Befreiung für Rechtsanwälte: Ren­ten­ver­si­che­rung ändert klamm­heim­lich die Ver­wal­tungs­praxis

von Martin W. Huff

06.07.2022

Rechtsanwälte in Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften können künftig nur als Syndizi von der Pflicht, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, befreit werden. Welche Auswirkungen das hat, weiß Martin W. Huff.

Rechtsanwälte, die rechtsberatend in Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften tätig sind, konnten bisher allein aufgrund ihrer anwaltlichen Tätigkeit für ihren Arbeitgeber von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt war nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) nicht erforderlich. Jetzt hat die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) leise ihre Verwaltungspraxis und das entsprechende Formular geändert.  

Immer mehr Rechtsanwälte sind als Angestellte in Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften tätig. Denn diese Gesellschaften dürfen nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes und der Wirtschaftsprüferordnung in allen steuerrechtlichen Angelegenheiten auch rechtsberatend tätig werden. Dafür beschäftigten diese Unternehmen auch gerne Rechtsanwälte für die Beratung, aber auch für die Prozessführung etwa vor den Finanzgerichten.  

Grundsätzlich unterliegen diese Rechtsanwälte, wenn sie als Angestellte bei ihrem Arbeitgeber tätig sind, der Sozialversicherungspflicht. Die meisten von ihnen möchten sich aber von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten des anwaltlichen Versorgungswerks befreien lassen. Bisher war dies nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 15.12.2016 (Az. B 5 RE 7/16 R) auch ohne weiteres möglich. Dazu musste in dem Befreiungsantrag, der bei der DRV gem. § 6 SGB VI zu stellen ist, nur angegeben werden, dass man als Rechtsanwalt steuerberatend tätig ist. Das entsprechende Formular der DRV mit der Nummer V6355 sah diese Befreiungsmöglichkeit ausdrücklich vor. Eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die Tätigkeit in den Gesellschaften war bisher nicht notwendig.  

Maßgebliches Formular geändert  

Doch das ist jetzt Geschichte: Die DRV hat ohne jegliche Information nach außen, quasi klammheimlich, ihre Rechtsansicht geändert. Zudem wurde das Formular V6355 mit Wirkung zum 31.5.2022 geändert. Es sieht jetzt diese Befreiungsmöglichkeit ohne eine Syndikuszulassung nicht mehr vor.  

Zum Hintergrund: Nach den Leitentscheidungen des BSG vom 3.4.2014, mit dem die Befreiungsmöglichkeit für Unternehmensanwälte nicht mehr als möglich angesehen wurden, weil die Tätigkeit für den Arbeitgeber nicht eine anwaltliche Tätigkeit sei, hatte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.2016 die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) geändert und in § 46 Abs. 2 BRAO die Möglichkeit der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die anwaltliche Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber geschaffen. Mit dieser Zulassung ist dann auch Antrag auch die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zugunsten des Versorgungswerks möglich, hier besteht eine Bindungswirkung.  

Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, aber noch bezogen auf einen Altfall vor dem 1.1.2016, hatte das BSG am 15.12.2016 (Az. B 5 RE 7/16 R) entschieden, dass die Tätigkeit in Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, anders als in den Fällen der Unternehmensanwälten, eine anwaltliche Tätigkeit sei, die direkt zur Befreiung gem. § 6 SGB VI führen kann.  

Das BSG hatte dies seinerzeit insbesondere damit begründet, dass es sich bei der Tätigkeit mit der Beratung der Mandanten um eine klassische anwaltliche Tätigkeit handelt, die auch in den entsprechenden Berufsordnungen so vorgesehen sei. Von einer Pflicht, eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu beantragen, ist in dem Urteil keine Rede, obwohl das Gesetz bereits knapp ein Jahr in Kraft war. Nötig war dies auch nicht, da der zu entscheidende Fall einen Befreiungsantrag vor dem 1.1.2016 betraf. In der Regel geben aber die Richter entsprechende Hinweise.  

Nach dem Urteil vom 15.1.2016 hatte die DRV sich dem Urteil des BSG angeschlossen und auf Antrag Rechtsanwälte für die Tätigkeit in Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ohne Syndikuszulassung befreit.  

DRV informiert weder BRAK noch Versorgungseinrichtungen

Nach fünfeinhalb Jahren hat jetzt die DRV plötzlich ihre Rechtsauffassung geändert. Sie vertritt nunmehr die Auffassung, dass eine Befreiung nur noch dann möglich ist, wenn für die Tätigkeit in den Gesellschaften eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt beantragt wird und auch erfolgt. Begründung: Das Urteil aus dem Jahr 2016 sei so zu verstehen, dass es nur für die alte Rechtslage vor dem 1.1.2016 gelte. Nach der Formulierung des § 46 Abs. 2 BRAO sei aber für jede Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber eine Syndikuszulassung notwendig. Nur bei dieser Zulassung bestehe dann auch eine Befreiungsmöglichkeit aufgrund der Bindungswirkung des § 46a Abs. 2 BRAO.  

Eine Begründung für diese geänderte Rechtsauffassung erhält man von der DRV nicht. Auf Nachfrage des Autors teilt die DRV nur lapidar mit: "Wir haben die Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen (GRA) zu § 6 SGB VI angepasst. Die GRA sind im Internet abrufbar. Zudem haben wir das Formular für den Befreiungsantrag geändert, sodass die Betroffenen spätestens bei der Antragstellung die neue Rechtsauffassung zur Kenntnis nehmen können. Wenn der Versicherte dessen ungeachtet ohne Syndikuszulassung einen Antrag auf Befreiung nach § 6 SGB VI stellt, wird der Versicherte über die neue Rechtslage aufgeklärt. Darüber hinaus haben wir nichts unternommen, um die neue Rechtsauffassung zu kommunizieren. Der Kreis der Betroffenen ist gemessen an der Zahl aller Versicherten (fast 57 Millionen aktiv und passiv Versicherte am 31.12.2020) recht klein. Wenn nur sehr wenige Versicherte von einer geänderten Rechtsauffassung betroffen sind, gibt die DRV Bund dazu regelmäßig keine Pressemitteilungen heraus."

Während der Verzicht auf eine Pressemitteilung vielleicht noch nachvollziehbar ist, befremdet es allerdings sehr, dass von Seiten der DRV auch keinerlei Information gegenüber der Bundesrechtsanwaltskammer oder aber der Arbeitsgemeinschaft der berufsständischen Versorgungseinrichtungen (ABV) erfolgte. Neu ist das nicht: Die DRV informiert wiederholt die Betroffenen nicht, sondern ändert einfach ihre Praxis. Die Behördenleitung sollte diese Vorgehensweise bzw. ihr Unterlassen dringend überdenken. Eine Vertrauensbasis schafft man so jedenfalls nicht.  

DRV-Rechtsauffassung zweifelhaft

Aber nicht nur die Vorgehensweise der DRV verstört, auch über ihre Rechtsauffassung lässt sich streiten. Denn das Urteil des BSG knüpft deutlich an die anwaltliche Tätigkeit an und setzt sich auch mit der erlaubten Rechtsberatung für eine Tätigkeit in steuer- und wirtschaftsprüfenden Gesellschaften auseinander. Diese Tätigkeit direkt für die Mandanten des Arbeitgebers sei doch etwas anders als die Tätigkeit in Unternehmen, die keine Mandanten beraten dürften. Ob damit diese Befreiungsmöglichkeit nur auf Anträge vor dem 1.1.2016 gelten sollte, lässt sich aus dem Urteil nicht herauslesen. Zwar wird auf die BRAO in der alten Fassung verwiesen, es findet sich aber keinerlei Hinweis, dass dies in der Zukunft anders betrachtet werden muss.  

Für die Rechtsanwälte und die Arbeitgeber bedeutet die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nunmehr Aufwand – auch wenn die Zulassung für die Tätigkeit in der Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung bei Vorliegen aller Merkmale für die Syndikuszulassung möglich ist. Ob diese zeitliche Inanspruchnahme wirklich vom Gesetzgeber und vom BSG  so gewollt war? Wahrscheinlich ist, dass es zu einer gerichtlichen Klärung der Frage kommen wird, ob die geänderte Praxis der DRV rechtmäßig ist oder nicht.  

Wie auch immer, aktuell sollte jedenfalls die geänderte Rechtsauffassung der DRV beachtet werden, damit für Rechtsanwälte und ihre Arbeitgeber keine unnötigen Nachteile entstehen.  

Bei einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt muss der Antrag auf Zulassung und Befreiung spätestens mit Beginn der Tätigkeit bei dem Arbeitgeber gestellt werden. Die 3-Monats-Frist des § 6 Abs. 4 SGB VI, die für angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien gilt, findet nach Auffassung der DRV für die Syndikuszulassung keine Anwendung. Zu dieser Rechtsfrage sind zurzeit verschiedene Verfahren vor Landessozialgerichten anhängig.  

Auf eine Befreiungsmöglichkeit soll an dieser Stelle noch hingewiesen werden: Sind die Rechtsanwälte auch zusätzlich als Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zugelassen, dann kommt auch eine Befreiung in dieser Eigenschaft in Betracht. Und unter bestimmten Umständen ist dann auch eine Befreiung zugunsten des anwaltlichen Versorgungswerks nach den jeweiligen Satzungen möglich. Dies ist aber ein unnötig komplizierter Weg, der eigentlich so nicht nötig ist.  

Zitiervorschlag

Befreiung für Rechtsanwälte: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48946 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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