Frauenkarrieren in der Rechtswissenschaft

Dein Geschlecht zählt

von Markus SehlLesedauer: 5 Minuten
Seit 15 Jahren beginnen mehr Frauen als Männer ein Jurastudium – aber nur jede zehnte W3-Jura-Professur ist mit einer Frau besetzt. Nachwuchswissenschaftlerinnen beschreiben die Atmosphäre an der Uni als "konservativ", "autoritär" und vor allem "männlich". Warum verliert die Rechtswissenschaft ihre weiblichen Potentiale? Eine neue Studie liefert jetzt Zahlen und Gründe für das Ungleichgewicht.

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Auch dieses Jahr werden zum Wintersemester wieder mehr Frauen als Männer ein Jurastudium beginnen. Ein Trend der schon seit 15 Jahren anhält. Die wenigsten Studenten treffen in ihrem Studium aber auf eine Professorin. Nur jede zehnte W3-Jura-Professur ist in Deutschland mit einer Frau besetzt. Selbst in männlich dominierten Fächern wie Maschinenbau oder Physik stehen für  Frauen die Chancen auf eine Professur deutlich besser. Was ist da bei den Juristen los? Dieser Frage geht ein Forschungsteam an der Fernuniversität Hagen nach, deren erste Ergebnisse Ende Juli vorgestellt wurden. Die Zahlen sprechen für sich. Auf dem langen Weg durch das Studium, über Promotion und Habilitation verliert die Rechtswissenschaft ihre weiblichen Potentiale. Sind noch 52 Prozent der Studienanfänger Frauen, sind es unter den Promovierenden nur noch 38 Prozent. Von denjenigen, die eine Habilitation abschließen, sind sogar nur noch knapp 17 Prozent weiblich. In Deutschland stehen zurzeit den etwa 880 Professoren in der Rechtswissenschaft nur 120 Professorinnen gegenüber.

Der lange Weg zur Professur – prekär und risikoreich

Woran liegt das? Die Koordinatorin des Forschungsprojekts "JurPro" Ulrike Schultz und ihr Team haben nicht nur Datenpakete juristischer Fakultäten durchforstet, sondern auch Interviews mit über 80 Akteuren aus der Wissenschaft geführt. Viele Frauen schrecke der lange Weg bis zur eigenen Professur ab. Außerdem ein prekäres Leben in befristeten Verträgen und bei Gehältern zwischen 3.000 und 4.000 Euro brutto nach einem fünfjährigen Studium, zwei Staatsexamina und einer abgeschlossen Promotion. Immer mit dem Risiko, am Ende doch keinen Ruf zu erhalten. Auch wenn eine lange Qualifikationsdauer und die Karriereunsicherheit Männer wie Frauen treffe, schrecke das Nachwuchsforscherinnen besonders ab. "Im Alter zwischen 30 und 40 Jahren liegt die Rushhour des Lebens", erklärt Schultz. In dieser Zeit würden Familien gegründet und Verhältnisse gesichert. Die Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde, zeigt aber auch, dass die Karrierebedingungen für weibliche und männliche Nachwuchsforscher alles andere als die gleichen sind. Gerade am Nadelöhr vieler wissenschaftlicher Karrieren, also der Zeit zwischen Habilitation und dem Ruf auf einen Lehrstuhl, stellt die Studie deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern fest. Während von den 176 Frauen, die in den vergangenen 27 Jahren habilitiert wurden, 30 Prozent leer ausgingen, verpassten bei den Männern nur 20 Prozent die Berufung. "Das widerspricht der Behauptung, es stünden für die Professuren zu wenig Frauen bereit", so Schultz. Die Wahl würde am Ende nur nicht auf sie fallen.
Bereits das Resümee der "Offensive für Chancengleichheit" des Wissenschaftsrats, der Bund und Länder in Hochschul- und Forschungsfragen berät, fiel 2012 enttäuschend aus: "Von einer deutlichen Erhöhung des Anteils von Wissenschaftlerinnen in Führungspositionen kann nicht die Rede sein", heißt es in dem Bericht.

Rechtswissenschaft "autoritär und konservativ"

Die Hauptursache für die geringe Zahl der Professorinnen ist nach der Studie eine "autoritäre und konservative" Fachkultur unter den deutschen Juristen. In keinem anderen Land sei die Rolle des akademischen Mentors so wichtig für die wissenschaftliche Karriere. Von seiner Gunst – und seltener von ihrer – hinge die Karriere ab. Deshalb seien Werte wie Loyalität, Aufopferung und ein bestimmter Habitus entscheidend. Der eigene Nachwuchs werde nach Ähnlichkeitsmerkmalen ausgewählt, und dabei spiele das eigene Geschlecht eine ganz wesentliche Rolle. "Männlichkeit wird traditionell mit Stärke, Rationalität und Leistungsfähigkeit verbunden, den klassischen Karrierekriterien", so Schultz. Auf die Anfragen bei Nachwuchsforscherinnen zu einem Gespräch für diesen Beitrag kamen zahlreiche Absagen aus ganz Deutschland. Sie wollten vorsichtshalber lieber nicht zur Verfügung stehen, was vielleicht schon mehr über eine Atmosphäre aussagt als jedes Zitat. Eine Wissenschaftlerin an einer norddeutschen Fakultät beschreibt die Erwartungen als Doppelbindung: "Man muss schon one of the boys sein, um ernst genommen zu werden, aber gleichzeitig darf man auch nicht zu maskulin auftreten, um keine Abwehrhaltungen zu provozieren." Sie selbst habe viel Glück und die richtigen Förderer gehabt. Anderen ebenso talentierten Kolleginnen sei es anders ergangen. "Viele Frauen haben aber einfach keine Lust auf bestimmte Verhaltensweisen ihrer männlichen Kollegen und auf den ganzen Konkurrenzdruck." Gut zu sein, reiche nicht – um erfolgreich zu sein, müsse man viel Eigenwerbung betreiben. "Man muss sich auch Sachen zutrauen, von denen man noch gar nicht weiß, ob man sie kann." Sie habe erlebt, dass Männern ein solches Selbstvertrauen leichter falle, selbst wenn die wüssten, dass sie etwas nicht könnten. Für viele Juristinnen biete der öffentliche Dienst mit Verbeamtung, Mutterschutz und Elternzeit eine attraktive Alternative zur Wissenschaftskarriere.

"Fass aufmachen oder Klappe halten"

Zahlreiche deutsche Universitäten haben mittlerweile spezielle Mentoringprogramme, um Nachwuchswissenschaftlerinnen gezielt zu fördern. Sie bieten neben einer Betreuung und der Unterstützung bei der Netzwerkbildung auch Kurse in Rhetorik, Kommunikation und Körpersprache an. "Das ist aber eine Einbahnstraße", findet eine Wissenschaftlerin aus Süddeutschland. "Frauen sollen in diesen Kursen letztlich lernen, sich so wie ihre männlichen Kollegen zu verhalten." Fördermechanismen wie Mentoringprogramme könnten deshalb zwar helfen, die Zahl der Frauen in der Wissenschaft zu erhöhen, sie veränderten aber keine Fachkultur. "Es fehlt ganz einfach auch an Vorbildern." Erst am Ende ihrer Promotion sei ihr bewusst geworden, dass sie in ihrem ganzen Studium nicht eine Professorin erlebt habe. Als sie bei einer Veranstaltung einen Preis für ihre Dissertation verliehen bekam, zeigte sich ihr Sitznachbar im Publikum überrascht: Er hatte gedacht, sie sei für die Organisation zuständig. "Frauen über 30 haben ja alle ein Problem", das sei ein gängiger Spruch, für den die engen Kreise des Wissenschaftsbetriebs Raum böten, so die Wissenschaftlerin aus Norddeutschland. "Es gibt eine Atmosphäre in der vieles unwidersprochen bleibt", sagt sie. "Man kann dann ein Fass aufmachen, oder die Klappe halten." Schnell hieße es sonst, "die ist eine, die keinen Spaß versteht" oder "mit der kann man nicht arbeiten."

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