Die RAK Sachsen wird Einsicht in das Vergabeverfahren des beA nehmen, Regressansprüche prüfen und auf Veröffentlichung des Quellcodes drängen. Als es um Rücktrittsforderungen gehen sollte, beendete der Vorstand die Kammerversammlung.
Die Kammerversammlung der Rechtsanwaltskammer (RAK) Sachsen endete am Freitag ohne eine Entscheidung über den Misstrauensantrag gegen den Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Ekkehard Schäfer, und seinen Stellvertreter, Dr. Martin Abend. Der ist bei der BRAK für die Umsetzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) verantwortlich, das im Dezember wegen massiver Sicherheitslücken vom Netz genommen wurde.
In seiner Funktion als Mitglied des Vorstands der Anwaltskammer in Sachsen nahm Abend am vergangenen Freitag an der jährlichen Kammerversammlung teil, die mit 171* Anwälten gut besucht war.
Auf der Tagesordnung standen 15 Punkte, weiter als bis Punkt 6 kamen die Anwälte, die im großen Saal des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig tagten, jedoch nicht. Fest steht allerdings, dass die RAK Sachsen Akteneinsicht in den umstrittenen Vergabevorgang des beA-Systems durch die BRAK an den französischen IT-Riesen Atos nehmen muss. Außerdem soll sie Regressansprüche gegen die BRAK prüfen.
Zu einer Entscheidung über den Misstrauensantrag sowie die Aufforderung an den Vorstand der RAK Sachsen, sich bei der BRAK für einen Rücktritt von Schäfer und Abend einzusetzen, kam es aber am Freitag nicht mehr. Der Antrag war schon an die Wand projiziert, als um kurz nach 18 Uhr die Versammlung abrupt beendet wurde. Nach Angaben des Sitzungsleiters war der Raum nicht länger gemietet, gegenüber LTO teilte die RAK Sachsen mit, das sei nicht vorhersehbar gewesen. Nun gibt es einen neuen Termin.
Akteneinsicht in die Vergabe an Atos
Angenommen worden waren zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Anträge, die es mit einer ausreichenden Zahl an Unterschriften auf die Tagesordnung der Versammlung geschafft hatten.
Der Vergaberechtler Dr. Christian Braun stellte darauf ab, dass es bei der Vergabe des großen Auftrags an den französischen Dienstleister Atos keine öffentliche Ausschreibung gab. Nachdem sein Antrag angenommen wurde, wird die RAK Sachsen nun Akteneinsicht in den Vorgang der umstrittenen Vergabe an Atos nehmen. Nach Angaben von Teilnehmern erklärte BRAK-Vizepräsident Martin Abend, die Verträge mit Atos stünden allen Anwaltskammern zu Einsichtnahme offen.
In einem Schreiben von Anfang Februar, das LTO vorliegt, verweigerte die BRAK dagegen noch eine Einsichtnahme in die Dokumente zur Auftragsvergabe. "Dritte dürfen keine Kenntnis der vertraulichen Informationen erhalten," heißt es dort auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Präsident Schäfer beruft sich auf eine Verschwiegenheitsverpflichtung für öffentliche Ausschreibungen. Bei der Beschaffung des Erstellungs- und Betriebsvertrags sei die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A) anwendbar. Gemäß § 14 Abs. 3 der VOL/A "sind die Angebote des Verfahrens samt Anlagen auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens vertraulich zu behandeln", so Schäfer in dem Schreiben. Andere Bieter und Personen, die nicht am Verfahren beteiligt waren, dürften keinen Einblick in die Akten erhalten; "ansonsten drohen Ansprüche des betroffenen Unternehmens u.a. aus Urheberrecht".
Das französische IT-Unternehmen übernahm die Aufgabe gemeinsam mit der Governikus GmbH & Co. KG. Diese ist verantwortlich für die gleichnamige Anwendung Governikus, die dem EGVP-Client zugrunde liegt, also in allen deutschen Bundesländern sowie beim Bund für elektronische Transaktionen im E-Government und E-Justice eingesetzt wird.
RAK soll Regressansprüche prüfen
Die sächsische Anwaltskammer muss zudem, so entschieden die Anwälte ebenfalls mit großer Mehrheit auf Antrag von Christian Braun, sämtliche Zahlungen an die BRAK im Zusammenhang mit dem Anwaltspostfach auf eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung hin und die Möglichkeit der Geltendmachung von Regressansprüchen überprüfen. Künftige Zahlungen in Sachen beA soll die Kammer nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung tätigen.
Die Anwälte zahlen seit Jahren für das beA-System, das seit dem 1. Januar dieses Jahres auch zumindest passiv nutzen müssen. Sie zahlen einen erhöhten Kammerbeitrag, teilweise auch explizit einen Anteil für das beA an ihre regionale Kammer, den diese dann an die BRAK als für das Postfachsystem Verantwortliche weiter gibt. Auch im Jahr 2018 will die BRAK diesen Anteil abrufen, derzeit liegt die Umlage bei 58 Euro pro Jahr und Anwalt. Anträge mehrerer regionaler Kammern, die das für nicht vermittelbar halten, seit das System gar nicht mehr zur Verfügung steht, waren bislang nicht erfolgreich. Die BRAK erklärte die Kosten zu Sowieso-Kosten, die "unter anderem für die Entwicklung des beA-Systems, den Betriebsaufwand der Rechenzentren und den Support durch einen Service Desk" anfielen - und damit unabhängig davon, ob das Postfach online ist oder nicht.
Laut der BRAK haben die Anwälte bislang insgesamt rund 32,5 Millionen Euro geleistet. Die BRAK habe davon an den technischen Dienstleister rund 20,5 Millionen Euro für die Entwicklung und den Betrieb des Systems gezahlt. Die weiteren Aufwendungen für die Realisierung des Systems betragen nach Angaben der BRAK seit Beginn des Projektes rund 5,5 Millionen Euro. Die derzeit noch zur Verfügung stehenden liquiden Mittel dienten dem Betrieb und der Weiterentwicklung des beA in den kommenden Jahren.
Transparenzantrag angenommen, Misstrauensantrag verhindert
Angenommen wurde am Freitag in Leipzig auch ein Antrag, der die RAK verpflichtet darauf hinzuwirken, dass die BRAK die Quelltexte der beA-Software unter einer gängigen Open-Source-Lizenz zur Verfügung stellt, unabhängige externe Gutachter mit Audits beauftragt, für eine echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und zudem dafür Sorge trägt, dass die beA-Software alle aktuellen Betriebssystemen unterstützt.
Christoph R. Müller, der den Antrag auf die Tagesordnung gebracht hatte, stellte dabei ab auf die Berliner Anwälte, die ihrer Kammer am 8. März einen ähnlichen Transparenzauftrag erteilt haben. Längere Diskussionen gab es um seinen weiteren Antrag, dass die Anwaltskammer Sachsen nachhaltig auf allen Ebenen darauf hinwirkt, dass die BRAK das beA kurzfristig in ein dezentrales einheitliches System umstellt; auch dieser wurde jedoch schließlich angenommen. Am Dienstagabend hat die RAK die Beschlüsse auch auf ihrer Webseite veröffentlicht.
Was die Berliner Anwälte am 8. März aber ebenfalls deutlich machten, gelang in Leipzig am Freitag nicht mehr. Die Berliner Kammerversammlung hatte den Rücktritt von BRAK-Präsident Schäfer sowie seines Stellvertreters Martin Abend gefordert.
Bevor das im großen Saal des BVerwG geschehen konnte, brach der Sitzungsleiter die Kammerversammlung um 18:15 Uhr überraschend und ohne Vorankündigung ab. Der Antrag, der dem Vorstand angekündigt und im Voraus bekannt war, war bereits an die Wand projiziert, als er das den Teilnehmern mitteilte, die gerade nach einer Pause den Saal wieder betraten. Jacqueline Lange, Geschäftsführerin der Kammer Sachsen, teilte auf LTO-Anfrage mit, eine Vertreterin des BVerwG habe dem Sitzungsleiter zuvor mitgeteilt, dass nun kein Sicherheitsdienst mehr zur Verfügung stehe und daher der weitere Aufenthalt in den Räumen nicht mehr gestattet sei. Eine solche Entwicklung war nach Angaben von Lange "nicht vorhersehbar, da es keinen vereinbarten zeitlichen Rahmen für die Nutzung des Saales gab".
Update, 13.04.2018, 10:57 Uhr: Die Kammerversammlung soll nun laut einem Schreiben des Präsidenten vom 12. April nicht wie zunächst mitgeteilt am 25. April 2018, sondern voraussichtlich am 30. Mai 2018 stattfinden. Bei einer weiteren Kammerversammlung müssten die Einladungs- und Ankündigungsfristen beachtet werden, heißt es zur Begründung der Verschiebung. Möglicherweise weiß man dann schon mehr darüber, was nötig werden wird, um das unsichere Anwaltspostfach sicher zu machen und wie lange das dauern wird. Die Secunet GmbH will ihr Gutachten bis Mitte Mai fertigstellen, die BRAK will es veröffentlichen.
*Korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 11:10 Uhr.
Pia Lorenz, Kammerversammlung in Sachsen vorzeitig abgebrochen: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27757 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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