Ist das beA hinreichend rechtssicher? Am Mittwoch tagt u.a. hierzu der beA-Anwenderbeirat der BRAK. Auch der Deutsche Anwaltverein hat sich mit einer Prüfbitte an die Kammer gewandt. Wir sprachen darüber mit DAV-Vize Martin Schafhausen.
LTO: Zum 1.1.2022 wird für die Anwältinnen und Anwälte die aktive Pflicht zum Versand elektronischer Nachrichten an die Gerichte per besonderem elektronischem Anwaltspostfach (beA) in Kraft treten. Zuletzt gab es Befürchtungen, das beA ermögliche keine zuverlässige Bestätigung des Empfangs fristwahrender Schriftstücke. Wenn Anwält:innen fristwahrende Dokumente elektronisch einreichen, könnten sie nie sicher sein, dass diese Dokumente auch wirklich bei Gericht eingegangen sind – es sei denn, sie telefonierten hinterher. Ein Systemfehler beim beA?
Martin Schafhausen: Es mag sein, dass ich mit den Informationen, die wir über den Zugang der Nachricht erhalten, nicht den Vollbeweis führen kann, dass der Zugang des elektronischen Dokuments erfolgt ist. Allerdings erhält man von dem "System Elektronischer Rechtsverkehr", von dem die anwaltliche Infrastruktur des beA nur einen kleinen Teil darstellt, immerhin eine Zugangsnachricht. Im sogenannten Web-Client finden sich Informationen über den Inhalt der Nachricht.
Im Übrigen gilt in diesem Kontext der Anscheinsbeweis, wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof festgestellt hat (Beschl. v. 26.9.2017, Az. 5 A 1193/17). Die noch im Web-Client gespeicherte Nachricht oder die exportierte Nachricht, die sich im ZIP-Ordner befindet, wären im Zweifel auch einer Inaugenscheinnahme zugänglich.
Darüber hinaus sind über die sogenannte OCSI-ID (Anm. d Redaktion: sog. OSCI sind Protokollstandards für den sicheren elektronischen Nachrichtenaustausch über das Internet und andere Netze) weitere Ermittlungen möglich. Zum Beispiel lässt sich die Datengröße der Nachricht, die von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) an den gerichtlichen Intermediär übermittelt wurde, feststellen. Es lässt sich also überprüfen, dass keine inhaltsleeren Nachrichten übermittelt wurden.
Das sollte aus meiner Sicht auch im Zweifelsfall genügen: Schließlich dürfen Gerichte bei der Frage des Zugangsnachweises tatsächlich mehr nicht verlangen, als das gerichtliche System liefert.
"Ich bin mir nicht sicher, ob die Gerichte vorbereitet sind"
Die BRAK hält die Sorgen der Anwälte, die eine Petition gestartet haben, für unbegründet. Die Petenten meinen hingegen, unter den aktuellen Bedingungen wäre es sicherer, wenn sich die Anwält:innen nach Zusendung wichtiger Schriftsätze beim Gericht noch einmal per Telefon erkundigen, ob ihre Anlagen angekommen sind.
Dies ist, auch für mich als Rechtsanwalt, eine erschreckende Vorstellung. Die Gerichte werden, auch ohne dass wir wegen jeder Nachricht auf den Geschäftsstellen anrufen, ab dem 1. Januar mit den elektronischen Posteingängen genug zu tun haben.
Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob alle Gerichte tatsächlich darauf vorbereitet sind, dass sie im Januar alle Posteingänge von anwaltlichen Bevollmächtigten ausschließlich über den Elektronischen Rechtsverkehr erhalten werden. Gerichte, bei denen die Wachtmeisterei zweimal am Tag ERV-Eingänge ausdruckt, werden kaum mit der Bearbeitung dieser Posteingänge nachkommen. Ich erwarte nicht, dass solche Anrufe in "Randzeiten", zu denen nicht selten Fristen erledigt werden, beantwortet werden (können). Ein Mehr an Rechtssicherheit brächte dies nicht.
Die BRAK hat immer behauptet, die kryptographische Signatur ("signierter Zeitstempel") sorge im Export von Nachrichten für Rechtssicherheit. Nun wurde diese im Rahmen eines Updates Ende September (3.8.2) wieder abgeschafft. Wissen Sie, warum?
Nein, ich weiß nur um die Gründe, die die BRAK veröffentlicht hat, wonach die Signatur angeblich überflüssig sei. Unserer Auffassung nach kann dagegen das Wiederanbringen einer Signatur das Vertrauen in das rechtssichere System stärken. Wir haben daher die BRAK gebeten, zu prüfen, ob nicht eine solche Signatur wieder angebracht werden kann und zumindest dem Nachweis dient, dass die ZIP-Datei nach dem Signieren nicht mehr geändert wurde.
"Verlässlicher Zugangsnachweis auch für Nachrichten von Anwalt zu Anwalt"
Sind Sie zuversichtlich, dass spätestens zum 1.01.2022 das beA rechtssicher genutzt werden kann?
Ja, auch wenn sich in den nächsten Wochen keine (grundsätzlichen) Änderungen ergeben, können die Kolleginnen und Kollegen ihre Postfächer rechtssicher nutzen. Sollte es tatsächlich in seltenen Einzelfällen zu Nachweisschwierigkeiten kommen, bestehen gute Möglichkeiten, dennoch den Nachweis zu führen, dass Nachrichten nicht leer auf dem Intermediär des Gerichts angekommen sind, sondern Schriftsätze und Anlagen fristgemäß eingegangen sind. Das hat der Austausch, auch mit Richterinnen und Richtern, etwa auf Twitter, in den letzten Tagen deutlich gemacht.
Wenn sich Anwältinnen und Anwälte untereinander wichtige Schriftsätze über das beA zusenden, bekommt man kein entsprechendes Empfangsbekenntnis. Würden Sie es begrüßen, wenn das beA auch in diesem Kontext ein solches vorsieht?
Auch bei der Übermittlung von Nachrichten unter Anwältinnen und Anwälten muss sichergestellt werden, dass der Zugang verlässlich nachgewiesen werden kann.
"Das beA funktioniert"
Die BRAK hat bedauert, dass es zum Wegfall der Zeitstempel-Signatur bei der Kommunikation zu Irritationen gekommen ist. Wurde fahrlässig das Vertrauen in den elektronischen Rechtsverkehr erschüttert?
Dass es zu Irritationen kommt, ist wenige Wochen vor Einführung der aktiven Nutzungspflicht unglücklich. Die Diskussionen in den sozialen Medien nach der Veröffentlichung der aktuellen beA-Version sind jedoch zu begrüßen, haben sie doch gezeigt, dass Verbesserungsbedarf besteht.
Lassen Sie es mich auch klarstellen: Der DAV und ich ganz persönlich machen sich für den elektronischen Rechtsverkehr stark. Das beA ist das System, welches die Anwaltschaft finanziert hat. Es funktioniert. Wir werden aber feststellen, dass ein solches System stets verbessert werden muss. Einen vollständigen Vertrauensverlust sehe ich nicht. Es ist aber auch Aufgabe der BRAK, das Vertrauen der Anwaltschaft in diese (eigene) Lösung zu stärken, indem sie sich der Probleme, Sorgen oder Fragen annimmt und diese prüft.
Die BRAK ist für das reibungslose und rechtssichere Funktionieren des beA verantwortlich. In welcher Rolle sehen Sie in diesem Kontext den DAV?
In Leitbild des DAV formulieren wir, dass wir die Kammern, und gemeint ist auch die BRAK, konstruktiv, aber auch kritisch begleiten. Dass dies gerade auch beim Elektronischen Rechtsverkehr gilt, hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt. Wir unterstützten nicht nur die Kolleginnen und Kollegen auf ihrem Weg in die elektronische Kommunikation mit den Gerichten, sondern begleiten auch die BRAK. Wenn Kritik zu äußern war, haben wir dies getan. Wenn der Elektronische Rechtsverkehr gemeinsam vorangebracht werden konnte, waren wir gemeinsam unterwegs.
Rechtsanwalt Martin Schafhausen ist Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins. Der Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht ist im DAV Vorsitzender des Ausschusses Elektronischer Rechtsverkehr. Zudem ist er Mitglied im "Ausschuss Anwenderbeirat besonderes elektronisches Anwaltspostfach" der BRAK.
Interview zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach: . In: Legal Tribune Online, 12.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46319 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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