Erstmals wurden zur Anwaltschaft mehr Frauen als Männer zugelassen. Das klingt nach Diversität und gleichen Chancen. Aber Frauen arbeiten anders als Männer. Und sie verdienen auch anders.
Im Jahr 2018 waren 52 Prozent der neu zugelassenen Rechtsanwälte Frauen, womit erstmals in einem Jahr mehr Frauen als Männer den Weg in den Beruf fanden. Die Rechtsanwaltskammer Thüringen meldete bei den Neuzulassungen sogar einen Frauenanteil von 63,3 Prozent. Das ist eines der Ergebnisse des Statistischen Jahrbuchs der Anwaltschaft 2019/2020, die Prof. Dr. Matthias Kilian, Direktor des Soldan-Instituts, am Freitag auf dem Anwaltstag in Leipzig vorstellte.
Was wie ein großer Schritt in Richtung einer diversen Anwaltschaft klingt, bringt bei näherer Betrachtung einige Veränderungen mit sich, auf die der Markt sich nach Ansicht von Berufsrechtler Kilian einstellen muss. Die Zahlen sagen auch: Frauen arbeiten anders als Männer. Sie haben andere Prioritäten und Ziele. Und sie schmeißen den Anwaltsjob offenbar häufiger hin.
Junge Anwältinnen wollen überwiegend angestellt arbeiten
Beim näheren Blick auf die Struktur der Anwaltschaft zeigt sich, dass ein höherer Frauenanteil mehr bedeutet als nur eine andere Verteilung der Geschlechter. So finden sich unter den Nur-Rechtsanwälten gerade einmal 33,8 Prozent Frauen, bei den Syndizi hingegen beträgt der Frauenanteil 54,7 Prozent.
Einen noch klareren Trend zeigen die Berufsziele der befragten Junganwälte, solche also, die maximal acht Jahre über ihre Zulassung verfügen. 70 Prozent der jungen Anwältinnen wollen demnach perspektivisch beschäftigt sein, ob nun in einer Kanzlei, einem Unternehmen oder dem Staatsdienst. Bei Männern liegt diese Zahl nur bei 40 Prozent. Für Anwaltsforscher Kilian bedeutet das Handlungsbedarf für die Branche: Der Anwaltsmarkt, der noch immer in weiten Teilen auf eine selbständige Tätigkeit ausgerichtet ist, müsse die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Nachwuchskräfte so arbeiten können, wie sie es sich vorstellen.
Denn auch das ergeben die Zahlen: Schon jetzt werden immer mehr Zulassungen zurückgegeben von Anwälten bis zum Alter von 39 Jahren. Kilian geht davon aus, dass sich unter diesen „Anwaltsabbrechern“ sehr viele Frauen finden, die im Anwaltsberuf zumindest in der Ausgestaltung, in der sie ihn vorgefunden haben, nicht bleiben wollen.
Teilzeit für Frauen und Männer aus unterschiedlichen Gründen attraktiv
Laut Kilian sind 68 Prozent der Frauen und 86 Prozent der Männer Miteigentümer in den Kanzleien, in denen sie tätig sind. Allerdings arbeiten viele der Frauen in sehr kleinen Einheiten oder sogar in Einzelkanzleien – laut Kilian, weil sich so Beruf und Familie besser vereinbaren lassen, ohne dass frau dafür einem Vorgesetzten oder Kollegen Rechenschaft schulden würde.
Von den Anwältinnen arbeiten nämlich 42 Prozent in Teilzeit. Zum Vergleich: Bei den Männern sind es nur 16 Prozent. Auch die Gründe für die Teilzeit sind offenbar je nach Geschlecht völlig unterschiedlich: 64 Prozent der befragten Anwältinnen in Teilzeit gaben an, dies für Familie und Kinder zu tun. Bei den in Teilzeit tätigen Männern dagegen ist es ein anderer Job, die Anwaltstätigkeit ist für sie also per se eher ein Nebenjob, oder aber sie geben an, mehr Zeit für Freizeitgestaltung haben zu wollen.
Diese unterschiedlichen Lebensmodelle spiegeln sich auch deutlich im Zusammenhang zwischen Teilzeit und Kindern. Frauen (6 Prozent) wie Männer (5 Prozent) ohne Kinder arbeiten nur sehr selten in Teilzeit. Mit mehr als zwei Kindern aber arbeiten 62 Prozent der Frauen in Teilzeit, hingegen nur 21 Prozent der Männer.
Deutlicher Gender pay gap, auch bei Einbeziehung der Teilzeit
Eher klassischen Rollenbildern scheinen auch die Tätigkeitsschwerpunkte zu entsprechen, in denen man die Frauen findet. So arbeiten 47 Prozent der Frauen im Familienrecht, wo indes nur 26 Prozent der Männer zu finden sind. Im Gesellschafts- sowie im Handels- und Wirtschaftsrecht sind 13 Prozent der Frauen, aber 28 Prozent der Männer tätig.
Für Matthias Kilian sind diese Zahlen aber gar nicht unbedingt durch unterschiedliches fachliches Interesse bedingt, sondern erklären sich eher aus den Kanzleistrukturen, in denen Frauen typischerweise tätig sind. Wirtschaftsrecht wird meist in größeren Einheiten mit vielen Unternehmensmandaten gemacht, in denen Frauen eben deutlich unterrepräsentiert sind.
Für Kilian enthalten diese Zahlen einen klaren Handlungsauftrag insbesondere an die großen Einheiten. Diese hätten zwar - "zumindest auf dem Papier" - schon Maßnahmen angekündigt, um die Arbeitsbedingungen für Frauen zu verbessern, diese müssten aber erst noch umgesetzt werden.
Wegen der ganz unterschiedlichen Arbeitsstrukturen, vor allem mit Blick auf die Teilzeittätigkeiten der Frauen, legt Kilian zum Einkommensvergleich nicht den Jahresumsatz zugrunde, sondern den Stundenverdienst im Verhältnis zur Wochennarbeitszeit. Auch unter diesen bereinigten Bedingungen stellt er aber einen deutlichen Gender pay gap fest: Während Männer durchschnittlich 31,32 Euro verdienen, sind es bei den Frauen nur 22,25 Euro. Für eine Diskriminierung hält er das nicht zwingend, die Unterschiede könnten sich auch dadurch erklären, dass die bearbeiteten Mandate in den unterschiedlichen Rechtsgebieten unterschiedlich ertragsstark seien.
Die Zukunft: Mehr Teilzeit, mehr Syndizi, weniger Einkommen
Kilian zieht aus diesem geschlechtsspezifischen Wandel Konsequenzen, auf welche die Anwaltschaft sich einstellen müsse. So werde die Syndikusanwaltschaft überproportional wachsen, während die derzeit dominierende unternehmerische Berufsausübung auf dem Anwaltsmarkt abnehmen werde.
Vollzeittätigkeit werde seltener, während Teilzeit zunehmen werde. Auch wenn Kilian von einer vollzeitnahen Teilzeittätigkeit ausgeht, erwartet er daher einen Rückgang der Marktteilnehmer, der über den nach reinen Kopfzahlen hinausgeht.
Fachanwaltstitel und andere Zusatzqualifikationen würden seltener werden, weil Frauen solche seltener erwerben als Männer. Kilian wies in Leipzig darauf hin, dass diese regelmäßig im Alter zwischen 30 und 40 erworben würden – dem Zeitraum, in dem Frauen intensiver mit der Familiengründung befasst seien. Für den Fachanwaltstitel werde es zudem schon schwierig, die nötigen Fälle zusammen zu bekommen, wenn man in Teilzeit arbeite.
Das Größenwachstum von Kanzleien wird sich laut Kilian verlangsamen, weil Frauen in kleineren Einheiten tätig sind, für bestimmte Rechtsgebiete und Teilsegmente rechnet der Anwaltsforscher mit noch mehr Rekrutierungsproblemen. Und schließlich werde der Verdienst in der gesamten Anwaltschaft sinken.
Zugleich hat Kilian ermittelt, dass nur noch 35 Prozent der befragten Anwälte, die nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) abrechnen, der Meinung sind, dass die der Abrechnung zugrundeliegende Quersubventionierung ertragsschwacher durch ertragsstarke Mandate funktioniert. Das durchschnittliche Honorar derjenigen, die nach Stunde abrechnen, ist von 182 Euro im Jahr 2008 nur auf 195 Euro in 2018 gestiegen; ein bloßer Inflationsausgleich würde ein durchschnittliches Stundenhonorar von 206 Euro bedeuten.
Erstmals mehr Frauen als Männer als Anwälte zugelassen: . In: Legal Tribune Online, 20.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35469 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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