der BGH hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, damit weitere Feststellungen zum Bestehen der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung nachgeholt werden können.
Airdeal durfte also die Ansprüche sammeln und einklagen. Jetzt muss das KG Berlin, an den der BGH das Verfahren zurückverwiesen hat, sich inhaltlich mit den geltend gemachten Ansprüchen befassen.
In Zukunft wird die Anwaltschaft akzeptieren müssen, dass ihr in Rechtsdienstleistern noch mehr Konkurrenz als bisher erwachsen wird. Wobei die Verzahnung dieser Dienstleister mit Rechtsanwälten sehr groß ist und hinter vielen Modellen Rechtsanwälte stehen, die erkannt haben, dass der Verbraucher bereit ist, für die Durchsetzung seiner Rechte einen deutlichen Anteil am Erfolg abzugeben (hier 35 Prozent), wenn er dafür im Fall des Unterliegens kein Risiko trägt.
Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR in Köln und Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln.
BGH zum Umfang der Rechtsdienstleistung: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45749 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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