Leinen los für Seerechtler
"Göttliche Tränen" schlummern auf dem Boden der Karibik - so nannten die Indios ihre Smaragde. Zweihundert Tonnen davon sollen sich an Bord der "San José" befunden haben, als sie 1708 mit sechshundert Menschen vor der kolumbianischen Küste versank. Die britische Marine hatte den spanischen Dreimaster angegriffen, der außer den Edelsteinen auch Gold aus Peru und Silber aus Bolivien geladen hatte. Damit sollten die Gegner der Briten im Spanischen Erbfolgekrieg finanziert werden. Doch daraus wurde nichts, König Philipp V. wartete vergeblich auf die heiß ersehnte Fracht. Seit mehr als dreihundert Jahren liegt die Galeone nun in der Karibik, wo noch unzählige weitere Wracks vermutet werden. Im Dezember 2015 twitterte der Staatspräsident von Kolumbien, Juan Manuel Santos, dass kolumbianische Spezialisten die "San José" gefunden hätten. Doch noch bevor der Schatz gehoben ist, ist ein heftiger Streit über die Besitzverhältnisse entbrannt. Santos behauptet, der Fund sei "Eigentum der Kolumbianer". Dem widersprechen die Spanier heftig, weil die "San José" unter spanischer Flagge fuhr. Deswegen gehöre das Schiff samt Beute ihnen. Doch damit nicht genug. Auch die amerikanische Bergungsfirma Sea Search Armada (SSA) stellt Ansprüche. Sie erwartet Finderlohn, weil sie schon Anfang der Achtzigerjahre das Wrack ausfindig gemacht haben will. Wem gehört denn nun der Schatz?
Junges Rechtsgebiet mit vielen Facetten
Eine Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist und die unter anderem vom Seerecht geregelt wird. Das moderne Seerecht wurde 1994 im Seerechtsübereinkommen von den Vereinten Nationen festgelegt und von 165 Staaten unterzeichnet. "Dabei muss man differenzieren zwischen dem Seevölkerrecht, das heißt der öffentlich-rechtlichen Regulierung der Meere, und dem Seehandelsrecht, also der wirtschaftlichen Nutzung der Meere, insbesondere durch Schifffahrt", erklärt Henning Jessen, Professor am Hamburger Institut für Seerecht und Seehandelsrecht. Auf Seerechtsjuristen warten in Zukunft große Aufgaben, die Bergung von Schiffswracks ist nur einer von vielen Aspekten. Rechtlich problematischer ist der Abbau von Rohstoffen auf dem Meeresboden, die Stationierung von Waffen, der Bau von Offshore-Anlagen, der Fischfang, die Meeresverschmutzung, Piraterie, der Streit um Hoheitsrechte und – ganz aktuell – die Seenotrettung von Flüchtlingen. Denn ein Handelsschiff, das ein Flüchtlingsboot entdeckt, ist zur Hilfeleistung verpflichtet, selbst wenn die Abweichung vom Reiseweg sehr viel Zeit und Geld kosten würde. Auch die Koordination der Seenotrettung durch die beteiligten Küstenstaaten oder die Bekämpfung von Schlepperkriminalität berührt seerechtliche Fragen und kann für Juristen zu einer echten Herausforderung werden, weiß Henning Jessen: "In der Vergangenheit gab es den Fall, dass der Kapitän eines Schiffes, das überhaupt nicht dazu ausgerichtet war, dreihundert Flüchtlinge an Bord nahm und dann in einen italienischen Nothafen fuhr. Dort wurde er in Untersuchungshaft genommen, wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung angeklagt, in erster Instanz verurteilt und erst nach drei Jahren schließlich freigesprochen."2/2: Hoher internationaler Bezug
Das beste Beispiel für einen aktuellen seevölkerrechtlichen Konflikt kann derzeit im südchinesischen Meer, einer der wichtigsten Handelsrouten, beobachtet werden. In dem fisch-und rohstoffreichen Gewässer liegen die Paracel- und Spratly-Inseln. China hat seit 2013 einige dieser Inseln und Riffe durch künstliche Landgewinnung vergrößert und in militärische Stützpunkte verwandelt. Doch viele dieser Inseln werden auch von anderen Staaten in der Region beansprucht. Im Juli 2016 hat das Schiedsgericht in Den Haag darüber entschieden, ob das Verhalten Chinas mit dem internationalen Seerecht vereinbar ist. Jessen: "Man kann das Seerecht sicherlich als das internationalste Rechtsgebiet bezeichnen. Mich fasziniert daran, dass es ein sehr, sehr weites Feld ist und dass es oftmals andere Rechtsgebiete berührt." Meistens müssen sich Juristen aber mit dem privaten Seerecht beschäftigen, insbesondere mit dem Seehandelsrecht - so wie Klaus Ramming. Der promovierte Jurist ist bei Lebuhn & Puchta in Hamburg schwerpunktmäßig tätig im Schifffahrts- und Transportrecht. Spannende Fälle gibt es auch dort genug. "Ein Fall, der in den letzten Monaten die ganze Branche beschäftigt hat, ist die Havarie des Containerschiffes 'MOL Comfort'", so Klaus Ramming. Das mit über 8.000 Containern beladene Schiff brach im Juni 2013 im Indischen Ozean in der Mitte auseinander. Doch noch immer arbeiten "viele, viele Anwälte weltweit daran", sagt der Anwalt. "Ich habe allein 42 Fälle gehabt, die im Wesentlichen abgeschlossen sind. Und zuletzt sind wieder ein paar neue Fälle dazu gekommen." Ramming ist Vorsitzender des Deutschen Vereins für Internationales Seerecht, außerdem ausgebildeter Kapitän und Diplom-Ingenieur für Seeverkehr. Ein Seerechtler muss jedoch nicht unbedingt Nautiker sein. "Allerdings kann es hilfreich sein, wenn man eine kaufmännische Lehre, zum Beispiel als Speditions- oder Schifffahrtskaufmann, hinter sich hat", so der Anwalt.Seerecht als eigener Schwerpunkt
Juristen, die sich auf Seerecht spezialisieren wollen, haben seit dem Wintersemester 2012/13 die Möglichkeit, an der Universität Hamburg am Institut für Seerecht und Seehandelsrecht den Schwerpunkt "Maritimes Wirtschaftsrecht" zu belegen. Danach können sich Juristen und Juristinnen entscheiden, ob sie sich in Zukunft auf das öffentliche oder auf das private Seerecht konzentrieren wollen. Die Fokussierung hat allerdings einen starken transportrechtlichen Bezug und richtet sich vor allem an Studierende, die für Reedereien, Speditionsunternehmen oder Versicherungen wirtschaftsberatend tätig sein möchten. Alternativ können sich Juristen auch auf internationaler Ebene durch einen LL.M. in Maritime Law spezialisieren. Jessen: "Gerade den Studierenden, die in Norddeutschland bleiben wollen, bieten sich viele berufliche Möglichkeiten. Es gibt aber auch Reedereien im Binnenland. Das darf man nicht unterschätzen. Eine der größten Reedereien sitzt in der Schweiz." Ramming achtet bei Bewerberinnen und Bewerbern darauf, "dass der berufliche Werdegang" eine starke Affinität zu "seerechtlichen Themen" erkennen lässt. Außerdem sei die Beherrschung der englischen Sprache unabdingbar. Seerechtler haben also gute Chancen auf eine aussichtsreiche Karriere. Bleibt nur noch die Frage, wem der sagenhafte Schatz der "San José" gehört. Nun, darüber müssen sich wohl noch einige Juristen den Kopf zerbrechen. Denn möglicherweise melden außer Kolumbien, Spanien und SSA auch noch Peru und Bolivien Ansprüche an. Bislang wird das juristische Tauziehen übrigens nur wegen fiktiver Reichtümer veranstaltet. Die Bilder der Unterwasserkamera ließen nämlich nur Waffen und ein paar keramische Gefäße erkennen. Die Suche nach den "Tränen der Götter" geht also weiter. Die Autorin Elke Worg arbeitet als Journalistin für Hörfunk, Print und Online-Medien und hat mehrere Sachbücher veröffentlicht.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2016 M08 9
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