Jurafakultäten setzen sich für Prüfungsreform ein

"Wir müssen jetzt han­deln"

von Luisa BergerLesedauer: 4 Minuten

Das erste juristische Staatsexamen ist eine teils überbordende Belastungsprobe. Das finden nicht nur Studierende, sondern auch Vertreter der Fakultäten. Im "Hamburger Protokoll" haben sie deswegen Vorschläge für eine Reform festgehalten.

Diskussionen rund um eine Reform des Jurastudiums sind seit geraumer Zeit im vollen Gange. Vorangetrieben werden sie maßgeblich von Vertreter:innen der leidtragenden Studierenden. Sie appellieren seit Jahren an die verantwortlichen Prüfungsämter und Justizminister:innen: Es muss sich etwas ändern. Nun bekommen sie Rückendeckung – und zwar von niemand geringerem als den juristischen Fakultäten der Universitäten selbst.

Die Hamburger Bucerius Law School (BLS) hatte Anfang Dezember 2023 zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel "Reform der ersten Prüfung – was können, sollen, müssen wir tun?" eingeladen. Prof. Dr. Michael Grünberger, Präsident der Bucerius Law School, begründet den Vorstoß mit dem akuten Bedarf des Arbeitsmarktes an jungen Jurist:innen: "Wir müssen sicherstellen, dass das erste juristische Staatsexamen endlich moderner wird und viel von seinem abschreckenden Potential verliert. Nie waren der Bedarf und die Chance, das Examen zu reformieren, so groß wie heute. Wir müssen jetzt handeln."

Vertreter:innen von insgesamt 15 Jurafakultäten waren der Einladung aus Hamburg gefolgt, darunter zum Beispiel die Prodekanin der Universität München und der Dekan der Humboldt Universität Berlin. Gemeinsam mit dem Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. (BRF) und der Initiative iur.reform, die sich beide schon seit Jahren für eine Reform des Jurastudiums einsetzen, berieten sie darüber, wie die erste juristische Staatsprüfung moderner und besser ausgestaltet werden könnte. Natürlich seien unterschiedliche Auffassungen über das notwendige Maß der Reformen vertreten worden, erzählt BLS-Sprecher Jonathan Schramm im Gespräch mit LTO. Dass es aber tatsächlich Änderungsbedarf am Jurastudium gibt, darin seien alle Teilnehmer:innen grundsätzlich übereingekommen.

Während des Austauschs spielten vor allem die Ergebnisse der großen Umfrage der Initiative iur.reform eine Rolle. Die Initiator:innen hatten im Mai 2023 erstmals ein umfassendes Stimmungsbild von den Studierenden über die juristische Ausbildung eingeholt. Das Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Befragten sind unzufrieden mit der juristischen Ausbildung. Die BLS griff die angestoßene Debatte nun mit Fokus auf das erste Staatsexamen auch von Fakultätsseite auf. 

Das Endprodukt der Sitzung ist das "Hamburger Protokoll", das insgesamt vier Kernforderungen und mehrere weitere Reformansätze enthält.

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Schlankerer Pflichtstoffkatalog und alternative Abschlüsse

Unter anderem sprachen sich die Teilnehmenden dafür aus, den Pflichtfachstoff, der im ersten Staatsexamen abgefragt wird, zu reduzieren. Die aktuelle Stofffülle verleite zum Auswendiglernen oder zum Lernen auf Lücke. Das eigentliche Ziel der Prüfungen – Systemverständnis und Methodik abzufragen – werde dadurch verfehlt. 

Damit aber die potenziell zu streichenden Rechtsgebiete nicht an Bedeutung verlieren, enthält das Protokoll den Vorschlag, die betroffenen Fächer nicht gänzlich auszuklammern, sondern lediglich zu verlagern. Statt im Staatsexamen sollten die Themengebiete dann bereits in Klausuren während des Studiums abgefragt werden.

Auch für den in das Jurastudium integrierten Bachelor sprechen sich die Unterzeichner:innen des Hamburger Protokolls aus. In Ergänzung zum klassischen Staatsexamen würden die im Studium erbrachten Leistungen auf diese Weise ihren Wert behalten – und zwar nicht nur für den Fall, dass Prüflinge endgültig das Staatsexamen nicht bestehen. Wenn Studierende alle Zulassungsvoraussetzungen für das Examen gesammelt und ihre Schwerpunktprüfung bestanden haben, lägen die bis dahin erbrachten Leistungen bereits auf dem Niveau eines Masterabschlusses, heißt es in dem Protokoll. Ein Bachelor of Laws (LL.B.) müsse daher schon zu einem früheren Zeitpunkt verliehen werden können, schon auch um den gebotenen Abstand zwischen juristischem Staatsexamen und LL.B. wiederzuspiegeln.

Anlaufstellen für Beschwerden

Als dritte Kernforderung schlagen die Diskutant:innen die Einrichtung von Anlaufstellen vor, bei denen Prüflinge Konflikte, zu denen es im Rahmen von (mündlichen) Prüfungssituationen gekommen ist, melden können. So solle Sensibilität für die Belange der Prüflinge entwickelt werden. Außerdem könnten die Justizprüfungsämter anhand der gesammelten Informationen die Eignung der eingesetzten Prüfer:innen leichter feststellen. 

Um vergangene und aktuelle Reformbemühungen nicht wirkungslos versanden zu lassen, setzen sich die Verfasser:innen des Protokolls zudem für ein dauerhaftes, gesetzlich verankertes Monitoring ein. Das erste Staatsexamen und idealerweise auch das Studium müssten regelmäßig daraufhin überprüft werden, ob die gesteckten Ziele erreicht werden und die Veränderungen ihre gewünschte Wirkung entfalten. 

Daneben beinhaltet das Hamburger Protokoll Denkanstöße zur verdeckten Zweitkorrektur, Diversität in der Besetzung der Prüfungskommission und zur Einführung des E-Examens. Auch über die Möglichkeit, schon im ersten Examen Kommentare und Online-Datenbanken nutzen zu dürfen, solle intensiver diskutiert werden.

#HamburgerProtokoll

Das Resümee zur Diskussionsrunde im vergangenen Dezember fällt positiv aus. "Wir haben uns besonders darüber gefreut, wie trotz der Heterogenität der Diskutant:innen stets das Verbindende betont wurde: Der Wille zur Verbesserung im Interesse von Studierenden und Lehrenden", beschreiben Liv-Bjane Heiser und Schramm die Diskussion, die sie als Moderator:innen-Paar geleitet haben. "So profitiert auch das Ergebnisprotokoll von der wohlwollenden, fast familiären Grundstimmung des Treffens."

Prof. Dr. Katharina Beckemper, Dekanin der Juristenfakultät der Universität Leipzig und Teilnehmerin der Sitzung, ist "sehr glücklich, dass die Initiative von einem Hochschul-Präsidenten ergriffen worden ist, der sich getraut hat, nicht nur innerhalb der Professor:innenschaft und der Ministerialebene zu diskutieren, sondern alle Statusgruppen zu einem Workshop einzuladen." Noch nie sei so gleichberechtigt über Möglichkeiten zur Reform des Jurastudiums nachgedacht worden. 

Das Hamburger Protokoll soll einen Beitrag dazu leisten, die Diskussion über eine Reform des ersten juristischen Staatsexamens aufrechtzuerhalten und nicht auf weitere Jahrzehnte zu verschieben. Unter dem Hashtag #HamburgerProtokoll soll der Austausch auch im informellen Rahmen weitergeführt werden. Die Teilnehmenden zeigen sich optimistisch. Im Schlusssatz des Protokolls heißt es: "Wir müssen jetzt handeln. Die Vorschläge zeigen, dass wir auch handeln können."

lmb/LTO-Redaktion

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Thema:

Jurastudium

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