VG München zum Prüfungsrecht

Auf Kon­zept­pa­pier ver­fasste Exa­mens­klausur zählt nicht

Gastbeitrag von Jannina SchäferLesedauer: 5 Minuten

Ein Jurastudent, der seine Staatsexamensklausur versehentlich auf Konzeptpapier verfasste, hat keinen Anspruch auf die Bewertung eben jener Klausur, so das VG München. Doch trotz dieser Null-Punkte-Bewertung schaffte er ein Prädikat.

Für einen Jurastudenten aus Bayern Ist ein Horrorszenario Wirklichkeit geworden: Ein Missverständnis bei der Bearbeitung seiner ersten Klausur in der Ersten Juristischen Staatsprüfung in Bayern kostete ihn wertvolle Punkte. Wegen eines Formfehlers wurde seine Klausur mit null Punkten (ungenügend) bewertet. Wie konnte das passieren?

Im Jahr 2022 war der Prüfling wie viele seiner Kommiliton:innen zu seiner aller ersten Examensklausur angetreten. Dort wurde ihm ein Arbeitsplatz in der ersten Reihe des Prüfungsraums zugewiesen, worauf ein sogenanntes Prüfungsheft gelegen hatte. Die erste Seite des Prüfungsheftes, das linksseitig mit zwei Heftklammern gebunden war, enthielt den vertikalen Hinweis "Nicht öffnen!". 

Vor Beginn der Prüfung hatte die Prüfungsaufsicht die Prüflinge darüber belehrt, dass für die Klausurlösung ausschließlich die zur Verfügung gestellten Prüfungshefte verwendet werden dürfen. Das Öffnen ("Entklammern" genannt) und die Entnahme von Blättern sei nicht erlaubt. Die Blätter des Prüfungsheftes seien vielmehr unter Beachtung der bereits aufgedruckten Seitenzahlen beidseitig zu beschreiben.

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"Nicht öffnen!" zu wörtlich genommen

Doch der Student nahm den Hinweis "Nicht öffnen!" dennoch wörtlich. Er öffnete sein Prüfungsheft also nicht, sondern erstellte seine Klausurlösung auf dem ebenfalls zur Verfügung gestellten Konzeptpapier, das zum Beispiel für Lösungsskizzen o. ä. gedacht ist. Ein Missgeschick, das im Eifer des Gefechts und gerade in der Examenssituation, in der die Nerven sowieso schon blank liegen, nicht völlig abwegig ist. Beide Prüfer bewerteten die Prüfungsleistung im unbeschriebenen Prüfungsheft daraufhin mit "ungenügend" (0 Punkte). Die vollständige Klausurlösung auf dem Konzeptpapier blieb unberücksichtigt. 

Diese Bewertungspraxis hält einer gerichtlichen Prüfung Stand, hat das Verwaltungsgericht (VG) München entschieden, wie nun bekannt wurde (Urt. v. 20.12.2022, Az. M 4 K 22.4098). Trotz des Missgeschicks erzielte der klagende Student in den sechs Klausuren einen Durchschnitt von 8,83 Punkten. Insgesamt erhielt der Kandidat in der Ersten Juristischen Staatsprüfung die Prüfungsgesamtnote vollbefriedigend (9,07 Punkte). Grundsätzlich ein Ergebnis, auf das man stolz sein kann – wären da nicht die ärgerlichen null Punkte in der ersten Klausur gewesen.

Klausur auf dem Konzeptpapier eine "für jeden erkennbar erbrachte Arbeitsleistung"?

Wenig verwunderlich ist deswegen, dass der Mann gegen die Bewertung seiner Klausur vor Gericht zog. Vor dem VG München machte sein Prozessvertreter geltend, dass sein Mandant die Anweisung "Nicht öffnen!" wörtlich genommen habe. Er sei davon ausgegangen, dass der "Bogen" dafür gedacht sei, in ihn die Blätter, auf denen die "eigentliche Arbeitsleistung" erbracht werde, hineinzulegen. Bei der Klausurlösung auf dem Konzeptpapier handele es sich "für jeden erkennbar" um eine "formal und inhaltlich" vollständig erbrachte Prüfungsleistung. Ausnahmsweise seien deshalb die Ausführungen auf dem Konzeptpapier zur Grundlage des Bewertungsvorgangs zu machen. 

Dieser Argumentation schloss sich das VG München jedoch nicht an und beharrte stattdessen auf den strikten formalen Vorgaben. Die Bewertung der vom Prüfling angefertigten schriftlichen Prüfungsarbeit mit "ungenügend" sei rechtmäßig und verletze ihn nicht in seinen Rechten. Das Landesjustizprüfungsamt (LJPA) als Beklagte habe der Bewertung gemäß § 30 Abs. 1 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO Bayern), der die Regeln zur Bewertung der Prüfungsarbeiten im Examen enthält, auch zu Recht ausschließlich die (nichtexistente) schriftliche Bearbeitung des klagenden Prüflings im Prüfungsheft zu Grunde gelegt. 

Gesetzliche Grundlage für die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeit sei § 4 Abs. 1 JAPO Bayern i.V.m. § 1 Verordnung des Bundesministers der Justiz über eine Noten- und Punkteskala für die Erste und Zweite juristische Prüfung. Die Notenstufe "ungenügend" sei demnach für eine "völlig unbrauchbare Leistung" zu vergeben. Daran, dass das unbeschriebene Prüfungsheft eine solche "völlig unbrauchbare Leistung" darstellt, besteht laut Gericht kein Zweifel.

Kein Anspruch auf Neubewertung

Insbesondere bestehe kein Anspruch des Prüflings darauf, dass das LJPA seiner Bewertung die Ausarbeitung auf dem Konzeptpapier zugrunde legt. Das LJPA dürfe auch ohne gesetzliche Grundlage regeln, dass die zu bewertende und als "schriftliche Prüfungsarbeit" bezeichnete Leistung nur die schriftliche Bearbeitung der Prüfungsaufgabe im Prüfungsheft ist und sonstige Ausarbeitungen, z.B. auf Konzeptpapier, nicht bewertet werden. 

Diese Regelung sei auch nicht zu beanstanden, so das VG weiter. Es liege kein Verstoß gegen den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes vor. Zwar müsse der Gesetzgeber das Prüfungsverfahren in den wesentlichen Punkten selbst regeln. Dies erstrecke sich jedoch nicht auf Einzelheiten, die den Prüfungsverlauf lediglich "geschäftsmäßig ordnen", also beispielsweise die Vorgabe, nicht mit Bleistift zu schreiben und liniertes Papier zu verwenden. Bei der Regelung, die schriftliche Prüfungsarbeit ausschließlich im Prüfungsheft anzufertigen, handelt es sich nach Auffassung des VG um keinen wesentlichen Punkt, sondern lediglich um eine organisatorische Vorgabe, die das LJPA machen dürfe. Außerdem sei es nicht unverhältnismäßig, von allen Prüflingen zu verlangen, dass sie ihre schriftliche Prüfungsarbeit in einem bereitgestellten Prüfungsheft anfertigen.

Es lägen, so das Gericht weiter, mithin auch keine besonderen Umstände vor, die es im vorliegenden Einzelfall rechtfertigten, zugunsten des Prüflings von dieser Regelung abzuweichen. Der Mann hätte im Zweifelsfall stattdessen bei der Prüfungsaufsicht nachfragen müssen. Diese Obliegenheit entspringe im Prüfungsrechtsverhältnis dem Grundsatz von Treu und Glauben. 

Immerhin gibt das VG München jedoch zu, dass der Hinweis "Nicht öffnen!" für sich genommen irreführend sei. Doch vor Beginn der Prüfung sei diesbezüglich eine eindeutige Belehrung der Kandidat:innen erfolgt.

Aus der Tatsache, dass der Mann seine Arbeit zunächst bei den Aufsichtspersonen abgeben durfte, ergebe sich für ihn auch kein Vertrauensschutz, so das VG. Ein solcher sei auch insbesondere nicht durch die Aussage der Prüfungsaufsicht entstanden, der Mann "brauche sich keine Gedanken zu machen". Vertrauensschutz lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass bei der Prüfung überhaupt Konzeptpapier zur Verfügung gestellt wurde.

Die leidige Chancengleichheit in Examensstreitfragen

Zu guter Letzt führt das Gericht – wie immer, wenn es um Fragestellungen innerhalb der juristischen Staatsexamina geht – den Grundsatz der Chancengleichheit bzw. Gleichberechtigung an: 

"Auch in einer Gesamtbetrachtung erscheint es im Einzelfall nicht unangemessen, das unbeschriebene Prüfungsheft trotz Vorliegens einer Ausarbeitung auf Konzeptpapier mit 'ungenügend' zu bewerten. Wenn man - wie das Gericht - die geschäftsmäßige Regelung, dass nur das Prüfungsheft zur Grundlage der Bewertung i.S.v. § 30 Abs. 1 Satz 1 JAPO gemacht wird, als rechtmäßig zu Grunde legt und - wie vorliegend - keine besonderen Umstände des Einzelfalls ein Abweichen erfordern, ist die strenge Konsequenz der Nichtbeachtung der 'Hinweise' eine Bewertung mit 'ungenügend', eine andere Konsequenz ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht ersichtlich."

Die Autorin Jannina Schäffer studierte Rechtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und legte ihr zweites Staatsexamen 2019 in Stuttgart ab. Seitdem promoviert sie berufsbegleitend an der Deutschen Hochschule der Polizei im Bereich des Strafprozessrechts. Sie ist Gründerin und Chefredakteurin des online Magazins "JURios – kuriose Rechtsnachrichten".

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