Änderungen nicht ganz stimmig
Mit den neuen Leistungen im Gesetz zur sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) ist die verbesserte Pflege zudem noch nicht automatisch bei den Betroffenen angekommen. Ambulante Dienste müssen entsprechende Betreuung anbieten. In der stationären Pflege muss sich eine gestärkte Personalausstattung im täglichen Pflegesatz niederschlagen, mit dem die Pflegemaßnahmen vergütet sowie die sogenannten sogenannte Hotel- und Investitionskosten bezahlt werden.
Die Pflegebedürftigen haben künftig Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung (Vorlesen, Gespräche etc.) durch sogenannte Alltagsbegleiter. Deren Vergütung wird durch Zuschläge im Pflegesatz abgegolten.
Die zu ändernden Pflegesätze sollen nach Vorstellung des Gesetzgebers in den 2016 vorgezogenen Vertragsverhandlungen der Pflegekassen und Sozialhilfeträger mit den Heimträgern vereinbart werden. Die Sozialhilfeträger müssten dabei durch weitere Regelungen als Partner noch weiter gestärkt werden, da sie neben den Pflegekassen einen erheblichen Teil der Kosten tragen. Einigen sich die Vertragsparteien in 2016 nicht, legt das Gesetz ab 1. August 2017 nach einer nobelpreisverdächtigen Formel Mindestpflegesätze fest.
Die neuen Leistungen sind schließlich nicht mit den Teilhabeleistungen für Menschen mit Behinderungen im Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) abgestimmt. Mit dem erweiterten Pflegebegriff, der selbstbestimmte soziale Teilhabe mit umfasst, vergrößert sich die Schnittmenge zwischen SGB XI und SGB XII erheblich. Dass Sozialhilfe nach § 2 SGB XII nur nachrangig gewährt werden darf, ignoriert aber das PSG II. Ferner sind Pflegebedürftige in Behinderteneinrichtungen, Schulen und Kindertageseinrichtungen nach wie vor ohne erkennbaren sachlichen Grund, mithin den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz verletzend, weitgehend von Zuschüssen des SGB XI ausgeschlossen.
Sozialhilfe könnte entlastet werden
Das PSG I startete 2013 mit der Förderung der Tagespflege und den neuen häuslichen Betreuungsleistungen hoffnungsvoll. Das PSG II räumt mächtig auf. Den Nachfolger PSG III hat das BMG schon angekündigt: Die Hilfe zur Pflege im SGB XII als ergänzende, individuell am Bedarf orientierte Leistung muss den Änderungen im SGB XI noch angepasst werden. Spannende Frage ist, ob die aus Steuermitteln finanzierte Sozialhilfe wie angekündigt entlastet wird.
Weitere Änderungen sind wahrscheinlich. Die Regelungen zu den Pflegeberufen müssen reformiert werden. Zigtausende neue Pfleger werden benötigt. Um einen Pflegenotstand zu vermeiden, könnte beispielsweise die Pflegeausbildung vereinheitlicht und geöffnet werden.
Das PSG II ist ein großer Wurf, wenn es vom Bundestag Ende 2015 ohne große Änderungen beschlossen wird. Es sichert gerade demenziell Erkrankten eine menschenwürdige Pflege, die sich in der Praxis jedoch noch beweisen muss. Das Ziel des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XI ist es, die Führung eines selbständigen und selbstbestimmten Leben aller 2,8 Millionen Pflegebedürftiger zu gewährleisten, das der Würde des Menschen entspricht. Dafür muss noch mehr geschehen.
Die Autorin Jana Schlipf ist Studentin der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln und derzeit Praktikantin beim Landschaftsverband Rheinland. Der Autor Franz Dillmann ist Verwaltungsdirektor und Leiter der Rechtsabteilung im Sozialdezernat des Landschaftsverbandes Rheinland.
Franz Dillmann, Das zweite Pflegestärkungsgesetz: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16627 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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